Die erste Frau an der Spitze der SPÖ: Pamela Rendi-Wagner.

Noch ist Christian Kern nicht richtig weg, schon hat "die Neue" an der SPÖ-Spitze dessen Büro in der Wiener Löwelstraße bezogen. Pamela Rendi-Wagner empfängt den STANDARD wenige Tage nach ihrer Nominierung durch den Parteivorstand zum Antrittsinterview und erklärt dabei die Hintergründe für ihre ersten Personalentscheidungen, warum sie mit dem Begriff Bobo in der Politik wenig anfangen kann und auf welche Schwerpunkte sie setzen wird.

STANDARD: Das Wichtigste zuerst: Geht's noch mit der Belastung?

Rendi-Wagner: Ich wusste, das ist eine große Aufgabe. Ich habe auch immer klargemacht: Ich bin keine One-Woman-Show, ich kann das nur erfüllen, wenn ich ein Team in den Schlüsselpositionen habe, das ich gut kenne und dem ich vertraue. Thomas Drozda als neuer Bundesgeschäftsführer ist also keine Entscheidung gegen Max Lercher – er ist jemand, mit dem ich gut arbeite.

STANDARD: Wir spielen auf den Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig an, der sich bereits öffentlich sorgt ...

Rendi-Wagner: ... was die Doppelbelastung aus Klub- und Parteichefin anlangt, die da im Raum steht: Ich will mich ganz bewusst stark operativ in die parlamentarische Arbeit einbringen. Weil ich dem Parlament einen sehr hohen Stellenwert in der Opposition einräume. Auch hier gilt: Das ist keine Entscheidung gegen Andi Schieder.

Von wegen belastet: "Ich will mich ganz bewusst stark operativ in die parlamentarische Arbeit einbringen", sagt Pamela Rendi-Wagner.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ist diese Entscheidung eine Lehre aus Ihrer Beobachtung als Mandatarin?

Rendi-Wagner: Ein bisschen. Ich finde, dass die Parteizentrale und der Parlamentsklub zu einer strategischen Einheit zusammenrücken sollten. Und was die Überbelastung anlangt: Auch Michael Ludwig ist es unbenommen, gleichzeitig Landeshauptmann und Wiener Parteivorsitzender zu sein, für Hans Peter Doskozil gilt bald dasselbe.

STANDARD: Wie werden Sie's denn angehen mit den Ludwigs und Doskozils Ihrer Partei?

Rendi-Wagner: Was meinen Sie genau?

STANDARD: Die steten Querschüsse.

Rendi-Wagner: Für mich ist es wichtig, dass ich einen einstimmigen Beschluss, was meine Person anlangt, habe. Das ist der starke Rückhalt, den ich brauche. Mit Wien und der Steiermark habe ich das ausdiskutiert. Wir sollten uns jetzt möglichst rasch nicht mehr nur mit uns selbst beschäftigen, sondern an die Arbeit gehen. Der politische Gegner schläft nicht.

Die neue SPÖ-Chefin will "zusammen stark" sein: "Das werde ich anders machen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Eine Personalie hätten wir noch: Es gibt das Gerücht, dass Sie die Klubführung nur machen, weil sie Thomas Drozda in der Position nicht durchgebracht haben.

Rendi-Wagner: Thomas Drozda war nie in Planung von mir für den Klubchef.

STANDARD: Ist er jetzt ein Bobo, wie eine steirische SP-Landtagsabgeordnete behauptet?

Rendi-Wagner: Ich kann mit dem Begriff relativ wenig anfangen, vor allem im Kontext einer Qualifikation für ein politisches Amt. Ich finde, der hat hier nichts verloren.

STANDARD: Was wollen Sie dringendst in der Partei ändern?

Rendi-Wagner: Ich bin ein sehr dialogorientierter Mensch. Das werde ich ganz stark in meiner Parteiführung leben. Ich werde die nächsten Wochen intensiv dafür nützen, um schon vor dem Parteitag ins Gespräch zu kommen – mit den Landesparteien, den Gewerkschaften, der Frauenorganisation, mit den Jugendorganisationen. Ich glaube, dass wir nur zusammen stark sein können. Das werde ich anders machen.

STANDARD: Inhaltlich haben Sie bei Ihrer Antrittsrede vor allem die Bereiche Wohnen, Bildung, Arbeit, Soziales hervorgestrichen. Was ist mit dem Klimaschutz passiert, den Vorgänger Christian Kern zuletzt betonte?

Rendi-Wagner: Ich habe an meine Kernthemen angeknüpft. Genau deshalb werde ich jetzt die Gespräche führen – um zu wissen, wie wir uns hier thematisch weiterentwickeln. Da kommt dann natürlich auch der Umwelt- und Klimaschutz. Genauso wie die Fragen Integration und Migration.

Die Menschenrechtskonvention sei unverhandelbar. Das sehe sie bei der Regierung nicht immer, sagt Rendi-Wagner.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Jetzt müssten Sie konsequenterweise Maschinen- und Erbschaftssteuer trommeln.

