Brasília – Dafür, dass sich die Brasilianerinnen und Brasilianer in der Politik der klassischen Parteien immer weniger wiederfinden, nennen Ökonomen oft einen einfachen Grund: Brasilien ächzt noch immer unter den Folgen der Wirtschaftskrise. Zwischen 2014 und 2017 verlor das Land acht Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Erst letztes Jahr erreichte die Arbeitslosenrate mit 13,7 Millionen Menschen einen neuen Rekordstand. Auch wenn die Zeichen seither eher auf Erholung stehen, bleibt die Lage angespannt. Umso mehr verwundert es, dass Wirtschaftspolitik im Wahlkampf fast keine Rolle spielte – weder bei dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro noch bei seinem linken Gegenspieler Fernando Haddad.

Das mag auch an der Konstellation liegen: Bolsonaro gibt offen zu, keine Ahnung von Wirtschaft zu haben. Er verweist dafür auf "Posto Ipiranga", der auf alle Fragen eine Antwort habe. Bolsonaro hat sich in populistischer Manier einen beliebten Werbespot der Tankstellenkette Ipiranga als Vorbild für seine Wirtschaftspolitik genommen. "Posto Ipiranga" nennt der Ex-Militär daher seinen Wirtschaftsberater Paulo Guedes, einen schwerreichen Investmentbanker. Guedes, der keine Erfahrungen in Politik und Verwaltung hat, soll unter Bolsonaro ein neues "Superministerium" für Finanzen, Planung und Ökonomie leiten. Seit Wochen tingelt der 69-Jährige durch Brasilien, um bei Firmen und der Finanz zu werben. Eine Wahl Bolsonaros würde die Börse nicht zum Einbruch bringen, sondern hätte die Unterstützung der Wirtschaft, sagt er.

Ökonomische Gegensätze

Die Vorschläge von Guedes, der an der Universität von Chicago promoviert hat, kommen aus der neoliberalen Schublade. Staatsbetriebe sollen privatisiert werden, inklusive Petrobras und des gesamten Energiesektors. Damit würden auch Umweltschutzregularien wegfallen, etwa beim Bergbau im Amazonas. Guedes will auch Investitionen anwerben und den Zugang zum brasilianischen Markt erleichtern.

Haddad lehnt eine Privatisierung hingegen ab. Er setzt auf Kredite, die kleinen Unternehmen zugutekommen sollen, und will Investitionen in die Infrastruktur fördern. Strategien für einen Schuldenabbau legt aber auch er nicht vor. Haddad verspricht wie sein politisches Idol Lula einen Ausbau von Programmen für Sozialhilfe und den sozialen Wohnungsbau.

Ökonomen warnen derweil, dass Brasilien bereits der nächsten Finanzkrise entgegensteuert. Das Defizit ist mit sieben Prozent größer als im Nachbarland Argentinien, das gerade den IWF um Hilfe rief. Haddad, Ökonom und Philosophieprofessor, hält diese Warnungen für übertrieben.

Die Verschuldungsrate liegt bei rund 80 Prozent des BIP. Die Konjunktur wird vor allem durch den privaten Konsum angekurbelt. Ausschlaggebend sind eine niedrige Inflation und günstige Zinsen. Doch dieses Bild könnte sich auch schnell ändern. Die Währung Real ist im Sinkflug und verlor in diesem Jahr ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Dollar. (Susann Kreutzmann, 8.10.2018)