Der Handel zwischen China und den USA wird durch die Strafzölle massiv beeinträchtigt.

Foto: Imago

In China liegen die Nerven blank seit der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, seine bisherigen 25-Prozent-Strafzölle auf China-Importe in Höhe von 50 Milliarden Dollar um weitere Zehn-Prozent-Zölle auf 200 Milliarden Dollar Warenwert aufzustocken. "Jeder ist hier ziemlich nervös", meinte ein Mitarbeiter der EU-Handelskammer in Peking. "Wir rechnen damit, dass China mit Vergeltungszöllen auf US-Importe in Höhe von 60 Milliarden Dollar antwortet. Dann würden sich beide Kontrahenten erst richtig hochschaukeln."

Trump drohte bereits, er wolle bis Ende 2018 seine Zehn-Prozent-Strafzölle auf 25 Prozent erhöhen, falls China mit Vergeltung reagiert. Am Montag hatte er triumphierend in einem Tweet gedroht: "Strafzölle haben die USA in eine starke Verhandlungsposition gebracht, mit Milliarden Dollar und Jobs, die in unser Land flossen ... Wenn Länder nicht bereit zu fairen Deals mit uns sind, werden wir sie weiter 'strafverzollen'."

Neue Unwägbarkeiten

Das chinesische Handelsministerium wies Trumps Strafzölle Dienstagnachmittag brüsk zurück. China werde am 24. September zurückschlagen, wenn sie in Kraft treten. Es drohte, dass auch die mit den USA vereinbarten Gespräche Ende September auf dem Spiel stünden. "Die USA wollen unbedingt Zölle erhöhen. Das bringt für die Verhandlungen zwischen beiden Seiten neue Unwägbarkeiten."

Die EU-Unternehmen sitzen zwischen Mühlsteinen, den Folgen von Trumps entfesseltem Handelskrieg und ihren eigenen Problemen mit Chinas Reformstau, sagte EU-Kammerchef Mats Herborn anlässlich der Vorstellung des neuen Positionspapiers der europäischen Wirtschaft. "Wir halten Zölle zwar für ungeeignete Mittel. Aber dieser Handelskrieg wird von Chinas Reformdefizit angetrieben", sagte Herborn. "Der Ball liegt im Hof Pekings."

Refordefizit

Erstmals steht der EU-Jahresbericht unter dem Oberbegriff von "Chinas Reformdefizit" in allen Bereichen, besonders infolge der Kluft zwischen hohem Wachstumstempo und der zu langsamen Geschwindigkeit der Reformen. Die englischsprachige Ausgabe des Positionspapier ist 388 Seiten stark, mit einem Rekord an Ratschlägen der 1.600 EU-Mitgliedsfirmen, wie China den Zugang von Auslandsunternehmen zu seinen protektionistisch geschützten Märkten für Güter und Dienstleistungen gerechter und gleicher machen kann.

Solche Forderungen stellen auch die USA, um so ihr horrendes Handelsdefizit mit China abbauen zu können. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres stieg es um weitere acht Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 233,5 Milliarden Dollar. Im ganzen Jahr 2017 waren es 375 Milliarden Dollar.

Hinhaltetaktik

Für die EU ist das Positionspapier die dritte Publikation in diesem Jahr, in der die Kammer die Hinhaltetaktik der Pekinger Führung kritisiert. "China muss endlich Initiative zeigen, dass es seine Reformen ernst meint. Auch wir sind sehr enttäuscht über ihr Ausbleiben", sagte Herborn. Er verlangt von Peking klare Signale seiner Reformbereitschaft – gerade gegenüber den gepäppelten und subventionierten Staatsunternehmen (SOE), die nur 30 Prozent der Wirtschaft ausmachen, aber 70 Prozent aller Finanzierung schlucken, Monopole bilden und für Überkapazitäten sorgen. Die EU-Kammer hofft, dass auf Chinas großer SOE-Konferenz Ende September wirkliche Reformen auf der Agenda stehen. Wenn Peking sie wieder vertage, wäre das in der aktuellen Lage eine "Provokation".

Investitionsstau

Eine Umfrage zum Zollstreit hat die EU-Kammer Anfang September besonders alarmiert. Zehn Prozent der EU-Firmen, die ihre Produkte in den USA oder in China für das jeweilige andere Land herstellen oder Zulieferungen erhalten, wollen relevante Teile ihrer Produktion aus China oder den USA verlagern. Fünf Prozent wollen sich nach neuen Zulieferern umschauen, 17 Prozent schieben geplante Investitionen auf die lange Bank.

Bild nicht mehr verfügbar.

Trump ist stolz auf sich und sein Dekret zu den Strafzöllen.
Foto: Reuters/Jonathan Ernst

Die EU-Mitgliederumfrage war vor Trumps Bekanntgabe des 200-Milliarden-Dollar-Pakets durchgeführt worden. "Wenn wir jetzt fragen würden, hätten wir ganz andere, viel höhere Zahlen", sagte Herborn. Die US-Handelskammer in China (Amcham) ließ ihre 3.000 Mitglieder befragen, aber im Voraus auch nach den Folgen des 200-Milliarden-Pakets. Fast ein Drittel (31 Prozent) antworteten, ihre Entscheidungen über Neuinvestitionen erst einmal zu verschieben.

Kritik an China wächst

Amcham-Chef William Zarit sagte, dass die Amcham-Unternehmen wegen ihrer Vernetzung mit globalen Zulieferketten von den neuen US-Zöllen stärker betroffen werden als von Chinas Gegenzöllen. Die US-Zölle wirkten sich auf drei von vier US-Unternehmen aus, Chinas angekündigte Gegenzölle auf zwei von drei US-Unternehmen.

Im Handelskrieg zwischen den USA und China kommen den ausländischen Handelskammern, die Pekings Regierung zu Marktreformen aufrufen, Wirtschaftspolitiker aus China und dem Ausland zu Hilfe. Sie forderten Peking am Wochenende auf, seine Reformversprechen zu erfüllen und so zugleich ein Signal zum Ende des Handelskriegs zu setzen.

Sonderkonferenz

So lud das Forschungszentrum des Staatsrat namhafte Experten zu einer Sonderkonferenz ein, unter Vorsitz des früheren Zentralbank-Gouverneurs Zhou Xiaochuan und des ehemaligen Goldman-Sachs-Präsidenten John Thornton. Ihre Reden wurden in chinesischen Medien veröffentlicht. Der frühere Weltbankchef und China-Freund Robert Zoellick forderte Peking auf, endlich zu handeln. Er warf den Staatskonzernen vor, die Privatunternehmen zu verdrängen. Zoellick kritisierte auch den erzwungenen Technologietransfer und die regulatorischen Begrenzungen für ausländische Unternehmen.

Der Reformdruck war zugleich Thema einer Großkonferenz des Forums "Chinas 50 Wirtschaftsökonomen", die die bekanntesten Wirtschaftsreformer des Landes unter Leitung des Chefunterhändlers mit den USA und Vizepremiers Liu He zusammenbrachte. Sie debattierten 40 Jahre Wirtschaftsreformen und die Frage, warum Peking sich einen Reformstau nicht leisten kann.

Der Ökonom Yang Weimin warnte, dass Chinas neue Ära nicht nur nach Reformen rufe, "sondern nach beschleunigten und allumfassenden Reformen". Die derzeit niedrige Produktivität und der phasenweise Niedergang von Industrien seien eine Folge dessen, dass weniger der Markt als wieder der Staat entscheide. Gewarnt wurde auch immer wieder vor dem Vertrauensverlust in den Pekinger Reformwillen. (Johnny Erling aus Peking, 18.9.2018)