Wiktoria Marinowa hatte zwei Reporter interviewt, die eine mutmaßliche Betrugsaffäre um EU-Aufträge aufgedeckt hatten. Am Samstag wurde ihre Leiche entdeckt.

AFP

Die Regierung und die Mehrzahl der großen Medien in Bulgarien stellen die Ermordung einer Fernsehjournalistin als ein gewöhnliches Verbrechen dar. Es gebe ausreichend DNA-Material, um den Täter rasch ausfindig zu machen, erklärte Premier Boiko Borissow am Sonntag. Die 30 Jahre alte TV-Moderatorin Wiktoria Marinowa war am Samstag am Ufer der Donau in Ruse vergewaltigt und dann erwürgt worden. Sie soll zudem schwere Schläge auf den Kopf erhalten haben.

Die Tat geschah offenbar am helllichten Tag. Ein Spaziergänger fand Marinowas Leiche am frühen Nachmittag. Marinowa arbeitete für den Sender TVN in Ruse. Sie interviewte in ihrer Sendung "Detektor" zuletzt zwei Investigativjournalisten, die Belege für einen millionenschweren Betrug bei EU-Projekten in Bulgarien gesammelt hatten.

Dritte Gewalttat gegen Journalisten

Marinowas Ermordung wäre die dritte Gewalttat in einem Jahr in Europa gegenüber Journalisten, die Korruptionsfälle aufzuklären versuchten. Im Oktober 2017 war auf Malta ein Bombenanschlag auf die Reporterin Daphne Caruana Galizia verübt worden; im Februar dieses Jahres war der slowakische Journalist Ján Kuciak zusammen mit seiner Verlobten erschossen worden.

Bei der mutmaßlichen Betrugsaffäre in Bulgarien geht es um hunderte Millionen Euro an "Kommissionen", die Beratungsfirmen an leitende Beamte für die Vergabe von EU-finanzierten Infrastrukturprojekten gezahlt haben sollen. Auftraggeber war laut Recherchen der bulgarischen Aufdecker von "Bivol" und des rumänischen Pendants "Rise" das Unternehmen GP Group in Sofia. Ein stellvertretender Minister im Umweltministerium und drei Beamte sind im Zuge der von "Bivol" dokumentierten Berichte vorläufig suspendiert worden, wie die Redaktion erst auf Nachfrage vergangene Woche von der bulgarischen Regierung erfuhr.

Mitte September waren ein Reporter von "Bivol" und ein Kollege von "Rise" von der bulgarischen Polizei fünf Stunden lang festgenommen worden, als sie auf einem Feld außerhalb Sofias beobachtet hatten, wie Mitarbeiter der GP Group offenbar belastende Dokumente verbrannten. Die Recherchen werden ironischerweise von der EU finanziell unterstützt. Wiktoria Marinowa interviewte die beiden Journalisten in ihrer Sendung – als einzige TV-Moderatorin im Land. Die Hafenstadt Ruse liegt an der Grenze zu Rumänien – das machte die länderübergreifenden Recherchen der Investigativjournalisten für Marinowas Fernsehsender zusätzlich bedeutsam. Doch die Moderatorin könnte sich damit Feinde gemacht haben.

Marinowas Sender TVN berichtete zumindest auf seiner Website am Sonntag nichts über den Mord und veröffentlichte lediglich eine Trauermeldung der Redaktion. Marinowa war erst im März von einem anderen Medienunternehmen in den Verwaltungsrat des Senders gewechselt. Beide Unternehmen sollen ihrem ehemaligen Ehemann gehören; das Paar ließ sich scheiden, berichteten bulgarische Medien.

Der Leiter der Verbrechensbekämpfung bei der Polizei in Ruse gab an, die Version einer beruflich motivierten Tat werde wohl bald fallengelassen. Innenminister Mladen Marinow wurde mit der Äußerung zitiert, wonach auch eine nahe dem Tatort gelegene psychiatrische Anstalt überprüft werde. Ein Insasse könnte entkommen sein und die Tat begangen haben. Für Regierungschef Borissow und Generalstaatsanwalt Sotir Zazarow war die Ermordung der Journalistin ein Anlass dazu, am Sonntag laut über den Aufbau eines neuen Zentrums für Forensik nachzudenken, das nur für die Polizei arbeite. Er wolle ein Institut für forensische Untersuchungen, wie man es aus den Filmen kenne, erklärte Borissow. Worte der Anteilnahme nach dem Mord an der jungen Frau fielen offenbar nicht.

OSZE reagiert

Anders in Wien. "Ich bin schockiert über den schrecklichen Mord an der Investigativjournalistin Wiktoria Marinowa in Bulgarien", erklärte Harlem Désir, der Medienfreiheitsbeauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Sonntagabend. Er werde die Ermittlungen der bulgarischen Behörden genau verfolgen, kündigte Désir an und sprach Marinowas Familie sein Beileid aus. (Markus Bernath, 7.10.2018)