Wien – Das Volksbegehren mit über 300.000 Unterschriften gegen die ORF-Gebühren dürfte für Rückenwind sorgen, dennoch ist der Zeitpunkt Zufall, behaupten zumindest die Initiatoren: Der Prozessfinanzierer Advofin startet am Mittwoch die laut eigenen Angaben "größte Konsumentensammelklage, die es bislang in Österreich gegeben hat".

Sie rufen 3,3 Millionen GIS-Kunden auf – Privatpersonen, nicht Unternehmer –, sich die zehn Prozent Mehrwertsteuer auf das Programmentgelt zurückzuholen, die sie laut den Anwälten zu Unrecht bezahlt haben. Der Grund? Sie sei "europarechtswidrig". Zurückgefordert könne das Geld für die vergangenen fünf Jahre werden. Die Österreicher hätten der GIS und damit dem ORF mehr als 300 Millionen Euro zu viel bezahlt, heißt es. Das mache in Summe rund 100 Euro pro GIS-Zahler aus. 27 Prozent davon, also 27 Euro, bleiben im Erfolgsfall bei Advofin.

Juristische Grundlage sei eine Entscheidung des Europäische Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2016, erklärte Advofin-Vorstand Gerhard Wüest bei einer Pressekonferenz am Mittwoch: "Auf Rundfunkgebühren sind keine Mehrwertsteuern zu erheben", habe der EuGH anhand eines Streitfalls in Tschechien zu den dortigen Rundfunkgebühren festgestellt. Es sei "höchste Zeit, diesen österreichischen Alleingang" zu bereinigen.

Was für Tschechien gilt, gelte auch für den ORF

Wolfgang List, Anwalt der Advofin und Experte für europäisches Recht, ist sich sicher, dass die Causa wasserdicht ist: "Was für den tschechischen Rundfunk gilt, gilt 1:1 auch für den ORF. Weder in Tschechien noch in einem anderen Land der EU wird heute noch Konsumenten die Umsatzsteuer auf Rundfunkgebühren verrechnet." Für die Beteiligung an der Sammelklage reicht eine einfache Anmeldung mit Name und Überweisungsbestätigung an die GIS. Ein Prozessrisiko bestehe nicht, betonen die Initiatoren. Sie erhoffen sich eine Beteiligung von zehn Prozent der Gebührenzahler, das wären 333.000 Leute.

Wüest sagt, dass die Sammelklage nicht gegen den ORF per se oder die GIS gerichtet sei, sondern im Sinne der Kunden eingebracht werde. Der GIS könnte sich das Geld vom Bund zurückholen: "Uns geht es nicht um eine Abschaffung der GIS-Gebühren. Uns geht es allein darum, dass geltendes Recht umgesetzt wird und Konsumenten zu ihrem Recht kommen. Es kann nicht sein, dass der Konsument eine Steuer auf Steuern bezahlen muss." Nachdem die GIS trotz des Urteils, das seit zwei Jahren vorliegt, nicht reagiert habe, müsse der Rechtsweg beschritten werden.

Die ersten Schritte wurden bereits in die Wege geleitet – auf zivilrechtlichem Wege und auf dem Verwaltungsrechtsweg. Die Verfahrensdauer werden davon abhängen, ob die Causa durch mehrere Instanzen geht und wann sie letztendlich beim Europäischen Gerichtshof aufschlägt. Die Anwälte hoffen auf eine Entscheidung in einem halben Jahr, sollte der ORF nicht den Instanzenzug bemühen, fix rechnen sie mit einem EuGH-Urteil bis spätestens Ende 2019.

ORF müsste sich das Geld vom Bund holen

Die Forderungen müssten sich gegen den ORF bzw. die GIS wenden, da Letztere als Behörde die Einhebung durchführe. Sollte Advofin recht bekommen, müsste der ORF wiederum die Mittel – über 60 Millionen Euro jährlich – vom Bund zurückfordern. Jedenfalls verlieren würde der ORF die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs.

Im Finanzministerium verweist man indes wie schon 2016 auf eine Sonderregelung im EU-Beitrittsvertrag, wonach Österreich weiterhin nichtgewerbliche Tätigkeiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten versteuern könne. "Unser Standpunkt hat sich nicht verändert", erklärte Ministeriumssprecher Johannes Pasquali am Mittwoch der APA. "Wir sind der Meinung, dass es hier eine aufrechte und auch rechtskonforme Rechtsgrundlage gibt." Es gebe diesbezüglich auch ein Gutachten aus dem Jahr 2016, das diese Position untermauere. "Dennoch überprüfen wir auch das EuGH-Urteil."

Und was sagt der ORF selbst? Der "rechtlich sehr klaren Stellungnahme des Finanzministeriums" sei nichts hinzuzufügen. (omark, APA, 10.10.2018)