"Wir haben versucht, progressiv zu sein, Nomos dazu zu bringen, etwas zu wagen."

Werner Aisslinger

Foto: Nomos Glashütte

Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n: die Uhr "Autobahn" von Aisslinger für Nomos Glashütte.

Foto: Nomos Glashütte

STANDARD: Was bedeutet Zeit für Sie?

Aisslinger: Zeit hat man immer zu wenig. Mein Job zum Beispiel lebt von einer gewissen Wendigkeit, einer bestimmten Dynamik, man kann auch als Designer nicht herumsitzen, aus dem Fenster starren und darauf warten, dass sich die Dinge von alleine regeln. Freizeit im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Denn Arbeitszeit und freie Zeit sind eins. Der kreative Prozess, das Nachdenken über ein Projekt, hört nicht um fünf Uhr nachmittags auf. Es muss alles schneller gehen als vor 20 Jahren. Man hat ganz schön zu tun, um am Ball zu bleiben. Es ist ein Tempoleben.

STANDARD: Darum heißt die neue Uhr, die Sie für Nomos gestaltet haben, "Autobahn"?

Aisslinger: Das hat weniger mit Tempo und Geschwindigkeit zu tun. Mit Autobahn verbinde ich als Designer eine gewisse, auch sehr deutsche Euphorie, ein Lebensgefühl: Die Freiheit, über die Straßen zu fahren, anzuhalten, wo man möchte, um zu picknicken. Speed und Raserei standen dabei sicher nicht im Vordergrund. Wir wollten die schönen Details von Tachometern und Bordinstrumenten aus jener Zeit in das Design der Uhr einfließen lassen, in der die schönsten Autos gebaut wurden, in den späten 70er-Jahren und frühen 80er-Jahren.

STANDARD: Das klingt irgendwie retro.

Aisslinger: Das war ganz und gar nicht unsere Absicht. Wir haben uns vielmehr gefragt, was archetypisch ist an so einem schönen, alten Tacho. Wir haben uns gefragt, welche grafischen Elemente man davon aufs Zifferblatt bringen kann. Es soll eine Stimmung transportiert und nicht die Automobilgeschichte nacherzählt werden. Wir wollten diese Emotionen von damals in die heutige Zeit mitnehmen.

STANDARD: Verkauft sich "typisch deutsches" Design besser? Ich denke an die Bauhaus-Anleihen bei anderen Uhrenherstellern.

Aisslinger: Das hat man in Deutschland verinnerlicht – Bauhaus, Werkbund, Minimalismus. Das Erscheinungsbild der Nomos-Uhren lehnt sich stark daran an, an das Strenge und Funktionale. Es transportiert etwas Urdeutsches, damit knüpft man an die Geschichte an. Dafür steht Deutschland: dass die Dinge funktionieren. Manchmal gelingt es sogar, dass die Dinge noch dazu schön sind. Aber im Prinzip ist es eine funktional denkende Welt, in der sich auch Nomos positioniert hat.

STANDARD: Junghans zum Beispiel ist mit der Max-Bill-Linie seit Jahrzehnten erfolgreich ...

Aisslinger: Weltweit geht's bei Uhren, glaube ich, eher um Bling-Bling und um Gold. Es gibt kulturelle Unterschiede, wie man mit Reichtum umgeht: Im Norden Europas würde man sich niemals einen protzigen Sportwagen kaufen, dort steht man mehr auf das einfache, schlichte Design, man zeigt nicht, was man hat. Das Belohnungsverhalten ist ein anderes. In den USA zeigt man seinen Reichtum, und es wird einem nicht übelgenommen. In den neureichen Ländern wie China, wo täglich neue Millionäre hinzukommen, ist der Zugang zum Luxus wieder ein anderer. Bei uns gilt: den Ball flachhalten und ein bisschen dezenter auftreten. In der Hinsicht spielt Nomos auf dem richtigen Feld.

STANDARD: Tatsächlich holen nur sehr wenige Uhrenmarken den Gestalter vor den Vorhang. Uhrendesign passiert im Wesentlichen anonym. Woran liegt das?

Aisslinger: Das habe ich auch nie verstanden. Aber ich denke, das liegt vor allem daran, dass in der Schweizer Tradition die Uhrmacher die Helden sind und nicht die Designer. Letztere werden als Dienstleister gesehen. Das waren und sind Leute, die man außerhalb der Uhrenszene gar nicht kennt. Das haben die Schweizer so beibehalten. Dort steht die Marke im Vordergrund und nicht einzelne Personen. Es gibt auch andere Produktwelten, wo die Designer kaum eine Rolle spielen. Gott sei Dank denkt Nomos da anders – mit einem eigenen Designbüro in Berlin, Mark Braun hat ja schon eine Uhr gestaltet, auch Axel Kufus und jetzt wir. Ich bin mir sicher, dass die Marke auf diesem Weg weitermacht.

