Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, da lebte auf Madagaskar der Elefantenvogel.
Illustration: Jaime Chirinos

Was war der größte Vogel aller Zeiten? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil "groß" kein präziser Begriff ist.

Nimmt man als Maß die maximale Körperausdehnung, dann ginge die Krone an Pelagornis sandersi. Er glitt vor 25 Millionen Jahren wie die Mammutversion eines Albatros über den Himmel und erreichte eine Flügelspannweite von sieben Metern. Das ist immer noch deutlich kleiner als die größten Flugsaurier des Erdmittelalters, übertrifft aber den Rekordhalter unserer Tage, den Wanderalbatros, um das Doppelte. Diese Riesenschwingen trugen allerdings einen Körper, der maximal 40 Kilogramm erreichte – geradezu lächerlich im Vergleich zu den Dimensionen einiger flugunfähiger Spezies, die die Vogelevolution hervorgebracht hat.

Sowohl die neuseeländischen Moas als auch die Terrorvögel Südamerikas (vermutlich die einzigen Fleischfresser unter den Vogelriesen) und nicht zuletzt die Gruppe der Hühner- und Gänsevögel bildeten in den vergangenen 65 Millionen Jahren einzelne Arten aus, deren Körperhöhe die Drei-Meter-Grenze erreichte oder sogar überschritt. Und die Schwergewichte unter ihnen – etwa der australische Dromornis, eine Art Mega-Gans, die vor acht Millionen Jahren lebte – brachten eine halbe Tonne oder mehr auf die Waage.

Die Verwandtschaft der Elefantenvögel

Die Allergrößten lebten aber auf Madagaskar und sind auch deshalb interessant, weil sie dort wohl heute noch herumstampfen würden, hätte es keine Besiedlung durch den Menschen gegeben. Die Elefantenvögel (Aepyornithidae) sind erst vor kaum 1.000 Jahren verschwunden und wären biologisch betrachtet daher eigentlich Teil der Gegenwart.

Sie waren mit den heutigen Laufvögeln wie dem Strauß verwandt – genetische Analysen weisen allerdings darauf hin, dass ihr nächster Verwandter nicht der "Nachbar" vom afrikanischen Festland, sondern kurioserweise der kleine Kiwi aus Neuseeland ist. Forscher werten dies als Beleg dafür, dass die Laufvögel, die heute auf verschiedenen Landmassen der Südhalbkugel leben, von flugfähigen Ahnen abstammen und unabhängig voneinander das Fliegen aufgegeben haben.

Interpretationen eines Funds

Innerhalb der Elefantenvögel kannte man bisher zwei Gattungen, Aepyornis und Mullerornis, mit jeweils mehreren Arten, die die unterschiedlichen Lebensräume der großen Insel bevölkerten. Eine dieser Arten war jedoch Gegenstand einer über 100 Jahre währenden Debatte unter Taxonomen: 1894 hatte der britische Paläontologe Charles William Andrews Knochen eines besonders großen Elefantenvogels einer Art zugeschrieben, die er Aepyornis titan nannte. Die Kollegenschaft war davon nicht überzeugt und tat den Fund als überdurchschnittliches Exemplar der besser belegten Spezies Aepyornis maximus ab.

Knochen von Vorombe titan, vormals Aepyornis titan.
Foto: ZSL

Die Zuordnung blieb umstritten – und wird nun mit einer aktuellen Studie, die im Journal "Royal Society Open Science" erschienen ist, zu den Akten gelegt. Und zwar in Andrews' Sinne. Wissenschafter der Zoological Society of London haben die Vogelrelikte genau studiert und kommen aufgrund der Form- und Größenunterschiede zu anderen Elefantenvogelknochen zum Schluss, dass das Tier eindeutig einer eigenen Art angehörte. Für die wurde sogar eine neue Gattung mit der Bezeichnung Vorombe eingeführt. "Vorombe" bedeutet auf Malagasy, der madagassischen Sprache, "großer Vogel": ein schönes Understatement.

Die Nummer 1

Der pflanzenfressende Riesenvogel, der nun also Vorombe titan heißt, lebte möglicherweise bis vor 1.000 Jahren auf Madagaskar. Er wurde drei Meter hoch und erreichte ein Gewicht von 700 bis 800 Kilogramm, was ihn zum größten Tier seines Lebensraums machte – und zum größten Vogel aller Zeiten.

Studienerstautor James Hansford verweist auf die eminente Bedeutung, die solche Riesen haben. Pflanzenfressende Megafauna prägt ihr Ökosystem – nicht nur, weil sie große Mengen an Biomasse verzehrt, sondern auch, weil sie mit ihrem Kot Samen über weite Flächen verbreitet. Madagaskar hat sich laut Hansford bis heute noch nicht davon erholt, dass mit der Ausbreitung des Menschen alle großen Tierarten von der Insel verschwunden sind.

Warum es nicht noch größer geht

Immer wieder taucht die Frage auf, warum die Vögel zwar mehrmals Riesen, aber nie Giganten wie die Dinosaurier – immerhin ihre engen Verwandten, denen sie grundsätzlich immer noch stark ähneln – hervorgebracht haben. Der Grund liegt in einem entscheidenden Detail: Ihre Dino-Verwandtschaft hatte einen langen Schwanz. Die Urvögel haben dieses beim Fliegen hinderliche Merkmal jedoch zurückgebildet, wodurch ihr Skelett anders ausbalanciert werden musste.

Während die Oberschenkel bei den langschwänzigen Dinos vertikal ausgerichtet waren, weisen sie bei den Vögeln nach hinten, wodurch die vogeltypische Hockhaltung zustande kommt. Und das setzt dem Größenwachstum eine Grenze, rechnete vor einigen Jahren der australische Forscher Nicholas Chan vor. Wenn eine Dino-Art immer größer wurde, machte ihr Oberschenkelknochen die Entwicklung einfach mit und wurde dicker und länger. Der Oberschenkel eines Vogels kann jedoch nicht beliebig länger werden. Die Grenze ist dann erreicht, wenn das Kniegelenk nicht mehr unter dem Körperschwerpunkt liegt und das Tier aus dem Gleichgewicht gerät.

Bild nicht mehr verfügbar.

Bestens erhaltene Eier von Elefantenvögeln werden bis heute immer wieder auf Auktionen versteigert. Auch sie sind übrigens an der Grenze des Möglichen: Selbst die gigantischsten Dinosaurier schlüpften aus keinen größeren Eiern als Elefantenvogelküken.
Foto: REUTERS/Suzanne Plunkett

Chan errechnete seinerzeit einen Maximalwert, den ein Vogel in Sachen Größe und Gewicht erreichen kann. Wenn Vorombe titan tatsächlich über 700 Kilogramm schwer wurde, hätte er sogar etwas darüber gelegen und damit die Grenzen dessen ausgelotet, was einem Vogel physikalisch möglich ist. Damit war der gefiederte Riese von Madagaskar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur der größte Vogel, den es bisher gab – er würde auch in Zukunft nicht mehr übertroffen werden können. (Jürgen Doppler, 29. 9. 2018)