John Bolton traf am Montag den Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew, einst auch russischer Geheimdienstchef.

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Es herrscht Gesprächsbedarf: Am Wochenende hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, den INF-Vertrag aufzukündigen, der ein Verbot aller nuklearen Mittelstreckenraketen mit einem Aktionsradius von 500 bis 5.500 Kilometer vorsieht. Der US-Präsident begründete den Schritt damit, dass Russland sich ohnehin nicht an das Abkommen halte. "Sie verletzen es seit vielen Jahren, und ich weiß nicht, warum Präsident Obama nicht neu verhandelt hat oder ausgetreten ist", sagte Trump bei einem Wahlkampfauftritt.

Er werde nicht zulassen, dass den USA durch einen Vertrag die Hände gebunden seien, während die Gegenseite Atomwaffen produziere, fügte der US-Präsident hinzu. Zwar nannte Trump keine Details der mutmaßlichen russischen Vertragsverletzungen, doch in Washington gilt seit längerem die R-500-Rakete als verdächtig. Mit der R-500 wird der russische Raketenkomplex Iskander bestückt, der auch Atomsprengköpfe abschießen kann. Offiziell haben die R-500 eine Reichweite von 500 Kilometern, doch US-Militärs glauben, dass die Daten künstlich nach unten revidiert wurden, damit die Raketen nicht unter den INF-Vertrag fallen.

Russland sieht sich nicht vertragsbrüchig

Der Kreml verweist hingegen darauf, dass im Vertrag als Reichweite diejenige festgehalten sei, auf die die Raketen getestet wurden. Insofern sieht sich Moskau nicht als vertragsbrüchig – zumal es spiegelgleiche Vorwürfe gegen Washington gibt. Russische Militärs sehen die Tomahawk-Raketen ebenfalls als potenziellen Bruch des INF-Vertrags an. Die Marschflugkörper werden von Kriegsschiffen abgeschossen, während der Vertrag sich auf landgestützte Systeme beschränkt. Die Tomahawks können aber relativ problemlos auch von Land aus eingesetzt werden, womit sie ebenfalls unter den Vertrag fallen würden.

Unter diesen Bedingungen ist der zweitägige Moskau-Besuch von US-Sicherheitsberater John Bolton doppelt schwierig. Bolton soll nicht nur die ohnehin strapazierten amerikanisch-russischen Beziehungen pflegen, sondern muss dem Kreml wohl auch den verkündeten US-Ausstieg aus dem INF-Vertrag erklären. Da er selbst als derjenige gilt, der Trump in diese Richtung bewegt hat, dürften die Gespräche in Moskau angespannt verlaufen. Immerhin hat der Kreml ein Treffen Boltons mit Präsident Wladimir Putin am Dienstag noch nicht gestrichen. Zunächst aber traf Bolton am Montag den ehemaligen russischen Geheimdienstchef und jetzigen Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew. Geplant sind zudem Gespräche mit dem Außenministerium und Putins Berater Juri Uschakow.

Moskau verärgert

Die negative Grundstimmung wurde allerdings schon im Vorfeld der Gespräche deutlich: Mehrere russische Politiker, allen voran der ehemalige Sowjetpräsident Michail Gorbatschow, der 1987 einer der Unterzeichner des Vertrags war, äußerten scharfe Kritik. Gorbatschow bezeichnete die Pläne der USA als Fehler. "Es kann nicht so schwer sein zu begreifen, dass die Abkehr von solchen Vereinbarungen nicht besonders klug ist", sagte er. Er hoffe allerdings, dass das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen sei.

Über die Zukunft des INF-Vertrags wollte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Montag derweil nicht spekulieren: "Wir warten auf die offizielle Begründung unserer amerikanischen Kollegen", sagte er. Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte derweil an, dass Moskau auf einen derartigen Schritt mit "Maßnahmen zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit" reagieren werde. Das dürfte eine weitere Aufrüstung an den Grenzen speziell zu Europa bedeuten. Schon jetzt ist die Stationierung von Iskander-Systemen in Kaliningrad ein Dauerreizthema.

Gipfeltreffen

Derweil sind die Atomverträge nicht das einzige Thema, das Bolton nach Moskau mitbringt. Aus russischen Regierungskreisen ist durchgedrungen, dass der US-Sicherheitsberater auch das Terrain für ein neues Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin sondieren könne. Als mögliche Treffpunkte gelten Paris am 11. November während der Feiern zum 100. Jahrestag der Beendigung des Ersten Weltkriegs oder Buenos Aires drei Wochen später, am Rande des G20-Gipfels. Vor Tagen hatte Peskow die Vorbereitung eines bilateralen Gipfels dementiert, allerdings nicht die Möglichkeit eines Treffens im Rahmen einer anderen Großveranstaltung. Insofern bieten sich Paris und Buenos Aires am besten für das nächste Vieraugengespräch an.

Zuletzt hatten sich die beiden Staatsführer im Juni zu einem eigenen Gipfel in Helsinki getroffen. Trump hatte direkt danach Putins Dementi einer russischen Einmischung in den US-Wahlkampf als "sehr, sehr stark" bezeichnet und somit öffentlich eigene Geheimdienstinformationen angezweifelt. Das hatte Trump im eigenen Land schwere Kritik eingebracht, woraufhin der US-Präsident seine Aussagen revidierte. (André Ballin aus Moskau, 22.10.2018)