Bruegel war der Erste. Als 1981 die legendäre Reihe "100 Meisterwerke" auf Sendung ging, waren es seine Jäger im Schnee aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM), seine durch die klirrende Kälte der Kleinen Eiszeit Stapfenden, die über die deutschen Mattscheiben flimmerten. Ein öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag, der einst Millionen Zuschauer zu bannen wusste und in dem neben dem wohlig-warmem Timbre der Sprecher nur das leise Atmen der "großen Museen der Welt" zu hören war.

Pieter Bruegel d. Ä.: "Jäger im Schnee" (1565)
Foto: KHM-Museumsverband

Zu jener Zeit war Pieter Bruegel der Ältere (1527/28-1569) längst Teil des kollektiven Bildgedächtnisses – ein Superstar unter den Alten Meistern. Populär war der Flame aber schon zu Lebzeiten, dabei starb er bereits im Alter von 41 Jahren. Sammler zahlten Höchstpreise für seine den Volksalltag schildernden Wimmelbilder, seine apokalyptischen Weltende-Visionen oder seine atmosphärisch dichten, an seiner Reise über die Alpen nach Italien geschulten Landschaften. Die Höfe in ganz Europa verlangten nach seinen Werken, denn der Ruhm von Bruegels Kunst verbreitete sich über humanistische Netzwerke.

Stille wird man bis 13. Jänner im Ringstraßenhaus allerdings vergeblich suchen. Vielmehr wird das Knarzen des Parketts in den Sälen schier ohrenbetäubend sein. Denn Wien besitzt mit zwölf Tafeln weltweit nicht nur die größte Sammlung von Bruegel-Gemälden, von denen überhaupt nur 40 erhalten sind. Nächste Woche wird man obendrein eine in diesem Umfang niemals dagewesene Werkschau des Renaissance-Meisters eröffnen: Zu Recht bewirbt man die Ausstellung mit 90 Arbeiten (davon ein Drittel Malereien!) als ein "Once in a Lifetime"-Erlebnis.

Zum 450. Todestag des Ausnahmekünstlers 2019 haben sich die internationalen Museen wohl einen Ruck gegeben und die kostbaren, fragilen Holztafeln doch verliehen: das bestialische Sensenschwingen im Triumph des Todes aus dem Madrider Prado, die in eine Frostbeulenszenerie eingebettete Anbetung der Könige im Schnee aus dem privaten Museum Oskar Reinhart in Winterthur oder die plündernde, die Hölle nicht fürchtende Tolle Grete aus dem Museum Mayer van den Bergh in Antwerpen.

Auch 450 Jahre nach dem Tod von Pieter Bruegel d. Ä. geben seine Bilder Rätsel auf, so wie die "Die tolle Grete" (um 1562) mit ihrem Beutezug. Die Uneindeutigkeit macht aber sicher auch die Spannung in seinem Werk aus.
Foto: Museum Mayer van den Bergh, Antwerpen

Antwerpen, die Hauptwirkungsstätte von Pieter Bruegel d. Ä., war zur Mitte des 16. Jahrhunderts die reichste und womöglich bedeutendste Stadt Europas. Die Stadt an der Schelde zählte 100.000 Einwohner (die Weltstadt Rom nur halb so viele). Als wichtigster internationaler Warenumschlagplatz und Zentrum der niederländischen Buchproduktion und Druckkunst lockte sie die bedeutendsten Künstler an. Allerdings war mit 300 Künstlern der Konkurrenzdruck hoch (Zum Vergleich: Bäcker gab es nur 170). Bruegel wusste sich durchzusetzen, machte sich etwa durch Zeichnungen, die der Verleger Hieronymus Cock in Auflage von bis zu 2000 Exemplare verbreitete, einen Namen. Bald folgten Aufträge für die städtische Elite.

Hartnäckige Legenden

"Die Kunst ist gerne beim Reichtum", schrieb Karel van Mander 1604 über Antwerpen. Sein Schilder-Boeck ("Malerbuch") galt lange als die Quelle für das Leben Bruegels, von dem selbst Geburtsort und -datum nur Näherungswerte sind. Allerdings sei das kunsttheoretische Werk "mit Vorsicht zu genießen", mahnt der Kunsthistoriker Nils Büttner. Es sei mit literarischen Topoi durchzogen. Seit der Antike hält sich die Ansicht, die Inhalte von Bildern, seien mit den Leben der Künstler in Deckung zu bringen. "Eine solche Idee ist, dass einer, der gerne Säufer malt, selbst gern trinkt, oder eben ein Künstler, der Bauern malt, auch von Bauern kommt." Das sei auch die hartnäckigste Legende über Bruegels Leben, so Büttner, der als Experte für niederländische Meister Ende August eine kompakte Biografie zu Pieter Bruegel d. Ä. vorgelegt hat. Zusammen mit dem bei Taschen erschienenen bildgewaltigen, aber wenig handlichen Band und dem KHM-Katalog wäre die aktuelle Bruegel-Bibliothek komplett.)

Karel van Manders berichtet über Bruegel auch, dass er in der Art Hieronymus Boschs gemalt habe und daher Piet de Drol ("Der Drollige") genannt wurde. Dieses Humoristische werde heute etwas überakzentuiert, findet Büttner.

Kunsthistorisches Museum Wien

Die Komik ist allerdings auch das Element, wo sich Bruegel von dem um eine Generation älteren Genie aus 's-Hertogenbosch am deutlichsten unterscheide. "Es ist mehr Komik in Bruegel. Er verpackt die bittere Wahrheit, die sich auch in seinen Bildern verbirgt, in eine süßere Hülle." Das Lachen bleibt einem jedoch im Halse stecken, wenn man näher über den dargestellten Zustand der Moral nachdenkt. Eine Erfahrung, die Bruegels Bilder eindringlicher macht.

Bruegel, der Humanist

Bruegel, der Humanist: Dieser Blick auf den Altmeister ist heute extrem beliebt. Seine Popularität erklärt man gerne damit, dass er wie wir in einer Zeit der Umbrüche, geprägt von religiösen und politischen Konflikten, lebte: Konfessionskriege, grausame Fremdherrschaft über die Niederlande, die Gräuel der Inquisition. Gewissheiten der katholischen Kirche lösten sich auf. Bruegels Werke hingen aber genau an den Orten, die den Umbrüchen am längsten und heftigsten widerstanden – den Höfen der regierenden Fürsten, tritt Büttner dieser These entgegen.

"Bruegel war auch kein Anhänger der Reformation und noch viel weniger irgendwelcher Geheimlehren. Er war ein Katholik, der für Katholiken Bilder gemacht hat." Und diese fielen durchaus kirchenkritisch aus. Die Kritik an der Institution Kirche sei so alt wie die Kirche selbst. "Die Behauptungen, dass Bruegel protestantische Kritik in seinen Bildern verberge, um protestantische Glaubens-U-Boote an den Habsburger Hof zu bringen, ist problematisch." (Anne Katrin Feßler, 29.9.2018)