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Theresa May mit ihrem Außenminister.

Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Birmingham – In weniger als sechs Monaten soll Großbritannien die EU verlassen, und eine tragfähige Vereinbarung, die beide Seiten zufriedenstellen könnte, ist weiter nicht in Sicht. Während Premierministerin Theresa May beim Parteitag ihrer Tories in Birmingham eine Auseinandersetzung mit ihren parteiinternen Gegnern bevorsteht, verärgerte ihr Außenminister Jeremy Hunt die Verhandlungspartner.

Die EU wolle Großbritannien wegen des Austritts "bestrafen", sagte Hunt auf dem Parteitag und zog einen Vergleich zur ehemaligen Sowjetunion: "Sie scheinen zu glauben, dass sie den Klub zusammenhalten können, indem sie ein Mitglied, das geht, bestrafen." Die EU sei gegründet worden, "um Freiheit zu schützen". Es sei die Sowjetunion gewesen, "die Leute daran gehindert hat zu gehen".

EU als "Gefängnis"

Die Lektion sei klar: "Wenn sie den EU-Klub in ein Gefängnis verwandeln, wird der Wunsch auszutreten nicht abnehmen; er wird zunehmen, und wir werden nicht der einzige Gefangene sein, der fliehen will", sagte der sonst für seinen gemäßigten Ton bekannte Außenminister.

Der Vergleich löste vor allem in EU-Staaten, die früher zur UdSSR gehörten, Verstimmung aus: Litauens EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis ließ Hunt ausrichten, er sei in einem sowjetischen Arbeitslager geboren und vom Geheimdienst KGB eingesperrt worden. "Ich kann Ihnen gern die Hauptunterschiede zwischen EU und Sowjetunion erklären", sagte der Sozialdemokrat.

Heftige Kritik britischer Diplomaten

Auch ehemalige Diplomaten sind mit dem Vergleich nicht glücklich: "Dieser Unsinn ist eines britischen Außenministers unwürdig", erklärte Peter Ricketts, lange Zeit höchstrangiger Mitarbeiter im britischen Außenministerium. Sein Nachfolger Simon Fraser sagte, der Vergleich zeuge von einem "schockierend mangelhaften Urteilsvermögen".

In Brüssel stießen Hunts Äußerungen ebenfalls auf Kritik. "Ich würde respektvoll sagen, dass wir alle davon profitieren würden – und insbesondere die Außenminister –, von Zeit zu Zeit ein Geschichtsbuch zu öffnen", sagte Margaritis Schinas, Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

May widerspricht Hunt

May sah sich schließlich gezwungen, ihrem Außenminister zu widersprechen: "Ich sitze in der EU an einem Tisch mit Staaten, die früher Teil der Sowjetunion waren. Es sind jetzt demokratische Länder, und ich kann Ihnen sagen: Die beiden Organisationen sind nicht das Gleiche", sagte sie am Dienstag im BBC-Fernsehen. Ein zweites Brexit-Referendum lehnte May erneut ebenso ab wie Neuwahlen. Sie wolle ihr Amt lange ausüben, erklärte die Premierministerin.

Hunts Amtsvorgänger Boris Johnson sägt indessen weiter an Mays Stuhl: Er würde den EU-Austritt um mindestens sechs Monate verschieben, sollte er Regierungschef werden, berichtete die "Sun" kurz vor Johnsons Rede auf dem Parteitag.

Um die festgefahrenen Brexit-Verhandlungen voranzubringen, bereitet die EU den Entwurf einer "politischen Erklärung" zu den künftigen Beziehungen mit Großbritannien vor. EU-Chefunterhändler Michel Barnier mache zudem neue Vorschläge zum besonders schwierigen Streit über die künftige Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und Nordirland, meldet die Funke-Mediengruppe. Die EU beharre auf einer Notfallklausel (backstop), um Grenzkontrollen auszuschließen. Doch wolle sie den vorübergehenden Charakter bis zu einer tragfähigen Dauerlösung unterstreichen. (red, APA, dpa, 2.10.2018)