Taiwans Wahrzeichen "Taipei 101" war eins das höchste Gebäude der Welt. Heute überragen gleich mehrere Türme auf Chinas Festland das Monument.

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Drei Jahre lang war der 2004 fertiggestellte Wolkenkratzer "Taipei 101" in Taiwans Hauptstadt das höchste Gebäude der Welt. Besucher werden ganz oben zu einem 660-Tonnen-Stahlpendel geführt. Die goldfarben bemalte Kugel soll Schwankungen des über 500 Meter hohen Turms ausgleichen, wenn Taifunwinde das Wahrzeichen zu stark Richtung Festland drücken. Die Konstruktion ist sinnbildlich für die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder: Taiwans Unternehmen verdanken Chinas Öffnung hohe Profite, die zunehmende Abhängigkeit birgt jedoch Gefahren.

Als einer der "asiatischen Tiger" erlebte Taiwan seit den Siebzigern eine Industrialisierung mit historisch nahezu einzigartigen Wachstumsraten. Der Inselstaat setzte auf Massenproduktion von Billigware. Heute ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Taiwan mit rund 50.000 Dollar – wie in Österreich – dreimal so hoch wie in China.

Taiwans Börsenkurse sind auch stark an China gebunden.
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Während sich Taiwan von einem Schwellenland zu einem Industrieland entwickelte, begab sich das Festland mit knapp zwei Jahrzehnten Verzögerung auf eine ähnliche Reise. Davon profitierte die Wirtschaft Taiwans, die mittlerweile Elektronik statt Textilien exportiert. Heute können die Firmen auf chinesische Arbeitskräfte zurückgreifen. Allein der taiwanesische Apple-Zulieferer Foxconn beschäftigt eine Million Menschen in China.

Chinesische Touristen in Taiwan

Im Vorjahr betrug das Handelsvolumen zwischen Taiwan und China inklusive Hongkong rund 170 Milliarden Euro. Über 40 Prozent der taiwanesischen Exporte gehen nach China. Auch bei Investitionen überwiegt das Engagement von Taiwans Unternehmen. Umgekehrt kommt jeder zweite Tourist in Taiwan aus China.

Pekings Aufstieg kostete diplomatischen Einfluss, öffnete aber andere Türen: Nachdem China im Jahr 2001 der Welthandelsorganisation (WTO) beitrat, konnte Taiwan 2002 als "separates Zollgebiet" mitwirken. 2008 wurden erstmals wieder Direktflüge zugelassen. 2010 einigten sich beide Seiten auf Zollsenkungen und weitere Reiseerleichterungen.

Trumps Strafzölle und Taiwan

Der pragmatische Ansatz, offen für Geschäfte zu sein, obwohl beide Seiten einander die völkerrechtliche Existenz absprechen, wird nun vom Handelsstreit zwischen Washington und Peking bedroht. Nachdem US-Präsident Donald Trump nach seiner Angelobung für sein Telefonat mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen Kritik für sein mangelndes Verständnis der Ein-China-Politik geerntet hatte, reagierte er erbost: "Ich weiß nicht, warum wir an die Ein-China-Politik gebunden sein müssen, wenn wir nicht einen Deal mit China über andere Dinge wie den Handel haben." Heuer erließ Trump Strafzölle im Wert von rund 250 Milliarden Dollar. Eines der ersten Ziele war die Halbleiterindustrie. Davon war Taiwan besonders stark betroffen.

Sollte der Streit zwischen Washington und Peking eskalieren, wäre Taiwan in der Mitte gefangen, vor allem wirtschaftlich. Das wäre für die Politiker und Unternehmer eine neue Situation. So neu wie drei Hochhäuser in China, die den "Taipei 101" mittlerweile überragen. (Leopold Stefan, 22.10.2018)