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Organisiert das Treffen am Attersee: FPÖ-Klubdirektor und Atterseekreis-Präsident Nemeth.

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Der Attersee und der Kreis derer, die sich dort trafen, wurde in den 1970er-Jahren zum Symbol für den Wandel der FPÖ von einer Sammelbewegung für ehemalige Nazis zu einer liberalen Partei.

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Linz – Der Begriff Utopie ist im allgemeinen Sprachgebrauch verankert. Was aber eine Dystopie (die pessimistische Zukunftsvorstellung) ist, werden viele Empfänger der Einladung zur ersten Tagung des Atterseekreises erst einmal nachschlagen müssen. "Europa – von der Utopie zur Dystopie" lautet der Titel der Veranstaltung, zu der sich rund 100 geladene Gäste am Samstag am Attersee einfinden werden.

Schon der Titel der Veranstaltung zeigt, dass hier nicht der durchschnittliche Wähler der FPÖ angesprochen werden soll, sondern ein gebildetes Publikum, das sich etwa mit der Frage "Wie der Gerichtshof der EU und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Politik machen" abwägend auseinandersetzen kann. Weitere Vorträge dieser Tagung befassen sich mit dem Europarat und dem EU-Vorsitz – wobei versichert wird, dass niemand einen Rückzug aus Europa, wie er in etlichen rechten Publikationen gefordert wird, wolle.

Theorie-Defizit der FPÖ

Vielmehr steckt hinter der vom oberösterreichischen Landesparteichef Manfred Haimbuchner betriebenen Wiederbelebung des Atterseekreises und seiner in den Siebzigerjahren auch mit Bruno Kreisky und Hannes Androsch gepflegten Diskussionskultur der Versuch, der Freiheitlichen Partei jenes intellektuelle Unterfutter zu verschaffen, das ihr in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen ist.

Da sich die FPÖ im äußeren Auftreten immer stärker auf den Themenkomplex Migration konzentriert hat, ist wenig aufgefallen, dass die Partei unter Jörg Haider sozialpolitisch weit nach links gerückt ist. Unter Haider gab es wenig politisch-theoretische Diskussionen in der Freiheitlichen Partei, sowohl der Atterseekreis als auch die ebenfalls längerfristigen politischen Visionen gewidmeten Weißensee-Gespräche sind unter seiner Obmannschaft bedeutungslos geworden. Politisches Theoretisieren überließ man den Burschenschaften, in der Partei ersetzten Haiders tagespolitische Ansagen die Grundsatzdiskussionen.

Haiders Lust am Umverteilen

Haider war ein Anhänger des Umverteilungsgedankens – er genoss es als Landeshauptmann, eigenhändig Geldgeschenke zu verteilen, natürlich nur an Landsleute.

Dies widerspricht allerdings der liberalen Grundhaltung, die dem Staat möglichst wenig Umverteilung zugestehen würde – schließlich ist ja das Geld, das verteilt wird, anderen Bürgern über die Besteuerung entzogen worden.

Norbert Nemeth, der Präsident des Atterseekreises und Organisator der Tagung am Samstag, sagt dazu: "Es sagt ja keiner, dass Umverteilung Diebstahl ist. Es hätte wohl katastrophale Folgen, wenn es keine Umverteilung gäbe. Aber man muss den Grundrechtseingriff so gering wie möglich halten." Das Grundrecht auf Eigentum zu schützen – auch durch Steuersenkungen – ist einer der liberalen Grundsätze, die Nemeth verstärkt bewusst machen will. Und er verweist auch auf die praktische Politik der türkis-blauen Regierung, die sich auf freiheitliches Betreiben eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent in ihr Programm geschrieben hat.

Gesellschaftliche Visionen

"Linke Politik will den Menschen alles wegnehmen und dann verteilen", sagt der freiheitliche Ideologe, der die Gleichmacherei ablehnt, die schon in ihrem ersten Großversuch in der Französischen Revolution zu Staatsterror geführt hat. Er setzt dem die Vision von einer Gesellschaft entgegen, "in der der Umverteilungsbedarf möglichst gering wäre" und sich die Menschen frei entfalten können.

Dem wirtschaftsliberalen Ansatz wird auch bei der Tagung am Samstag breiter Raum gewidmet, als Referentin ist Barbara Kolm geladen, die Friedrich von Hayeks neoliberale Wirtschaftstheorie ausbreiten wird. Im Attersee-Report, einer seit 2014 vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift, deren Konzeption sich vom rabiaten Grundton anderer rechter Publikationen unterscheidet, wurde zuletzt das freiheitliche Bekenntnis zum Privateigentum und die Gegenposition zum Sozialismus ausgebreitet.

"Am Ende scheiterten alle sozialistischen Systeme an ihrem antifreiheitlichen Charakter, der dem thymotischen Streben des Menschen widerspricht, an der Konzentration aller Macht in einer zentralistischen Bürokratie, an der Planwirtschaft, die mangels freier Preisbildung je zu einem verfehlten Ressourceneinsatz führen muss, an der kollektivistischen Gesellschaftsphilosophie, die Lohn nur für Fügsamkeit, nicht für Exzellenz verspricht, und an der Unfähigkeit zur friedlichen Kooperation mit Nachbarstaaten", schrieb der Attersee-Report-Chefredakteur Jörg Mayer.

"Ohne Staat ist das Volk nichts"

Präsident Nemeth bekennt sich als "radikaler Etatist", der sich in manchen Bereichen durchaus mehr europäische Integration vorstellen kann – etwa mit einer einheitlichen Straßenverkehrsordnung oder auch einer gemeinschaftlichen Armee. Dies aber unter der Bedingung, dass die EU-Mitgliedsstaaten dafür nicht nationalen Heere und ihre Souveränität aufgeben müssten. Den "freiheitlichen Urmenschen" definiert Nemeth als gesellschaftspolitisch konservativ und verfassungsrechtlich progressiv, sein Staatsverständnis lautet: "Ohne den Staat ist das Volk nichts. Erst durch den Staat wird das Volk zum Träger von Rechten."

Dem Atterseekreis hat er übrigens eine Walflosse als Logo verpasst. Er leitet seine Bedeutung aus dem Gleichnis vom Propheten Jona ab, der von einem Wal daran gehindert wird, in ein gottloses Land zu ziehen. "Der Wal, der die Flucht vor Gott verhindert, ein Symbol des starken Staates, der unsere zivilisatorischen Errungenschaften bewahrt und gleichzeitig unsere größte Errungenschaft ist." Der freiheitliche Mensch sei aufgerufen, seine schützende Hand über diesen Wal zu halten. (Conrad Seidl, 28.9.2018)