Was am Dienstag im saudischen Konsulat in Istanbul geschehen ist, weiß niemand außer den Beteiligten. Aber was bekannt ist, wird einschlägig interpretiert: Der Journalist Jamal Khashoggi, der seine Heimat Saudi-Arabien 2017 wegen wachsender Meinungsverschiedenheiten mit den Obrigkeiten verlassen hat, geht ins Konsulat und kommt nicht wieder heraus. Das geben seine Lebensgefährtin und ein Freund an, die draußen warten.

Der Verdacht, dass Saudi-Arabien den kritischen Intellektuellen festhält oder sogar schon ins Königreich gebracht hat, ist nicht einfach aus der Luft gegriffen. Es gibt alte Geschichten über in Europa "verschwundene" kritische oder auf andere Art schwierige Prinzen. Dazu kommt, dass unter der Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman, MbS genannt, so scharf wie noch nie gegen jede Art von Dissidenz vorgegangen wird: Genau das hat Khashoggi in seinen Kommentaren für die "Washington Post" kritisiert.

Khashoggi ist nur einer von vielen Kritikern. Aber dass er jahrelang Teil des Systems war – auch wenn er ständig dessen Grenzen austestete –, garantiert ihm besonderen Ärger. Seine Stimme tut der saudischen Führung so richtig weh. Und um sie zum Schweigen zu bringen, könnte MbS diesmal übers Ziel hinausgeschossen haben.

Der Fall berührt zutiefst das ohnehin schon angespannte türkisch-saudische Verhältnis. Die Türkei – die selbst ständig Journalisten einsperrt – setzt sich vehement für Khashoggi ein. Das kann damit zusammenhängen, dass dieser zuletzt auch die saudische Politik in Ägypten kritisierte. Das gefällt der Muslimbruderaffinen Regierung in Ankara – und bringt die Saudis, die ihr ganzes eigenes islamistisches Elend dem Einfluss der Muslimbrüder (und dem iranischen Regime) anhängen wollen, umso mehr in Rage.

Die "Washington Post" ließ am Freitag den Platz für Khashoggis Kolumne weiß. Aber die Affäre entwickelt eine Zugkraft, die auch andere als die üblichen Saudi-Basher mitreißt. Sogar US-Kommentatoren und Politiker, die sonst mit dem Reformeifer von MbS sympathisieren, empören sich – und schütteln allein schon über die Dummheit der Vorgänge den Kopf: "Schlimmer als ein Verbrechen, ein Fehler", zitiert etwa Elliott Abrams in seinem Blog für den Council on Foreign Relations Talleyrand (wobei das Zitat auch Joseph Fouché zugeschrieben wird). Das Vertrauen, das Saudi-Arabien international braucht, um seine Reformagenda zu verwirklichen, ist schwer beschädigt. An deren Gelingen hängt die Zukunft des Kronprinzen. Das Verschwinden Khashoggis könnte auch das von MbS einleiten. (Gudrun Harrer, 5.10.2018)