Ein Kämpfer der mit der Türkei kooperierenden Rebellengruppe Nureddine al-Zengi in der Nähe von Aleppo.

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Syrien soll S-300-Luftabwehrsysteme erhalten.

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Nach dem versehentlichen Abschuss eines russischen Aufklärers durch syrische Raketenabwehr vor einer Woche, für den Russland Israel verantwortlich macht, schienen sich die beiden Staaten zuerst um Schadensbegrenzung zu bemühen: Präsident Wladimir Putin sprach von einer "Verkettung unglücklicher Umstände". Aber am Montag gab Verteidigungsminister Sergei Schoigu Maßnahmen bekannt, die anhaltenden russischen Ärger widerspiegeln.

Innerhalb von zwei Wochen, so Schoigu in einem TV-Statement, wird Syrien mit dem S-300-Luftabwehrsystem ausgestattet – das Moskau, auf israelischen Druck, dem Assad-Regime bisher vorenthielt. Zuletzt hatte Moskau im April, nach einem gemeinsamen Luftangriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf syrische Einrichtungen, die Lieferung der S-300 an Damaskus erwogen, aber wieder darauf verzichtet.

Nun scheint es so weit zu sein. Die syrische Luftabwehr wird zudem mit einem Feind/Freund-Erkennungssystem ausgestattet sowie mit Elektronik zur Störung der Systeme von in den syrischen Luftraum einfliegenden fremden Flugzeugen.

Neue Einsatzregeln

Wird das alles tatsächlich umgesetzt, läuft es auf völlig neue, von Russland erstellte Einsatzregeln für Israel in Syrien hinaus. Israel ist in Syrien militärisch weit intensiver engagiert als gemeinhin öffentlich wahrgenommen. Der israelische Geheimdienstminister Israel Katz bestätigte vor kurzem Berichte, wonach Israel allein seit 2017 rund 200-mal Ziele in Syrien angegriffen habe. Für die Israelis geht es darum, die iranische Präsenz in Syrien sowie die Aufrüstung der Hisbollah, die vom Iran gelieferte Waffen von Syrien in den Libanon bringen könnte, einzudämmen.

Was den Abschuss der Il-20 betrifft, beschuldigen die Russen die israelische Luftwaffe, das russische Flugzeug bei einem Einsatz quasi als "Deckung" benützt und die Reaktion der syrischen Luft abwehr darauf gelenkt zu haben. Gewisse Punkte der russischen Interpretation sind laut Experten nicht ganz nachvollziehbar, aber Moskau packt die Gelegenheit beim Schopf. Schoigu sagte zwar, dass sich die Aufrüstung Damaskus’ nicht gegen ein bestimmtes drittes Land richte, erwähnte aber, dass die Maßnahmen "Hitzköpfe" eindämmen sollten. Die Russen sind auch deshalb so verärgert, weil sie ihrer Ansicht nach den israelischen Sicherheitsbedürfnissen stark entgegengekommen sind, als sie dafür sorgten, mit dem Iran verbündete Kräfte nachhaltig von der israelisch-syrischen Grenze zu entfernen.

Arbeit an Idlib-Zone beginnt

Russland und die Türkei intensivieren indes ihre Vorbereitung der entmilitarisierten Zone um Idlib. Am Freitag sollen die geografischen Details des 15 bis 20 Kilometer breiten Gürtels festgelegt worden sein, der von Russland und der Türkei gemeinsam überwacht wird. Die Einrichtung soll bis 15. Oktober erfolgen und eine syrisch-russische Offensive auf die von Rebellen gehaltene Stadt Idlib unnötig machen. Die Türkei will garantieren, dass russische Militäranlagen nicht mehr von Idlib aus angegriffen werden.

Der Teufel liegt wie immer im Detail, in diesem Fall des Zehnpunkteplans, auf den sich die Präsidenten Putin und Tayyip Erdogan vor einer Woche in Sotschi einigten. Wichtig für die Syrer etwa ist die beschlossene Wiederöffnung der Transitrouten M4 und M5 (Aleppo–Latakiya, Aleppo–Hama), die ebenfalls von Türken und Russen gesichert – und kontrolliert – werden sollen. Ohne minimale türkisch-syrische Verständigung wird das schwierig. Oder die Frage nach der Ab rüstung in der entmilitarisierten Zone: Werden die Rebellen ihre schweren Waffen abziehen, werden sie sie abgeben und an wen?

Die von der Türkei abhängigen Rebellen, etwa 70.000, haben mit Vorbehalten ihre Kooperation zugesagt. Die Entscheidung der mit etwa 15.000 Kämpfern mächtigsten einzelnen Gruppe HTS, unter ihrem inzwischen aufgegebenem Namen Nusra-Front bekannt, ist noch offen. Die HTS fällt prinzipiell nicht unter eine Waffenruhe, sie gehört auch laut Verständnis der Assad-Gegner zu den terroristischen Vereinigungen. Ein Teil könnte sich unter den türkischen Schirm begeben, aber wahrscheinlich nicht alle. HTS-Abtrünnige haben sich bereits unter dem Namen Huras al-Din (Wächter des Glaubens) gesammelt und bekennen sich zu Al-Kaida. Sie wollen weiterkämpfen. (Gudrun Harrer, 24.9.2018)