Nicht neu, wird aber immer wieder vergessen: Weniger Zucker macht nicht automatisch schlank, vielmehr muss auf die Gesamtkalorienzufuhr geachtet werden.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wien – Die österreichische Bevölkerung wird immer dicker, das zeigen in regelmäßigen Abständen die Ernährungsberichte des Instituts für Ernährungswissenschaften der Uni Wien. Im Jahr 2017 weist die Studie einen Anteil von 41 Prozent übergewichtiger oder adipöser Erwachsener aus. Galt früher Fett als Dickmacher Nummer eins, wird mittlerweile zunehmend der Zuckerkonsum als Ursache für wachsende Bauchumfänge verantwortlich gemacht. Die Plattform "Forum Ernährung heute" hat nun die gängigsten Behauptungen zum Thema Zucker einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt in ihren Guidelines eine schwache bis moderate Beweislage für den Zusammenhang zwischen der Aufnahme freier Zucker wie Mono- und Disaccharide und dem Körpergewicht an. Die zusammengefassten Effekte aus mehreren Studien zeigen: Werden statt freien Zuckern andere Kohlenhydrate aufgenommen – und die gesamte Energiezufuhr bleibt unverändert –, kommt es, wie zu erwarten, zu keiner Gewichtsreduktion.

Wird beim Zucker gespart, ergibt die Metaanalyse ein Minus von im Schnitt 0,80 Kilogramm, wird mehr Zucker aufgenommen als üblich, steigt das Körpergewicht im Mittel um 0,75 Kilogramm. "In Hinblick auf Übergewicht, Adipositas und deren Folgeerkrankungen ist aufgrund der Datenlage die Wirkung einer strikten Zuckerbegrenzung zumindest fraglich. Vielmehr muss es um die Aufnahme aller Kalorienträger gehen – also neben Kohlenhydraten um Fett, Alkohol und Eiweiß", heißt es vonseiten der Ernährungsplattform.

Kausale Wirkung von Softdrink-Steuern nicht belegt

Die Anfang 2014 in Mexiko eingeführte Steuer von einem Peso pro Liter zuckergesüßtes Getränk erzielte im Durchschnitt im ersten Jahr einen Absatzrückgang von rund vier Litern Limonade pro Person. Damit wurde in einem Jahr eine Kalorienreduktion von etwa 1.800 Kilokalorien pro Kopf erreicht, das entspricht nicht ganz einem Fasttag im Jahr. Die Studienautoren geben als große Limitierung an, dass kein Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen dem reduzierten Kaufvolumen und der Steuer erfasst werden konnte. Als Gründe nennen sie parallel gestartete Gesundheitskampagnen zu zuckergesüßten Getränken und Anti-Obesity-Programme.

"Die Effekte einer Zuckersteuer auf gesüßte Getränke tragen nicht wesentlich zur durchschnittlichen Kalorienreduktion bei. Obwohl ein übermäßiger Konsum von Softdrinks wahrscheinlich mit der Entstehung von Übergewicht und Adipositas zusammenhängt, sind Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip nicht erfolgversprechend. Vielmehr ist eine klare Zielgruppenorientierung notwendig, die in erster Linie auf junge Männer ausgerichtet ist", lautet dazu das Fazit von "Forum Ernährung heute".

Effekt von Limonaden

Laut dem Österreichischen Ernährungsbericht 2017 trinken Männer im Schnitt doppelt so viel Limonade wie Frauen (247 vs. 121 Milliliter). Kampagnen sollten deshalb vor allem die männlichen "Heavy User" ansprechen, die täglich rund 1,1 Liter zuckerhaltige Getränke zu sich nehmen – unter den 19- bis 25-Jährigen sind es sogar zwei Liter pro Tag. Das entspricht einer täglichen Ration von 840 Kilokalorien oder rund einem Drittel der durchschnittlichen Tagesenergieaufnahme junger Männer.

Dass ein hoher Konsum zuckergesüßter Getränke bei Erwachsenen das Risiko für Adipositas erhöht, ist laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) "wahrscheinlich", bei Kindern "möglich". Begründet wird das mit der Vermutung, dass in kurzer Zeit hohe Energiemengen aufgenommen werden, ohne dass ein Sättigungseffekt eintritt.

Zweifel an Zuckersucht

Den Ernährungswissenschaftern von "Forum Ernährung heute" zufolge gibt es weder eine Zuckersucht, noch kann von einer Droge gesprochen werden. "Das Entscheidende an einem Suchtmittel ist, dass es unmittelbar und psychotrop wirkt, also die Psyche massiv verändert. Das trifft im Gegensatz zu Opiaten, Kokain, Tranquilizern oder Alkohol auf Zucker nicht zu. Bevor man von einem Abhängigkeitssyndrom oder einer Sucht spricht, müssen über mehrere Wochen mindestens drei von sechs der von der WHO herausgegebenen Kriterien der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme zutreffen. Zu den Kriterien zählen zwanghaftes Konsumieren, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, psychische und körperliche Abhängigkeit." Demnach könne Zucker keine Substanz mit Suchtpotenzial sein und auch nicht abhängig machen.

Das größte Problem ist Bewegungsmangel

Seit dem ersten Wiener Ernährungsbericht 1994 ist die Kalorienaufnahme bei Frauen im Durchschnitt um 65 auf 1.815 Kilokalorien und bei Männern um 130 auf 2.453 Kilokalorien pro Tag gestiegen.

Laut Marlies Gruber, wissenschaftlicher Leiterin von "Forum Ernährung heute", kann dieser geringe Anstieg in der Kalorienaufnahme die steigende Prävalenz von Übergewicht und Adipositas nicht ausreichend erklären. "Die Nährstoffverteilung und Kalorienaufnahme sind über die Jahrzehnte nahezu unverändert, drastisch abgenommen hat hingegen die körperliche Aktivität. Rund jeder Zweite nimmt für sein niedriges Aktivitätslevel zu viele Kalorien auf", so das Fazit der Expertin. (red, 14.10.2018)