In der nagelneuen, nunmehr offenen Küche von Mraz & Sohn in Wien-Brigittenau wird auf erhabene Art entspannt gekocht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Fleischtomate mit Dörrweichseln und Thai-Basilikum-Dashi ist eine rein vegetarische Geschmacksrakete erster Klasse zum Mond.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Vor der Tür sausen die türkischen, bosnischen, georgischen und sonst wie wienerischen Buben und Mädels auf Rollern durch die Gassen, dass es eine Gaudi ist. Drinnen sind drei mehr oder weniger rauschebärtige Herren dabei, den Gästen einen memorablen Abend zu bereiten.

Das Mraz & Sohn ist nicht nur wegen der Lage, tief drin im Arbeiterbezirk Brigittenau, eine Sehenswürdigkeit; nicht nur wegen der hierorts höchstmöglichen Bewertung von zwei Sternen durch Michelin oder der denkwürdigen Köstlichkeit des Essens. Sondern zuallererst wegen Markus Mraz, des Patrons, Küchenchefs und Eigentümers, der hier vor 27 Jahren ein Restaurant aufsperrte, es an die Spitze der heimischen Gastronomie führte, den größten Teil der Einrichtung selbst baute und mit Sohn Manuel (im Bild oben links) einen herausragenden Gastgeber und Restaurantleiter formte.

Mraz ist 49, hat Erfahrung, Kraft, Inspiration, Erfolg. Und beweist am Zenit die Größe, sich zurückzunehmen – und seinem zweiten Sohn Lukas (im Bild oben in der Mitte) die Freiheit zu geben, die Linie des Betriebes ab nun entscheidend mitzugestalten. Für die Wiener Restaurantszene ist das, so viel vorweg, ein Geschenk von kaum zu überschätzender Wirkung.

14 Gänge

Lukas Mraz ist einer der klügsten und international längst begehrtesten Köche, die das Land seit Jahren hervorgebracht hat. Er hat sich zum Darling der Berliner Szene (Cordobar) hochgekocht, unterhält mit Philip Rachinger (Mühltalhof) und Felix Schellhorn (irgendwo zwischen Paris und Bad Gastein) ein auf exklusiven Fressfestivals herumgereichtes, anarchisch-geniales Kochkollektiv (Healthy Boy Band) und versteht es auch sonst, die Begeisterung für verdammt gutes Essen gerade bei jungen Gästen zu wecken.

Über den Sommer wurde gemeinsam umgebaut: Die Küche bestimmt nunmehr den ersten Raum, das prestigereiche Pickerl mit den Michelin-Sternen ist von der Eingangstür gekletzelt, aus den Lautsprechern pumpen James Brown und andere Funk-Helden heiß flimmernde Vibrationen durchs Lokal – vom Hifi-Plattenspieler, der ganz hinten thront.

Und Wien darf sich über ein Restaurant freuen, das mit erhabener Entspanntheit ein Menü serviert, für das man in dieser Präzision und Lässigkeit bislang weit fahren musste. 14 Gänge um 140 Euro, viele davon vegetarisch, etliche mit nominellen Luxuszutaten wie Kaviar oder Trüffeln, alle mit gewaltigem Zug zum Tor. Lukas Mraz steht sich's auf großen Wohlgeschmack und liefert genau den in Stakkato-Rhythmus.

Hot Wien

Bei Tisch angemachtes Verjus-Ceviche von der Reinanke aus dem Millstätter See haut einen mit seiner rohen Aromenpower fast vom Sessel vor Glück; mit Raclette gefüllte Dalken samt Uralt-Essig von Gölles sind zum Fingerverbrennen gut; Fleischtomate mit Dörrweichseln und Thai-Basilikum-Dashi (siehe Bild) ist eine rein vegetarische Geschmacksrakete erster Klasse zum Mond; Cacio e Pepe vom Enokipilz eine ebenso witzige wie hochemotionale Verneigung vor allen Küchengöttern Chinas und Italiens.

So geht es in einem fort: Erdapfel mit Haselnuss und Trüffel steht Mitte September schon als subtil geilster Trüffelgang der Saison fest; endlich einmal forsch gegrilltes Lamm mit Apfel-Melasse und Thymian ist eine Hommage an die türkischen Nachbarn – und nach langem ein Fleischgang, den man nicht vergisst; Bries in wunderbar altmodischer Weinrahmsauce mit unbarmherzigem Kreneinsatz und göttlichem Liebstöckel-Aroma ist zum Drin-Ertrinken gut.

Und so weiter bis zum Post-Dessert in Form von "Mrazys" Eismarillenmochi, einer atemberaubend köstlichen Japanisierung des Klassikers, die mit verschmitztem Zungenschnalzen hinüber grüßt ans andere Ende der Stadt. Danke! So heiß war Wien schon lange nicht mehr. (Severin Corti, RONDO, 14.9.2018)

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