Es kommt unvermutet, das überwältigende Gefühl der Traurigkeit. Eben hat man sich noch vor der albtraumhaften "Bent-Neck Lady" gefürchtet, im nächsten Augenblick schnürt es einem schon die Kehle zu, und man möchte weinen. So wie im echten Leben liegen Angst und Trauer sehr nah beieinander.

Netflix

"Ich war die ganze Zeit hier. Niemand konnte mich sehen"

"The Haunting of Hill House", die zehnteilige Netflix-Serie, die seit einigen Tagen verfügbar ist, basiert lose auf Shirley Jacksons gleichnamigem American-Gothic-Roman und erzählt die Geschichte der Crain-Familie, die 1992 in die Villa Hill House zog. Der Plan der Eltern, die Villa herzurichten und anschließend gewinnbringend zu verkaufen, geht auf tragische Weise schief. Gleich in der ersten Folge erfährt man als Zuseher von jener Nacht in Hill House, der die Mutter auf mysteriöse Art zum Opfer gefallen ist und die jedes Familienmitglied bis zum heutigen Tag schwer traumatisiert.

Man erfährt mit jeder Folge etwas mehr über die Crains und ihre Vergangenheit – und das Geisterhaus, in dem sie einst lebten. Dämonen und Geister gibt es mehr als genug in der düsteren Villa im Wald. Sie zeigen ihre Gesichter in dunklen Ecken, stehen bewegungslos im Hintergrund, verwischen die Grenzen zwischen Traum und Realität oder wandeln wie selbstverständlich unter den Lebenden. Doch Verlust, Trauer, Schuld, Sprachlosigkeit und Erinnerungen an einfachere Tage sind ebenso mächtige Dämonen, die unser aller Leben bevölkern.

Die Crains vor 26 Jahren.
Steve Dietl/Netflix

"Und was immer dort umherging, war allein"

Regisseur Mike Flanagan ist mit "The Haunting of Hill House" ein großer Wurf gelungen. Die Kritiken sind durch die Bank positiv, manche Filmkritiker geben gar zu, nur noch bei Licht zu schlafen. Und auch die Zuseher bewerteten den Film auf der Plattform Rotten Tomatoes – genauso wie die Kritiker – zu 92 Prozent positiv.

Selbst Stephen King hat sich als Fan geoutet und die Serie als "nahe am Werk eines Genies" bezeichnet. Die Serie stellt sich in diesem Fall als perfektes Format heraus, um komplexe Charaktere und vielschichtige Beziehungen zu erschaffen und die Spannung und das Grauen langsam aufzubauen und zu halten. Aus der Reihe guter Folgen stechen einzelne besonders heraus – so wie die sechste, in der sich Ereignisse einer stürmischen Nacht in der Gegenwart und der Vergangenheit nahtlos miteinander vermischen. Die gesamte Folge besteht aus wenigen Einstellungen, deren längste annähernd zwanzig Minuten dauert.

Die Familie Crain heute.
Steve Dietl/Netflix

Obwohl sich "The Haunting of Hill House" klassischer Horrorelemente – Nebel, lange, dunkle Gänge, Statuen, Geistererscheinungen in der Nacht – bedient, wird deutlich, dass das Genre in den richtigen Händen so viel mehr zu bieten hat als billige Jumpscares und platte Geschichten. Der wahre Horror liegt ohnehin woanders. (Anya Antonius, 24.10.2018)