Rendi-Wagner: Zweifelsohne ist der Bereich Arbeit ein ganz zentraler. Und hier natürlich die Digitalisierung. Wir werden auch dafür gemeinsam Konzepte erarbeiten.

STANDARD: Stichwort Bildung: Lehrerin Susanne Wiesinger hat in einem Buch ihre Erfahrungen in den Wiener Schulen niedergeschrieben. Ein vernichtender Befund, oder?

Rendi-Wagner: Er ist auf jeden Fall ernst zu nehmen. Dabei geht es ja nicht nur um eine Einzelbeobachtung. Das Thema Integration vor allem im Bildungsbereich ist ein sehr wesentliches.

STANDARD: Wien ist gefühlt immer schon in roter Hand. Ist das nicht ein Versagen der Sozialdemokratie in diesem Bereich?

Rendi-Wagner: Ich beginne meine Zeit als Parteivorsitzende sicher nicht damit, mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die etwas gut oder vielleicht weniger gut gemacht haben. Was vielleicht in der Vergangenheit zu kurz kam, ist die Politik des Hinschauens.

STANDARD: Wurde bisher lieber weggesehen?

Rendi-Wagner: Ich bin nicht so sicher, ob man weggeschaut hat oder einfach in der Analyse zwischendurch steckengeblieben ist. Aber ich will den Blick nach vorne richten und dann ganz schnell in den Dialog kommen, um die Probleme lösen zu können.

STANDARD: Was müsste sich ändern – wissend, dass sich die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen, die sich die SPÖ seit langem wünscht, in Ihrer Amtszeit wohl nicht umsetzen lassen wird?

Rendi-Wagner: Ich bin da nicht so pessimistisch. In diesen ersten Tagen konnte ich mir diesen Riesenbereich noch nicht genau ansehen. Aber ich räume ihm einen sehr hohen Stellenwert ein. Auch aus einem anderen Blickwinkel: Der wichtigste Einflussfaktor auf Gesundheit ist Bildung.

Wie hält sie es mit Kanzler Sebastian Kurz? Als Regierungskollegen hatte man "ein korrektes Arbeitsverhältnis", sagt die rote Parteivorsitzende.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Besuchen Ihre Kinder eine öffentliche Schule?

Rendi-Wagner: Nein, meine Kinder sind in einer Privatschule. Das ist ganz einfach zu erklären: Ich war ein paar Jahre in Israel und musste binnen drei Monaten einen Volksschulplatz für meine Tochter finden. Für mich war immer klar, dass sich Beruf und Kinder nur dann gut ausgehen, wenn sie eine Ganztagsschule besuchen. Und damals habe ich gemerkt, dass das Angebot in öffentlichen Schulen viel zu gering ist.

STANDARD: Verstehen Sie, dass das manche irritiert, wenn die SPÖ-Vorsitzende ihre Kinder in einer Privatschule hat?

Rendi-Wagner: Ich bin in Wien-Favoriten in die Volksschule und in Meidling ins Gymnasium gegangen. Ich bin sehr froh, dass ich in diesen Schulen war und sie haben mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Damals war das bei meinen Kindern nicht anders möglich. Das zeigt schon eine Lücke auf. Wir haben viel zu wenig Ganztagsschulen.

STANDARD: Die SPÖ ist in einer entscheidenden Frage zerrissen: der Asyl- und Migrationsfrage. Verfahrenszentren an EU-Außengrenze und raschere Abschiebung von straffällig gewordenen Asylwerbern, wie im SPÖ-Migrationspapier vorgesehen, will die Regierung auch. Wo ist der Unterschied?

Rendi-Wagner: Für uns ist die Menschenrechtskonvention unverhandelbar. Daran halten wir fest, das sehe ich bei der Regierung nicht immer. Und wir haben auch einen klaren Schwerpunkt auf Prävention und Verhinderung der Fluchtursachen.

STANDARD: Die Frage wird sein, was man akzentuiert. Inwieweit spielt die strategische Überlegung, wie man Wähler von der FPÖ zurückgewinnen kann, hier eine Rolle?

Rendi-Wagner: Keine, weil es ein Thema ist, bei dem wir nicht wegschauen können. Das ist unsere Realität. Und unser politischer Gegner macht damit Politik. Ich werde das nicht tun – aber ich werde dennoch hinschauen und Lösungen erarbeiten. Ich werde nicht die Ängste ausnützen.

STANDARD: Können Sie mit Sebastian Kurz?

Rendi-Wagner: Wir waren Regierungskollegen. Das war ein korrektes Arbeitsverhältnis. Wir wissen, wie es ausgegangen ist.

STANDARD: Welches Vorhaben der Regierung würden Sie sofort rückgängig machen?

Rendi-Wagner: Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht aus meinem Bereich: Da nenne ich die Zerschlagung der Sozialversicherungsstruktur und als Zweites das Kippen des Rauchverbotes. Das war ein großer Fehler. (Peter Mayr, Karin Riss, 30.9.2018)