Diese unschuldig dreinschauenden Hundebesitzer haben es faustdick hinter den Ohren: James Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose (v. li.) haben unter anderem mit einer Quatschstudie über hündische Vergewaltigungen im Park für heftige Debatten gesorgt.

Mike Nayna

Es ist schon wieder mehr als 20 Jahre her, dass Alan Sokal mit einem ernsten Schabernack in der akademischen Welt für beträchtliches Aufsehen sorgte. Der US-Physiker reichte 1996 bei der Fachzeitschrift Social Text, die dem Sozialkonstruktivismus und der Postmoderne verpflichtet war, einen Aufsatz ein, der Quantengravitation als linguistisches und soziales Konstrukt deutete und auch sonst eine ganze Menge Unsinn enthielt.

Den Gutachtern der Zeitschrift fiel dieser im modischen postmodernen Schwurbeljargon formulierte Quatsch aber nicht auf. Der Text wurde publiziert, Sokal enthüllte seinen Hoax und sorgte für heftige Diskussionen: Mangelte es den sogenannten Cultural Studies tatsächlich an jeglichen wissenschaftlichen Standards? Oder war das Erscheinen dieses Textes nur die Folge eines schlampigen Begutachtungsverfahrens?

Die sogenannte Sokal-Affäre beschäftigte Teile der akademischen Welt mehrere Jahre lang, könnte aber nun von einem ähnlichen Skandal in den Schatten gestellt werden: Vergangene Woche wurde nämlich bekannt, dass ein Forschertrio gleich vier eingereichte Hoax-Artikel bei Fachjournalen vor allem im Bereich der kulturwissenschaftlichen Geschlechter- und Identitätsforschung publizieren konnten, drei weitere waren bereits zur Veröffentlichung akzeptiert worden, und sieben wurden gerade noch begutachtet.

"Politische Korrumpiertheit"

Die Urheber des Streichs – der Philosoph Peter Boghossian, der Mathematiker und Autor James A. Lindsay und die Mediävistin und Publizistin Helen Pluckrose – nahmen das zum Anlass, um heftige Attacken gegen eine sich links gebende "politische Korrumpiertheit" zu reiten, die sich in manchen Bereichen der Geisteswissenschaften ausgebreitet habe. Mit anderen Worten: Die Situation habe sich seit der Sokal-Affäre nur noch weiter verschlimmert.

Begonnen hat der Skandal bereits im Vorjahr: Im Mai war es Boghossian und Lindsay unter Pseudonymen gelungen, den Aufsatz "Der konzeptuelle Penis als soziales Konstrukt" im Fachblatt Cogent Social Sciences unterzubringen. Gutachter des Journals hatten die beiden Autoren, die den Fake-Text unter Pseudonymen eingereicht hatten, sogar ermuntert und ihren Text als sehr gelungen beurteilt.

Als Boghossian und Lindsay den Betrug publik machten, hielten sich die Reaktionen in Grenzen: Das Fachjournal sei eher marginal, hieß es. Außerdem sei es auch in Open-Access-Journalen von "predatory publishers", also "Raubverlagen", ein Leichtes, gegen Geld jeden Quatsch zu publizieren. Sprich: Dass die beiden diesen Fake-Artikel unterbrachten, sage noch nichts über den intellektuellen Zustand mancher Bereiche der Geisteswissenschaften aus, die Boghossian und Lindsay im Auge hatten.

20 Artikel in zwölf Monaten

Diese eher verhaltenen Reaktionen motivierten die beiden Hoaxer zu einem sehr viel größeren und dreisteren Streich, an dem auch Helen Pluckrose mitwirkte. Das Trio verfasste innerhalb eines Jahres insgesamt 20 Quatschartikel und reichte sie bei einschlägigen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fachjournalen ein – wie etwa eine Studie über Hundeparks und die dort beobachtete "hündische Vergewaltigungskultur".

Die angebliche Autorin Helen Wilson behauptete, knapp eintausend Stunden in drei Hundeparks in Portland, Oregon, verbracht und dabei zahllose gewalttätige Paarungsversuche bei Hunden beobachtet zu haben, wobei die Hundebesitzer bei homosexuellen Kopulationsversuchen weitaus häufiger eingeschritten seien als bei heterosexuellen. Das Resümee des Fake-Texts: Männern könne man wie Hunden Manieren antrainieren, um sexuellen Missbrauch zu verhindern. Der Fake-Artikel erschien tatsächlich im Fachblatt Gender, Place & Culture, einer anerkannten britischen Zeitschrift für feministische Geografie.

James Lindsay, Helen Pluckrose (hier im Bild) sowie Peter Boghossian fassen die von ihnen kritisierten Fachbereiche unter dem Begriff "Grievance Studies" zusammen: Identitätspolitische Beschwerden (womit Grievance unter anderem übersetzbar ist) über benachteiligte Gruppen stünden dabei über der Suche nach Wahrheit.
Mike Nayna

Legitimer Fettaufbau

Eine andere Studie, die es ins Fachblatt Fat Studies (auch so etwas gibt es) schaffte, argumentierte, dass repressive kulturelle Normen den Muskelaufbau als wertvoller definierten als den Fettaufbau. Die Schlussfolgerung des Fake-Autors namens Richard Baldwin: Bodybuilding müsse quasi auch Fat-Building als legitimen Ansatz einschließen.

Ein weiterer Aufsatz unter dem Titel "Our Struggle Is My Struggle" zitierte unausgewiesen Passagen aus Hitlers "Mein Kampf" – und erschien in einer Zeitschrift für feministische Sozialarbeit. Nur sechs der 20 Artikel waren abgelehnt worden, allesamt übrigens von soziologischen Zeitschriften.

Zwei der mittlerweile von den Fachjournalen zurückgezogenen und für "ungültig" erklärten Fake-Artikel.
Routledge

Empörung und Rechtfertigung

Nachdem der große Schwindel letzte Woche aufgeflogen war, war die Empörung groß: Etliche Forscher nicht nur aus den blamierten Fachbereichen beklagten den Missbrauch wissenschaftlichen Vertrauens. Andere – wie der Harvard-Psychologe Steven Pinker – fanden den Hoax und vor allem seine Begründung erhellend. Die drei Autoren des aufklärerischen Schwindels, die sich selbst als Linke bezeichnen und mit ungebetenem Beifall von rechts rechnen, rechtfertigen in der Online-Zeitschrift Aero ihr Vorgehen in einem langen Artikel.

In bestimmten akademischen Bereichen sei in den letzten Jahren einiges falsch gelaufen. Es komme dort weniger darauf an, nach der Wahrheit zu suchen, als darauf, über soziale Missstände und die Benachteiligung bestimmter Gruppen zu klagen. Und dieses korrumpierte Denken könne paradoxerweise dazu führen, dass Prinzipien von Gemeinschaft und Solidarität, von universellen Werten letztlich illegitim werden. (Klaus Taschwer, 9.10.2018)