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Das Bild vom Neandertaler hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gehörig gewandelt. Unsere ausgestorbenen Verwandten waren uns in vieler Hinsicht ähnlich.

Foto: Reuters/NIKOLA SOLIC

Illustration von Muskelansatzmarken für Kraftgriffe (violett) und Präzisionsgriffe (blau).

Illustration: Senckenberg

Tübingen/Basel – Neandertaler konnten fest zupacken, besondere Fingerfertigkeit traute man ihnen bisher aber nicht zu. Eine Studie in "Science Advances" kommt jetzt aber zu einem anderen Ergebnis: Analysen von Neandertaler-Handknochen und Vergleiche mit Homo-sapiens-Knochen deuten darauf hin, dass die Frühmenschen häufig sehr präzise Hand- und Fingerbewegungen ausführten.

Die Forscher um Katerina Harvati von der Universität Tübingen und Gerhard Hotz vom Naturhistorischen Museum Basel vermaßen und analysierten sogenannte Muskelansatzmarken, also Spuren an Neandertaler-Handknochen, wo die Muskeln und Sehnen mit dem Knochen verbunden sind.

Skelette aus dem 19. Jahrhundert

Diese verglichen sie mit den entsprechenden Spuren an Skeletten moderner Menschen, die zu einer Sammlung des Naturhistorischen Museums Basel gehören: Der Skelettserie vom Basler Spitalfriedhof. "Diese einmalige Sammlung aus dem 19. Jahrhundert bietet uns identifizierte Skelette mit Informationen zu den Lebensumständen und Berufen der Verstorbenen", sagte Hotz.

Der Vergleich erlaubte den Wissenschaftern herauszufinden, ob die Frühmenschen im Alltag hauptsächlich Kraftgriffe oder Präzisionsgriffe ausführten – also ob die Muskelansatzmarken an den Neandertalerhänden eher den Spuren an den Handknochen beispielsweise eines Schmieds oder eher jenen einer Näherin entsprachen.

Präzise Bewegungen

Beim Kraftgriff kommen die ganze Handinnenfläche und alle Finger zum Einsatz, beim Präzisionsgriff hauptsächlich die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger. Das Ergebnis: Keiner der Handknochen der sechs untersuchten Neandertalerskelette zeigte Spuren, die auf den hauptsächlichen Einsatz von Kraftgriffen schließen lassen.

Das Bild vom kräftigen, aber grobmotorischen Neandertaler stimme daher nicht: "Wie moderne Menschen waren Neandertaler kompetente Werkzeugmacher und -nutzer, die bei ihren täglichen Aktivitäten überwiegend präzise Hand- und Fingerbewegungen vollführten", fasste Harvati die Ergebnisse zusammen.

Hinweise auf feinmotorische Fähigkeiten der Frühmenschen hatten bereits Artefakte geliefert: Neandertaler nutzten beispielsweise Knochenwerkzeuge, um Felle zu bearbeiten, die mit präzisen Handgriffen verwendet werden mussten. Ob diese ihren Alltag prägten oder nur vereinzelt eingesetzt wurden, war jedoch bisher nicht klar. (red, 28.9.2018)