Der Niederländer Niek Klazinga (61) ist Koordinator des Health Care Quality Indicator Programme (HCQI) bei der OECD und Professor für Sozialmedizin am Academic Medical Centre der Universität Amsterdam.

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STANDARD: In welchem Land Europas hat man die die größte Chance, einen Herzinfarkt zu überleben?

Klazinga: In vielen Ländern gibt es eine sehr gute kardiale Versorgung, und die Ergebnisse haben sich in den vergangenen 15 Jahren systematisch verbessert. Ich würde meinen, dass sie zum Beispiel in Frankreich besonders gut ist. Hier gibt es eine eigene Notfalltelefonnummer für akute Herzprobleme. Es ist auch sichergestellt, dass Diagnose und Erstbehandlung bereits im Krankenwagen stattfinden und alle Patienten rechtzeitig katheterisiert werden.

STANDARD: Wie sieht es damit in Österreich aus?

Klazinga: Bei der Versorgung von Schlaganfällen ist Österreich zum Beispiel überdurchschnittlich gut, bei der 30-Tage-Überlebensrate nach Herzinfarkten liegt Österreich etwa im Mittelfeld. Ich würde mir aber keine Sorgen machen: Die Versorgung funktioniert hierzulande im Durchschnitt sehr gut. Es wäre aber schon interessant, zu wissen, ob es regionale Unterschiede gibt.

STANDARD: Die OECD vergleicht Gesundheitsdaten über Ländergrenzen hinweg. Wie gut funktioniert das?

Klazinga: Die internationale Vergleichbarkeit ist in der Tat eine große Herausforderung. Lange Zeit hat man sich daher auch weitgehend auf Todesstatistiken beschränkt, da diese einigermaßen einheitlich erhoben und ausgewertet werden können. Viel aussagekräftiger sind aber natürlich spezifischere Outcome- und Qualitätsdaten.

STANDARD: Wie misst man die Qualität?

Klazinga: Die verfügbaren Daten sind leider sehr unterschiedlich. Manche Länder haben sehr gute Qualitätsregister und standardisierte Patientenbefragungen, andere haben kaum Informationen über die Qualität der Versorgung. Das macht natürlich auch den Vergleich schwierig.

STANDARD: Kurz gefragt: Sind die teuersten Gesundheitssysteme auch die besten?

Klazinga: Natürlich spielt es eine Rolle, wie viel Geld ein Land für Gesundheit ausgibt. Aber nicht nur. Auch die Gerechtigkeit und Wirksamkeit in der Versorgung sind sehr wichtige Faktoren. Die USA stecken sehr viel Geld in das System, erreichen damit aber nur einen Teil der Bevölkerung. In Österreich hingegen melden nur wenige Haushalte einen ungedeckten Bedarf in der medizinischen Versorgung. Es gibt auch nur geringe Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. Aber Österreich hat auch ein teures Gesundheitssystem. Die Ausgaben übersteigen den EU-Durchschnitt um 1000 Euro pro Kopf.

STANDARD: Österreich fällt in den OECD Vergleichen vor allem wegen seiner vielen Krankenhausbetten auf.

Klazinga: Österreich hat in der EU nach Bulgarien die zweithöchste Rate an Krankenhausentlassungen. Im Gegensatz dazu ist die Primärversorgung schwach ausgeprägt. Gerade bei chronischen Erkrankungen wie Asthma, COPD oder Diabetes wären viele Spitalsaufnahmen vermeidbar. Das soll sich nun durch die Gesundheitsreform ändern.

STANDARD: Österreich liegt auch an der Spitze bei der Zahl der Knietransplantationen. Ist das nun gut oder schlecht?

Klazinga: Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Wir bräuchten dazu Informationen über die Ergebnisse der Behandlungen. Wie hoch ist die Reoperationsrate? Wie viele Komplikationen und unerwünschte Nebenwirkungen gibt es? Wie zufrieden sind die Patienten mit dem Ergebnis? In manchen Ländern – wie etwa Kanada, Großbritannien, Schweden, Norwegen und den Niederlanden – füllen Patienten vor und nach solchen Behandlungen standardisierte Fragebögen aus. Das bringt eine sehr wertvolle Diskussion über realistische Erwartungen und Patientenpräferenzen. Und man kann auch besser erkennen, wo unnötige Leistungen erbracht und Ressourcen verschwendet werden. (Andrea Fried, 12.9.2018)