Tobias aus Österreich und Tina aus China brachten chinesische Hochzeitsbräuche nach Reichenau.

Foto: Johannes Hloch

Nein, Wasabi zum Frühstück hatte sich Tobias nicht gewünscht, als er um Tinas Hand angehalten hat. Aber nun ist sein Hochzeitstag, und auf dem Teller vor ihm liegen vier Toastscheiben, die mit der scharfen grünen Masse beschmiert sind. Tinas Brautjungfern haben auf den Scheiben ihren Namen mit Wasabi geschrieben: T – I – N – A. Und Tobias muss nun so lange an den unbedeckten Brotstellen herumknabbern, bis nur noch die grünen Buchstaben übrig bleiben. Am Loch im A wäre er beinahe gescheitert.

Tobias heiratet zwar in Reichenau an der Rax, doch die Rituale aus China, Tinas Heimatland, sind heute auch seine Rituale. "Nao Dong Fang" heißt die Tradition, bei der Freunde das Brautpaar mit absurden Aufgaben und Fragen auf die Probe stellen. Die achtstellige Nummer von Tinas Hongkong-ID-Card? Ihr Geburtstag nach chinesischem Mondkalender? Beantwortet Tobias eine Frage falsch, überreicht er den Brautjungfern kleine rote Kuverts voller Geldscheine. So befehlen es die Brautjungfern, so befiehlt es die Tradition.

Österreichische Hochzeit mit chinesische Akzenten: Fotos erinnern an die Erlebnisse von Tobias und Tina.
Foto: Philip Pramer

Das Hotel als Elternhaus

Reichenau an der Rax, die 2600-Einwohner-Gemeinde am Fuße des Wiener Hausbergs, verwandelt sich an diesem Morgen in ein kleines China. Im Kurhotel Marienhof sitzt Tina in einem kunstvoll bestickten roten Kleid auf dem Bett. Sie trägt einen Haarreifen aus kleinen Blumen und roten Bändern. Nur Schuhe trägt sie nicht, die haben die Brautjungfern versteckt. Erst wenn Tobias diese gefunden hat, darf er Tina aus ihrem in sein Elternhaus tragen. Weil das in Asien steht, trägt er sie heute ins nächste Hotel.

Bei Tobias und Tinas Hochzeit treffen verschiedene Kulturen aufeinander. Fast 45.000 Paare ließen sich vergangenes Jahr auf österreichischen Standesämtern trauen. Bei jedem fünften davon haben, so wie in Tobias und Tinas Fall, entweder Braut oder Bräutigam keine österreichische Staatsbürgerschaft. Bei knapp acht Prozent kommen beide aus dem Ausland. Andere sind schon in dritter Generation hier und zelebrieren dennoch die Rituale ihrer Eltern – so auch Neslihan und Adem, die nicht in einem niederösterreichischen Dorf, sondern in einer Veranstaltungshalle in Floridsdorf ihre türkische Hochzeit feiern.

Diese beiden und tausende andere multikulturelle Paare – Migranten in zweiter und dritter Generation, Kinder und Kindeskinder von Gastarbeitern – nehmen bei ihren Hochzeiten Traditionen auseinander und stellen sie neu zusammen. Sie heiraten, umgeben von engsten Vertrauten oder vom aufgeblähten Bekanntenkreis, und feiern im Eventcenter, im Grünen oder in historischen Bauten.

Modern, aber mit Segen

Erzherzog Karl Ludwig ließ Ende des 19. Jahrhunderts das Schloss Wartholz erbauen. Otto von Habsburg, der letzte Kronprinz der österreichisch-ungarischen Monarchie, wurde darin geboren. Dutzende Male erzählte Tobias' Großvater ihm diese Geschichte, wenn die beiden daran vorbeifuhren. Auf das Grundstück konnten sie damals nicht, es war im Privatbesitz. Heute wird Tobias hier heiraten.

Das Wiener Streichquartett setzt ein. Rund 60 Gäste aus Bayern, aus Hongkong, aus allen Ecken Chinas sind versammelt. Im Schatten der Tannen führt Immanuel Fiausch die Trauung durch – abwechselnd auf Deutsch und Englisch. Der Theologe, Unternehmensberater und ehemalige Pastor der Pfingstkirche arbeitet unabhängig vom Klerus, er führt sogenannte freie Trauungen durch: Paare können bei Fiausch ihre Zeremonie selbst gestalten, Religion rückt in den Hintergrund. Die meisten wollen moderne Trauungen, erzählt er, und in den Reden wollen sie Anekdoten aus ihrem Leben hören, "aber den Segen Gottes wollens dann schon noch".

Liebesgeschichte im Schnelldurchlauf

Auch Tobias' und Tinas Liebesgeschichte erzählt der Theologe im Schnelldurchlauf. Von damals, als Tobias sich in die Praktikantin im roten Kleid verliebte, und von jenem Tag, an dem er im japanischen Rehpark um ihre Hand anhielt. Heute steht sie im Brautkleid neben ihm, Tränen laufen ihr übers Make-up. Die chinesischen Gäste wischen auf Smartphones und blättern in Broschüren. Dank Übersetzung fließen auch bei Tinas Freundinnen erste Tränen.

