Jörg Haider lehnt an einem Stehtisch, gemeinsam mit einer Gruppe anderer Männer, er im Anzug, die anderen in Tracht. Haider singt Heimatlieder, völlig versunken in sich und den Gesang. Es war, als würden diese Männer ein religiöses Ritual zelebrieren.

Niemand traute sich, sich dem Tisch zu nähern. Die Parteifreunde und Funktionäre nicht, Gattin Claudia nicht, die etwas abseits stand und die Szenerie im Auge behielt. Die Journalisten nicht, die auf dem Sprung zu einer Geschichte waren. Und Journalisten waren einige da, auch aus dem Ausland. Singen kann er, bemerkte eine Kollegin aus der Schweiz. Eine andere Kollegin von der BBC sah gerade ihr Weltbild und ihren Auftrag erschüttert: Kann denn einer, der so schön und innig singt, ein schlechter Mensch sein?

Eine Journalistin von der BBC sah ihr Weltbild und ihren Auftrag erschüttert: Kann denn einer, der so schön und innig singt, ein schlechter Mensch sein?
Foto: APA

Der Parteitag in Villach fand im November 2000 statt, Jörg Haider war Landeshauptmann in Kärnten, hatte die FPÖ zu Jahresbeginn erfolgreich in eine Koalition mit der ÖVP unter Kanzler Wolfgang Schüssel geführt, den Vorsitz der FPÖ aber zurückgelegt: Susanne, geh du voran. Susanne Riess-Passer, die Vizekanzlerin, übernahm auch die Parteiführung.

Kriegserklärung vermutet

Haider war der erfolgreichste Rechtspopulist in Europa, das Time-Magazin druckte sein Konterfei auf dem Cover. Die EU-Staaten verhängten Sanktionen, der Widerstand gegen die schwarz-blaue Koalition war stark. "Sie haben uns den Krieg erklärt", warnte Haider. Die FPÖ suchte damals schon die Auseinandersetzung mit den Medien, die sie für den scharfen Gegenwind verantwortlich machte. "Darauf müssen wir die richtige Antwort geben."

Diese hatte Haider noch während seiner Rede gefunden, und das erinnert frappant an den Umgang der FPÖ mit den Medien im Jahr 2018. "Ich eröffne die Jagdsaison auf die Jagdgesellschaft", sagte Haider. Die Vernichtung der FPÖ sei angesagt, warnte Haider, da wirkten auch die Journalisten mit: "Ihr müsst wissen, wir haben keine Verbündeten in der ganzen Medienlandschaft. Sie schreiben gegen uns an." Selbst im ORF gebe es noch "einige Widerstandsnester gegen uns Freiheitliche".

Haider über die Medien: "Sie haben uns den Krieg erklärt."

Einen ersten Vorgeschmack in dieser Auseinandersetzung mit der FPÖ bekamen die Medienvertreter gleich zu spüren. Die akkreditierten Journalisten mussten übergroße blaue Buttons tragen, auf denen Name und Medium sowie das Motto des Parteitags aufgedruckt war: "Der Wahrheit verpflichtet." Solcherart für jeden "Gesinnungsfreund" Haiders gut kenntlich gemacht, wurden Medienvertreter direkt angegangen: "A Schweinerei, was ihr machts. Der Jörg hat schon recht. Was kommt denn noch alles?" Es war ein Spießrutenlauf durch die Reihen aufgebrachter Funktionäre.

Der Hintergrund der Einberufung des Sonderparteitags hat ebenfalls deutliche Parallelen zu den Vorkommnissen der jüngsten Tage. Die FPÖ und ihre Spitzenpolitiker waren durch die Spitzelaffäre massiv unter Druck geraten: Polizeibeamte, die sich der FPÖ verpflichtet fühlten oder als deren Personalvertreter tätig waren, hatten personenbezogene Daten aus dem Polizeicomputer an FPÖ-Politiker weitergegeben.

Die FPÖ, so stand der massive Verdacht im Raum, habe sich gezielt des Polizeiapparats bemächtigt, um gegen Kritiker vorzugehen. Und das, ohne den Innenminister zu stellen. Schüssel hatte damals Ernst Strasser zum Innenminister gemacht, der ein ehemals rot geführtes Ressort systematisch umfärbte. Nur ein Detail am Rande: Die internen Widerstände, mit denen sich Herbert Kickl als Innenminister und seine blauen Gefolgsleute im Ressort heute konfrontiert sehen, führen die Freiheitlichen auf genau jene schwarzen Seilschaften zurück, die sich unter Strassers Amtszeit im Innenministerium etabliert haben.

Der Reißwolf von Knittelfeld

Ein anderer Sonderparteitag, nämlich jener vom September 2002 in Knittelfeld, auch als Knittelfelder Putsch bekannt, führte schließlich zum Bruch der Koalition. Jörg Haider, einfaches Parteimitglied, hatte nach Knittelfeld geladen, um den Unmut mit dem Regierungskurs zu ventilieren. Die aufgrund der Hochwasserkatastrophe erfolgte Verschiebung der Steuerreform hatte den Anlass für den Aufstand der Parteibasis gegen die Spitze geliefert.

Kurt Scheuch und Jörg Haider.
Foto: Roland Schlager

Der Kärntner Delegierte Kurt Scheuch zerriss während der Veranstaltung demonstrativ den zwischen Riess-Passer und Haider verhandelten Kompromiss. Dem Vernehmen nach soll Haider Scheuch angewiesen haben, das Papier im übertragenen Sinn zu "zerreißen", was dieser allzu wörtlich nahm.