STANDARD: Welche Motive hat eine Marke, wenn sie mit einem namhaften Designer kooperiert?

Aisslinger: Na ja, möglicherweise würden Sie mit einem unbekannten Designer kein Interview führen. Kreative an Bord zu holen, wie man es aus der Modewelt kennt, ist natürlich ein Kommunikationsvorteil, wenn ein Produkt gelauncht wird.

STANDARD: Wie schwierig ist es, eine Uhr zu entwerfen?

Aisslinger: Wir haben versucht, die Nomos-Leute in eine neue Richtung zu schubsen, um mal eine etwas andere Uhr neben die bestehende Kollektion zu stellen. Sie sollte das Spektrum ein bisschen erweitern. Um zu sagen: Das ist auch Nomos, aber eben ein neuer Ansatz. Bei der "Autobahn" wurde parallel ein neues Werk entwickelt, was die Kooperation komplexer gestaltet hat.

STANDARD: Gab's Reibereien?

Aisslinger: Die Uhrenindustrie ist im Unterschied zu anderen Industrien – ich denke da an die Möbelindustrie – nicht unbedingt schnell. Es werden nicht jedes Jahr neue Modelle wie am laufenden Band rausgehauen. Es ist ein gemächlicher Weg. Es gibt Überarbeitungen, Facelifts ... Wir haben versucht, progressiv zu sein, Nomos dazu zu bringen, etwas zu wagen. Die Angst war da, nicht mehr Nomos zu sein. Das könnte man natürlich über jede andere Marke auch sagen. Es war ein Balanceakt zwischen etwas Neuem und etwas, das auch einen Wiedererkennungswert hat. Es musste eine Assoziation zur ästhetischen Sprache der Nomos-Produktfamilie gegeben sein. Kurz: Wir mussten in den vier Jahren Entwicklungszeit viel Überzeugungsarbeit leisten.

STANDARD: Wie relevant ist die Uhr heute noch?

Aisslinger: Das reine Zeitablesen war vielleicht vor hundert Jahren wichtiger als heute. Was man aber nicht unterschätzen darf: Viele bauen eine emotionale Bindung zu ihrer Uhr auf. Das ist etwas Einzigartiges. Eine Uhr trägt man schon mal dreißig Jahre, möglicherweise sein ganzes Leben. Sie ist ein äußerst langfristiges Produkt. Vielleicht wechselt man den Ehering heutzutage öfters als die Uhr. Sie ist etwas Persönliches und Privates, gerade für Männer. Sie kennen ja den Spruch vom einzigen legitimen Schmuckstück des Mannes. Für das Design einer Uhr bedeutet das: Man muss einen Archetypus schaffen, ein Ding für die Ewigkeit.

STANDARD: Was halten Sie von Smartwatches?

Aisslinger: Ich glaube nicht an die Smartwatch, denn ich halte es für Unsinn, zusätzlich zum Smartphone ein weiteres Gadget herumzutragen. Die mechanische Uhr wird in den nächsten Jahren noch wichtiger werden. Ich kenne die Diskussion in der Uhrenindustrie und ihre Angst, ob eine jüngere Generation noch für die mechanische Uhr zu begeistern sein wird.

STANDARD: Sie teilen diese Angst nicht?

Aisslinger: Eine Smartwatch muss ungefähr alle zwei Jahre ausgetauscht werden. Man trägt ein identitätsloses Produkt mit sich herum, das ohne Wert ist. Es geht eher dahin, dass man hinterfragt, was bestehen bleibt. Da hat die mechanische Uhr eindeutig die Nase vorne.

STANDARD: Wie wird die Uhr in 50 Jahren aussehen?

Aisslinger: Sie wird wahrscheinlich nicht viel anders aussehen als heute. Die Innovationen werden eher über die Materialien kommen. Auch die Bauteile werden sich durch neue Herstellungs- und Bearbeitungsmethoden verändern. Vielleicht findet man etwas, das Edelstahl oder die Gläser perfekt ersetzt. Aber vom Erlebnis der mechanischen Uhr, wie wir sie heute kennen, wird sich das kaum unterscheiden. Ich finde das sehr positiv. Es wird eine konsistente Welt bleiben. (Markus Böhm, RONDO, 27.10.2018)

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