Mit Brasilien-Flagge und Trikots der Nationalmannschaft feierten am Sonntag Anhängerinnen und Anhänger von Jair Bolsonaro den Sieg ihres Kandidaten.

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Viele, die den rechtspopulistischen Ex-Militär ablehnen, reagierten nach Einlangen der Ergebnisse bestürzt.

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"Wenn wir Vertrauen in das Wahlsystem hätten, gäbe es jetzt schon einen neuen Präsidenten", tönte Jair Bolsonaro unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Prognosen. Brasilianische TV-Sender hatten zuvor ungeprüft die Fake-Nachricht verbreitet, dass der Rechtsaußen-Politiker die absolute Mehrheit gewonnen habe. So weit kam es dann doch nicht, 46 Prozent wurden es trotzdem. In drei Wochen muss sich der 63-Jährige von der kleinen Sozialen Liberalen Partei (PSL) einer Stichwahl stellen. Bolsonaro sieht seinen Sieg als gottgewollt und gegeben an, eine Niederlage akzeptiert er nicht. Die Stimmung in Brasilien ist auch deshalb so aufgeladen wie lange nicht mehr. Einen Präsidentschaftskandidaten, der so offen demokratische Werte mit Füßen tritt und von einer Militarisierung der Gesellschaft träumt, gab es seit Ende der Diktatur nie.

Während vielen demokratisch denkenden Brasilianern bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses auf offener Straße die Tränen in die Augen schossen, zogen die "Bolsonaristas" mit der brasilianischen Flagge zu Tausenden durch São Paulo und Rio de Janeiro. Sie feierten ihr Idol als Saubermann in einer von Gewalt und Korruption zersetzten Gesellschaft.

Nebensache Rassismus

In Brasília will Bolsonaro den korrupten "Schweinestall" ausmisten – nur das zählt für sie. Fast nebensächlich erscheint, dass Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit bei ihm zum täglichen Wortschatz gehören. Ähnlich wie Rodrigo Duterte auf den Philippinen verspricht Bolsonaro, hart durchzugreifen, und will jedem Brasilianer eine eigene Waffe in die Hand drücken. Die brasilianische Zeitung Folha de São Paulo schrieb von einer rechten Welle, die das Land überflute – es ist wohl mehr ein Tsunami.

In der Stichwahl am 28. Oktober trifft Bolsonaro auf den linken Ex-Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad, der als Ersatz für den inhaftierten Expräsidenten Lula da Silva angetreten ist. Mit 29,4 Prozent übertraf er zwar die Prognosen. Doch auch wenn er die Stimmen des linken Kandidaten Ciro Gomes (12,9 Prozent) und der Umweltaktivistin Marina Silva, die mit einem Prozent unterging, auf seine Seite ziehen kann, wird es nicht reichen. Beide Lager wollen nun um gemäßigte Zentrumswähler kämpfen, die sich eigentlich weder bei Bolsonaro noch bei den Linken zu Hause fühlen. Haddad muss außerdem aus dem Schatten von Ziehvater Lula treten.

Doch auch für Bolsonaro wird die Stichwahl kein Selbstläufer. Bisher beschränkte sich sein Wahlkampf auf die sozialen Medien, in denen er Fake-News und Halbwahrheiten streute. Vor drei Wochen wurde er Opfer eines Messerattentates eines verwirrten Mannes und lag seitdem im Spital. Das schützte ihn auch vor der Teilnahme an TV-Debatten und kritischen Fragen. Die Umfragewerte gingen um 15 Prozentpunkte in die Höhe. In Brasilien habe es immer eine polarisierte Stimmung im Wahlkampf gegeben, sagt der Politikwissenschafter Jairo Nicolau von der Föderalen Universität in Rio de Janeiro. Die jetzige Aggressivität aber habe Bolsonaro in den Wahlkampf gebracht. "Er hat von der großen Ablehnung von Lulas Arbeiterpartei profitiert", sagt Nicolau.

Wütender Heilsbringer

Bolsonaro verkörpert die Wut und den Hass breiter Schichten der Bevölkerung gegen die etablierten Parteien. Seit 2014 überzieht der größte Korruptionsskandal der Geschichte das Land, in den Politiker aller großen Parteien verwickelt sind. Das Land schlitterte in eine Wirtschaftskrise, die bis heute anhält. Große Teile der Mittel- und Oberschicht machen die Spendierfreudigkeit der Regierungen unter Lula (2003 bis 2011) und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff (bis 2016) für die Misere verantwortlich. Bolsonaro sieht sich gern als Anti-System-Politiker. Dabei ist er selbst schon seit rund 30 Jahren Abgeordneter. Neunmal wechselte er die Partei.

Die Wahlen in Brasilien mit seinen 208 Millionen Einwohnern haben Auswirkungen auf die ganze Region. Verbündete hätte Bolsonaro kaum, auch wenn in der Mehrheit der Nachbarländer Konservative regieren. Venezuelas linkem Regime unter Nicolás Maduro droht Bolsonaro, es mit einem Militärschlag zu entmachten. Stabilität in Brasilien wirkt sich meist auf ganz Lateinamerika aus – doch davon ist man weit entfernt. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 8.10.2018)