Ein einmonatiger Studienaufenthalt im Oman zum Zwecke der Wiederbelebung und Verbesserung verschütteter Arabischkenntnisse gab in diesem Sommer die Gelegenheit, ein Land näher kennenzulernen, das hierzulande in erster Linie als aufregende (Luxus-)Tourismusdestination bekannt ist beziehungsweise als solche massiv beworben wird. Dieser Aufenthalt bot dabei eine interessante Möglichkeit, ein tief vom Islam geprägtes Land kennenzulernen, das auf der arabischen Halbinsel liegt, aber so fern und frei von dem ist, was man gemeinhin heute mit dieser Region assoziiert. Ein Land, das man ohne Probleme individuell bereisen kann und in dem man es stets mit immens freundlichen, äußerst zuvorkommenden und ungeheuer hilfsbereiten Menschen zu tun bekommt.

Omans Öffnung

Und das eigentlich schon eine geraume Zeit. Viel verdankt der Oman in dieser Hinsicht dem aktuellen Herrscher, Sultan Qabus ibn Said (geboren 1940), der seit 1970 herrscht. Als Sohn des damaligen Herrschers wurde er früh auf seine Aufgabe als künftiger Sultan vorbereitet und erfuhr eine sehr gute Ausbildung, die ihn für längere Zeit nach England führte, unter anderem in die Königliche Militärakademie in Sandhurst und in den Kontext der britischen Verwaltung. Die Ausbildung war offensichtlich so gut, dass sich der junge Prinz 1970 bereit sah, die Herrschaft zu übernehmen, was nur möglich war, indem er seinen Vater wegputschte. Dabei konnte er sich der Unterstützung der Briten sicher sein, die die gesamte östliche Golfregion in dieser Zeit dominierten, unter anderem auch, weil diese in einer kommunistischen Aufstandsbewegung im Süden des Landes eine Gefahr für das ganze Gebiet sahen, der man begegnen musste.

Eines der vielen Porträts von Sultan Qabus im öffentlichen Raum.
Foto: Franz Winter

Mit der Machtergreifung des Sultan setzte ein überragendes Erneuerungsprogramm ein, das nach bedeutenden Ölfunden mit Hilfe der neuen erschlossenen finanziellen Möglichkeiten den Oman von Grund auf veränderte – so wie viele der angrenzenden Golfstaaten, die alle um einige Jahrzehnte nach Saudi-Arabien an Öl kamen. Dabei ist der Oman aber nicht mit allzu viel Öl gesegnet (wenn man ihn mit anderen Golfstaaten vergleicht), was zu bedeutenden sozioökonomischen Unterschieden führt. Am evidentesten ist das in der Tatsache, dass man im Oman ganz selbstverständlich im täglichen Leben mit Omanis konfrontiert ist, sei es beim täglichen Einkauf oder bei einer simplen Taxifahrt. Eben solche Tätigkeiten werden in vielen Golfstaaten fast durchgehend von Gastarbeitern übernommen, vornehmlich aus Indien, Pakistan oder Bangladesh. Diese findet man im Oman auch, insbesondere im blühenden Bauwesen, aber nicht in diesem Ausmaß wie anderswo. Und allein diese Tatsache macht dieses Land anders als die Umgebung.

Transformation eines Golfstaates

Vorrangiges Ziel der seit 1970 einsetzenden Veränderungen durch Sultan Qabus war der Ausbau des Gesundheits- und des Bildungswesens, die beide zuvor so gut wie nicht existierten. Die ausgehenden 1970er- und 1980er-Jahre boten dafür die idealen Möglichkeiten. Es setzte eine umfassende Modernisierung ein, die innerhalb einer einzigen Generation eine völlig neue Gesellschaft entstehen ließ. Dabei schaffte es Sultan Qabus offensichtlich, die vielen Herausforderungen einer solchen Transformation zu meistern, weil er sich um einen moderaten, ausgeglichenen Zugang bemühte. Das zeigt sich auch in seinem Agieren auf internationaler Ebene. Bedeutend war beispielsweise die Tatsache, dass der Oman eines der wenigen Ländern in dieser Region ist, die einen positiven Zugang zum Staat Israel haben. 1994 besuchte der damalige israelische Premier Yitzhak Rabin den Oman; ein Ereignis, das gut und gerne als Meilenstein der nahöstlichen Zeitgeschichte betrachtet werden kann. Und erst kürzlich eine diplomatische Fortsetzung erfuhr.

Qabus ibn Said.
Foto:APA/AFP/MOHAMMED MAHJOUB

Die Figur des Sultan Qabus ist zweifellos eine überragende Herrscherfigur in der Golfstaatenregion. Doch man muss sich klar vor Augen führen, dass es sich um ein absolut autokratisches System handelt, das eine klare Hierarchie kennt, an deren Ende allein dieser Sultan steht. Er ist Premier-, Verteidigungs-, Finanz- und Außenminister und Präsident der Zentralbank Omans in einer Person. Erst seit 1991 gibt es einen Staatsrat, dessen Mitglieder auf der lokalen Ebene bestimmt werden, und der beratenden Charakter hat. Es ist von außen schwer, hinter die Kulissen des Regierungsapparates zu sehen. Mit einem Herrscher wie Qabus hat der Oman Glück gehabt. Und all dies kann sich bei einem nicht so geeigneten Nachfolger rasch ändern.