Die Agape – das Anstoßen direkt nach der Trauung – findet auf der großzügigen Schlossterrasse statt. Die Österreicher kühlen sich auf den Stiegen des Schlosses ab, plaudern über vergangene Zeiten. Ein Paar aus Hongkong lässt sich durch die Sonne nicht stören. Sie blicken beide auf den Schlossgarten. Das Schönste sei die grüne Wiese, sagt der 40-Jährige: "Man kann darauf gehen, sich hinsetzen." In Hongkong sei das strikt untersagt. Da fänden Hochzeiten drinnen statt, oft in Hotels. "Dort geben sie dir nur zwei, drei Stunden für die Feier – inklusive Zeremonie", sagt die Frau. Am Standesamt würden die Paare oft in 15 Minuten abgefertigt.

Nur Hälfte aller Wiener Ehen zwischen Österreichern

Auf den Wiener Standesämtern wurden 2016 knapp 10.000 Ehen geschlossen. Nur die Hälfte zwischen autochthon Österreichern. Bei gut 1700 Trauungen stammen beide Ehepartner, bei 3500 je einer aus dem Ausland. Adem und Neslihan leben beide schon seit ihrer Geburt in Österreich. Türkische Traditionen sind trotzdem Bestandteil ihrer Hochzeitsfeier. Manche zumindest.

Adem lässt den schwarzen Lamborghini aufheulen, bevor er aussteigt, um seine Freunde abzuklatschen. "Heast, hoi erst amal dei Frau", sagt einer von ihnen. Der 24-Jährige öffnet die Beifahrertür und hilft Neslihan aus dem Wagen. Die Hennazeremonie, den Polterabend und ein Hupkonzert quer durch Wien haben sie hinter sich. Nun folgt die Feier.

Kopftücher und kurze Röcke

700 Gäste warten in der Mozaik-Eventhalle in Wien-Floridsdorf. Manche tragen Kopftuch, einige elegante Abendkleider, andere kurze Röcke. Nur ein Mann trägt den traditionellen Fes, den zylinderförmigen roten Hut. Als das Paar den Raum betritt, zünden die Gäste Wunderkerzen an, langsamer türkischer Pop wird gespielt. Adem küsst Neslihan auf die Stirn, sie wiegen sich eng umschlungen im Takt, bewegen sich kaum. In den schweren Rauchschwaden, die aus einer Nebelmaschine strömen, kniet ein Fotograf und zupft am Saum des Brautkleids.

Neslihan und Adem heirateten in einer Eventhalle in Floridsdorf.
Foto: Elisa Tomaselli

Wie auf ein Signal formiert sich plötzlich ein Kreis um die Tanzfläche. In der Mitte steht Adem. Er sieht seiner Frau tief in die Augen und breitet die Arme aus, als wolle er losfliegen. Ein schnelles Geigen-Stakkato beginnt. Und Adem dreht sich im Kreis und stampft auf. Seine Bewegungen erinnern an einen Adler, der eine Artgenossin beeindrucken will. "Efes" heißt dieser Tanz, Krieger im Mittelmeerraum tanzten ihn früher, um ihren Feinden Angst einzujagen. Heute tanzen ihn Ehemänner auf Hochzeiten, während einige Gäste den Bräutigam mit Dollarscheinen bewerfen und andere sie aufsammeln.

Emotionaler Höhepunkt einer türkischen Hochzeit ist das Hennafest. Bei dieser Hochzeit wurde es drei Tage zuvor gefeiert, Neslihans bemalte Handflächen zeugen davon. Auf dem Hennafest verabschiedete sie sich symbolisch von ihrer Familie. Der Hochzeitstag selbst ist der materielle Höhepunkt der Vermählungszeremonie.

Manche tragen Kopftuch, einige elegante Abendkleider, andere kurze Röcke.
Foto: Elisa Tomaselli

Gold und Geld

Nach dem Essen formt die Menge erneut einen Kreis, eine Familie nach der anderen übergibt ihr Geschenk. Der junge Musiker, der zuvor noch türkischen Pop aufgelegt hat, steht jetzt wie der MC eines Hip-Hop-Konzerts da und sagt lautstark durch, wer was schenkt: Geld! Gold! Schmuck! Eine Reise in die Dominikanische Republik! Am Ende der Zeremonie sind die Arme der schmalen Braut bis zu den Ellenbogen mit goldenen Armreifen behängt.

Nur noch ein paar Männer sitzen im Rauchersalon nebenan, ziehen an Zigaretten und trinken Raki. 75 türkische Hochzeiten hätten sie heuer im Mozaik-Eventcenter, erzählt Turan, der Barmann, während er Kaffeetassen und Schnapsgläser füllt. "Dazu noch ein paar afghanische und ein paar Balkan-Hochzeiten", sagt er in breitem Wiener Dialekt.

Auf einer wirklich traditionellen Hochzeit würde Turan nicht Efes, Chivas Regal und Raki servieren. Es gäbe weder Alkohol noch Musik – stattdessen würde jemand Koranverse rezitieren. "Die Jugend vereint alte und neue Kultur", sagt ein Freund des Brautvaters. In seiner Generation haben die Eltern entschieden, wie geheiratet wird. Er nimmt einen Schluck vom Whiskey Cola und wirkt froh darüber, dass die Zeiten sich ändern. (Laura Anninger, Philip Pramer, Gabriele Scherndl, Elisa Tomaselli, 15.9.2018)