Viele der rätselhaften Fossilien aus dem Ediacarium lassen sich im Stammbaum kaum befriedigend einordnen – Dickinsonia ist eine davon.
Foto: Ilya Bobrovskiy

Nach allem, was sich aus bisherigen Funden schließen lässt, hat sich das Leben auf unserem Planeten verblüffend früh entwickelt. Die ältesten bekannten Mikrofossilien wurden 1992 in der Apex-Chert-Formation in Australien entdeckt und kürzlich auf ein Alter von annähernd 3,5 Milliarden Jahren datiert. Bedenkt man, dass diese bereits recht komplexen unterschiedlichen Mikrobenarten wohl eine Weile gebraucht haben, um sich zu entwickeln, könnten die ersten lebenden Zellen schon 500 Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde aufgetaucht sein.

Evolutionär ereignisreich

Bis zu den heute bekannten Tiergruppen war es dann allerdings noch ein weiter Weg. Umso überraschender ist es, dass die ersten Vertreter dieser modernen Stämme wie aus dem Nichts die Bühne zu betreten schienen: Zu Beginn des Kambriums vor 541 Millionen Jahren verzeichnen Paläontologen plötzlich einen fossilen Formenreichtum, der geologisch gesehen kurze Zeit davor noch nicht vorhanden war. Experten sprechen daher von der Kambrischen Artenexplosion.

Dickinsonia konnte bis zu eineinhalb Meter groß werden. Dieses nun im Nordwesten Russlands entdeckte Exemplar belegt, dass es sich bei dem Wesen wohl um eines der ersten Tiere gehandelt hat.
Foto: Ilya Bobrovskiy / Australian National University

Mittlerweile geht man in der Fachwelt jedoch etwas vorsichtiger mit diesem Begriff um. Eine wachsende Zahl von Funden lässt vermuten, dass das unmittelbar vorangegangene Zeitalter evolutionär doch mindestens ebenso ereignisreich war wie das Kambrium.

Besonders der letzte Abschnitt des Ediacariums vor 575 bis 541 Millionen Jahren ist von teilweise bizarren Fossilien geprägt, die nur wenig mit späteren Organismen gemein haben. Kein Wunder also, dass bis heute darüber diskutiert wird, wo im Stammbaum diese fremdartigen Lebewesen anzusiedeln sind. Das trifft insbesondere auf Dickinsonia zu, eine ovale wenige Millimeter bis eineinhalb Meter große Kreatur, deren Lebensweise sich aus ihrem überlieferten Bauplan bisher nicht erschließen ließ.

Video: Ist Dickinsonia einer unser frühesten Vorfahren?
ANU TV

Einzeller, Pilz oder doch ein Mehrzeller?

Manche halten Dickinsonia für eine Art Pilz, andere interpretieren die segmentierten Fossilien als riesige, einzellige Protisten, und wieder andere sehen in ihnen Vertreter eines gänzlich fremden, mittlerweile wieder ausgestorbenen Lebenszweigs. Zuletzt mehrten sich allerdings Hinweise darauf, dass dieses Wesen ein echtes, wenn auch primitives mehrzelliges Tier war und womöglich eine der Wurzeln aller späteren Organismen darstellte.

Diese Annahme dürfte nun von einem Team um Ilya Bobrovskiy von der Australian National University in Canberra bestätigt worden sein, was einem sensationellen Fund am Weißen Meer im Nordwesten Russlands zu verdanken ist. Den Forschern ist es erstmals gelungen, ein Dickinsonia-Fossil freizulegen, an dem sich noch Überreste von organischem Material nachweisen ließen. Die Wissenschafter nutzten diese einmalige Chance und unterzogen die geborgenen organischen Substanzen einer eingehenden biochemischen Analyse.

Organische Moleküle gaben Aufschlüsse, darüber, welche Art Lebewesen Dickinsonia tatsächlich war.
Foto: Ilya Bobrovskiy

Verräterisches Fett

Das Ergebnis untermauert frühere Annahmen, denn wie Bobrovskiy und seine Kollegen im Fachjournal "Science" berichten, fand sich in dem Fossil Cholesterin, also Fettmoleküle, die als Kennzeichen von tierischem Leben gelten. In benachbarten mikrobiellen Sedimenten aus derselben Ära identifizierten die Forscher dagegen nur geringe Spuren dieser spezifischen Biomarker. Auch Ergosterin, das typischerweise in Zellwänden von Pilzen vorkommt, haben die Wissenschafter in dem Fossil nicht nachweisen können.

Dass es sich bei Dickinsonia um riesige Einzeller handelt, konnten die Wissenschafter auch durch eine weitere Untersuchung ausschließen. Sie analysierten Lipide von mehreren Mikroorganismen, die noch heute in der antarktischen Tiefsee und dem Mittelmeer vorkommen. Im Labor simulierten sie die geologischen Veränderungen, denen die Fettmoleküle über Jahrmillionen ausgesetzt gewesen wären. Auch hier ergab sich eine andere Zusammensetzung der Fette als jene, die bei dem Dickinsonia-Fossil festgestellt worden war.

"Diese fossilen Fettmoleküle belegen somit, dass tierisches Leben schon während des Ediacariums reichlich vorhanden war", schließt Jochen Brocks, Koautor der Studie, aus der Untersuchung. "Damit zeigt sich, dass echte Tiere schon mehrere Millionen Jahre früher existierten, als man bislang angenommen hatte." (Thomas Bergmayr, 20.9.2018)