Istanbul – Kadri Gürsel war der vorerst Letzte, der zu Wochenbeginn den Hut nahm. Der renommierte Kolumnist der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, ein Vorstandsmitglied des Internationalen Presseinstituts (IPI) in Wien, hatte am vergangenen Wochenende eine weitere Auszeichnung für sein Eintreten für die Medienfreiheit entgegengenommen – dieses Mal von der EU-Delegation in der Türkei, was keine Kleinigkeit ist. Schließlich ist Gürsel unter den 13 Cumhuriyet-Journalisten, die im Frühjahr in erster Instanz wegen angeblicher Terrorunterstützung zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Gürsel gab am Dienstag per Twitter die Annahme seines Kündigungsschreibens bekannt.

Die Kündigung zu schreiben, sei das Erste gewesen, was er zum Arbeitsbeginn am Montag getan habe, erklärte Gürsel lediglich in seinem Tweet. Fast zwei Dutzend Kolumnisten und leitende Redakteure haben nun aus Protest gegen den Wechsel des Vorstands der Cumhuriyet-Stiftung am vergangenen Freitag die wichtigste verbliebene Oppositionszeitung in der Türkei verlassen. Die Wahl einer mehrheitlich nationalistisch-konservativen Führung bei Cumhuriyet gilt als eine Operation des Präsidentenpalasts. Mit einem verblüffenden Schachzug soll Staatschef Tayyip Erdogan die stets lästige, die politische Führung des Landes herausfordernde Zeitung entmachtet haben.

Angeblicher Denunziant

Bei der Neuwahl des Stiftungsrats kamen der mittlerweile 82-jährige Alev Coşkun und dessen Verbündete wieder zum Zug. Coşkun war bereits von 1992 bis 2006 Vorstandschef der Stiftung, der Cumhuriyet. Er hatte die vorhergehende Wahl im Jahr 2013 angefochten. Das oberste Verwaltungsgericht in der Türkei produzierte nun ein Urteil, das den früheren Vorstand einsetzte und eine Neuwahl mit Coşkuns Rückkehr ermöglichte.

Coşkun vertritt einen traditionellen Kemalismus, die säkuläre, nationalistische Politik des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk, der 1924 mit Cumhuriyet die älteste türkische Zeitung ins Leben gerufen hatte. Coşkun wird vorgeworfen, die 2013 gewählte Führung der Zeitung bei Erdogan denunziert zu haben. Coşkuns Behauptungen über den damaligen Vorstandschef, die Chefredakteure und Kolumnisten sollen dann von der Justiz benutzt worden sein, um die Anklageschrift gegen die Cumhuriyet-Journalisten zu schreiben.

Coşkun selbst trat als Zeuge in dem international verfolgten Prozess auf. Er verwandte sich für jene Kollegen unter den Angeklagten, die er "besser kannte" und bat um deren Freilassung.

Im Cumhuriyet-Prozess ging es um den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die 2013 gewählte Führung der Zeitung und ein Teil ihrer Mitarbeiter hätten einen politischen Kurswechsel vollzogen, sowohl die Bewegung des Predigers Fe thullah Gülen als auch die kurdische Untergrundarmee PKK unterstützt und auf den Putsch im Juli 2016 hingearbeitet. Insgesamt 16 Journalisten und Manager der Zeitung wurden Ende 2016 in Untersuchungshaft genommen und blieben dort für ein Jahr oder länger.

Praktisch alle, die im Frühjahr 2018 verurteilt wurden und nun in einem Berufungsverfahren stehen, wurden vom neuen Zeitungsvorstand am Freitag entlassen oder gingen selbst. Chefredakteur Murat Sabuncu und der Büroleiter in Ankara, Erdem Gül, wurden als Erste gefeuert. (Markus Bernath, 11.9.2018)