Am nächsten Tag traten jedenfalls Vizekanzlerin Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler zurück. Es folgten Neuwahlen. Die FPÖ verlor fast zwei Drittel ihrer Wähler von 1999 und fiel von 26,9 Prozent auf 10,0 Prozent zurück. Die Koalition mit der ÖVP wurde dennoch fortgesetzt, Herbert Haupt wurde Vizekanzler.

2005 spaltete sich Haider von der FPÖ ab und gründete das BZÖ. Heinz-Christian Strache übernahm die FPÖ. Bei der Nationalratswahl 2006 erreichte die FPÖ unter der Führung Straches einen Stimmenanteil von 11,0 Prozent, ein schlankes Plus immerhin. Das BZÖ, das mittlerweile von Peter Westenthaler angeführt wurde, kam auf 4,1 Prozent. Bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2008 konnte die FPÖ ihren Stimmenanteil auf 17,5 Prozent erhöhen. Auch das BZÖ legte auf knapp elf Prozent zu. Eine Versöhnung gab es noch nicht.

Jörg Haider war für Heinz-Christian Strache Lehrmeister, Konkurrent und politischer Übervater.
Foto: Heribert CORN

In der Nacht zum 11. Oktober 2008 kam Jörg Haider bei einem Unfall mit seinem Dienstwagen, einem VW Phaeton, in Lambichl im Südwesten von Klagenfurt ums Leben. Der Landeshauptmann war alkoholisiert und zu schnell unterwegs gewesen. Der Unfallort ist nach wie vor eine Trauer- und Pilgerstätte für die Haider-Fans.

Diesen Fanklub hatte sich Haider über Jahrzehnte aufgebaut: 1950 in eine Familie von Ex-Nazis geboren, arbeitete er sich schon als 16-Jähriger bei einem Redewettbewerb des Turnerbundes an der Frage "Sind wir Österreicher Deutsche?" ab – und blieb dem Thema treu. Großes Aufsehen erregte er mit dem Hinweis, dass die Idee einer eigenständigen österreichischen Nation eine "ideologische Missgeburt" sei. Noch größeres Aufsehen – und den zeitweiligen Verlust des Landeshauptmannpostens – brachte ihm der Hinweis auf die "ordentliche Beschäftigungspolitik" im Dritten Reich ein.

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Fanbasis, Hausmacht, Kultstätte: der Unfallort in Lambichl.
Foto: Picturedesk / Johann Schwarz

Das waren klare Signale an alte und neue Nazis. Aber damit allein ließ sich keine Gefolgschaft aufbauen. Um eine breitere Zielgruppe erst innerhalb des freiheitlichen Lagers zu erreichen und dieses dann breit auszubauen, gab er sich einen linken sozialpolitischen Anstrich. Mit diesem versuchte er ab 1979 als jüngster Nationalratsabgeordneter aufzufallen: "Umrühren" (sein Wahlwerbegeschenk war damals ein blauer Löffel) und "Kampf gegen Privilegien" waren seine ersten politischen Ansagen. Und immer wieder Umverteilung. Dass Aussagen gegen Ausländer noch besser ziehen würden, speziell in Wien, wo damals ein gewisser H.-C. Strache politisch sozialisiert wurde, war damals noch nicht absehbar.

Ständiger Druck auf die Vertreter der eigenen, von Norbert Steger geführten Partei wurde während der rot-blauen Koalition 1983 bis 1986 sein Markenzeichen – er hatte sich der Regierungsbeteiligung entzogen und baute in seiner Kärntner Wahlheimat eine eigene Hausmacht auf.

Neue politische Landschaft

Das konnte nur funktionieren, weil Haider stets ein offenes Ohr bei Journalisten fand, die O-Töne von Regierungskritikern brauchten. Er lieferte die schärfsten. Und seine Botschaft war stets, dass alles noch besser würde, wenn man ihn nur machen lassen würde. Wenn er Ordnung schaffen würde. Er belieferte die Medien mit (oft schwer nachzuprüfenden und vielfach falschen) Beispielen vom Missbrauch der "sozialen Hängematte" durch Günstlinge eines Systems. Seine Ideen und politische Vision fasste Haider 1993 in dem Buch "Die Freiheit, die ich meine" zusammen – eine Abrechnung mit dem System und seine ganz eigene Konzeption von Freiheit.

Haiders Botschaft war stets, dass alles noch besser würde, wenn man ihn nur machen lassen würde.
Foto: Georg Hochmuth

In Erinnerung sind die "Taferln", die er in Fernsehdiskussionen mitbrachte. Diese veränderte politische Kommunikationskultur schuf schließlich eine veränderte politische Landschaft. Haider erkannte bald, dass er nur rabiat genug aufzutreten brauchte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Er verstand es, liberal und im persönlichen Auftreten charmant zu sein, wenn es nützlich schien: So lud er den in der FPÖ verhassten ORF-Chef Gerd Bacher spontan ein, auf einem Parteitag in Schwechat eine Rede zu halten, und mahnte die Delegierten zu Höflichkeit und Applaus, als Bacher die Herausforderung annahm.

Immer hat sich Haider mehr oder weniger beleidigt zurückgezogen ("Bin schon weg!"), um dann umso wirkungsvoller eingreifen zu können. So war es 1986, wenige Wochen bevor er Steger stürzte. So war es eineinhalb Jahrzehnte später (wieder hatte er sich persönlich einen Eintritt in die Bundesregierung erspart), als er die Nachfolgerin Riess-Passer als "einfaches Parteimitglied" demontierte. So war es bei der Abspaltung des BZÖ, das er zur Kärntner Landespartei machte.

Die FPÖ hat sich Jörg Haider längst wieder einverleibt.

Am 10. Oktober erhält Strache von Witwe Claudia die "Jörg-Haider-Medaille" überreicht – "für Verdienste um die politische Erneuerung". (Michael Völker, Conrad Seidl, 8.10.2018)