Dass sich Dinge ändern werden müssen, zeigen auch jüngere Vorkommnisse. So gab es auch im Oman 2011 Proteste im Rahmen des sogenannten Arabischen Frühlings, der ausgehend vom nordafrikanischen Raum weite Teile der arabischen Welt erfasste. Es waren vor allem junge Menschen in den Hafenstädten im Norden, die demokratische Strukturen einforderten und die steigende Arbeitslosigkeit beklagten. Der Sultan sagte Änderungen zu, die allerdings bislang noch nicht realisiert wurden. Viel wird davon abhängen, wer ihm nachfolgt und ob dieser die autokratischen Strukturen lockert. Denn die Erwartungshaltung bei den Jugendlichen, insbesondere bei den vielen, die nun höhere Bildung an den Universitäten anstreben, ist groß. Elemente wie eine freie Presse oder ähnliches wären wichtige Vorbedingungen. Dann würde man beispielsweise auch etwas über die Flüchtlinge aus dem Jemen lesen, die vom dortigen Krieg in den Oman fliehen.

Sultan Qabus Moschee in Maskat.
Foto: Franz Winter
Oberer Teil der Gebetsnische in der Sultan Qabus Moschee mit für den Iran typischen muqarnas.
Foto: Franz Winter

Spezifischer Islam

Die Prägung dieses Landes hat möglicherweise auch viel mit der spezifischen Form des Islam zu tun, die dort die Mehrheitsreligion ausmacht: die sogenannte ibaditische Richtung, die eigentlich neben der sunnitischen und der schiitischen eine separate Tradition darstellt – wenn auch auf den ersten Blick die Nähe zur sunnitischen Tradition evident ist. Die Geschichte der Ibaditen ist allerdings etwas unklar. Traditionell verbindet man diese Tradition mit der Frühgeschichte des Islam, wo die Bewegung der sogenannte Kharijiten den angeblichen Ursprung ausmacht. Diese Kharijiten waren ursprünglich eine Gemeinschaft, die sich vom Hauptstrom abtrennte, weil man bestimmte Entwicklungen, insbesondere die Entstehung der dynastischen Kalifate ab Mitte des 7. Jahrhunderts, nicht mittrug.

Ihr Porträt im Schrifttum des (sunnitischen) Mainstream fiel dementsprechend negativ aus: Sie werden als vagabundierende Räuberbanden hingestellt, die zu den vielen Verirrungen der islamischen Frühgeschichte zählen würden. Doch ist von einer erstaunlichen Verbreitung der Kharijiten in der Frühzeit des Islam auszugehen, die von al-Andalus (die muslimisch beherrschten Teile der iberischen Halbinsel) bis Afghanistan reicht. Aus der eher quietistischen Tradition dieser Kharijiten entwickelte sich die ibaditische Richtung, die neben der primären Präsenz im Oman heute auch noch in einzelnen eher isolierten Gebieten in Algerien, Libyen, Tunesien und an der afrikanischen Ostküste zu finden ist. Von einer regelrechten Formierung einer separaten Tradition muss allerdings erst später ausgegangen werden, frühestens im 8. Jahrhundert. Wie genau diese Entwicklungen verlaufen sind, ist weitgehend unerforscht, vor allem auch deshalb, weil die zugehörigen Quellen erst in den letzten Jahren sinnvoll veröffentlicht zur Verfügung stehen.

Betende in der Sayyida Maizun Moschee, Seeb.
Foto: APA/AFP/GIUSEPPE CACACE

Ibaditische Tradition

Die Ibadiyya ist also ein Erbe einer spezifischen Richtung innerhalb des frühen Islam, die sich, wie auch die späteren sunnitischen und schiitischen Richtungen, primär aufgrund einer zentralen Frage herausbildete: die Nachfolge Mohammeds in der Leitung der islamischen Gemeinschaft. In der Ibadiyya hat sich hier eine ganz spezifische Lehre eines Imamats entwickelt, das heißt die Leitung obliegt einem Imam, der durch bestimmte Charakteristiken geprägt ist und der eigentlich von der Gemeinschaft gewählt wird. Im Selbstverständnis der ibaditischen Tradition sieht man sich dabei direkt in der Tradition der frühesten Nachfolge Mohammeds durch die vier ersten Kalifen. Und man grenzt sich deutlich ab von den Entwicklungen innerhalb der sunnitischen Tradition, die nach den vier "rechtgeleiteten" Kalifen ein dynastisch geprägtes Kalifat einführten – mit den Umayyaden und deren Nachfolgern, den Abbasiden. Und ebenso von der shiitischen Tradition, die zwar einen "Imam" als Leiter kennt, dessen Autorität aber mit seiner Anbindung an die Familie Mohammeds – über seinen Schwiegersohn Ali und dessen Frau Fatima – verbindet.

Das Imamat in der ibaditischen Tradition ist demgegenüber eines, das primär eine geeignete Person aus der Gemeinschaft für die Leitung bestimmt, ohne Rücksicht auf dessen Stellung und Herkunft. Wie es zu dieser Entwicklung kam, ist bislang noch wenig erforscht. Einer der Ansätze der Forschung besteht darin, in dieser Form der Leitung eine Art Fortsetzung bereits vorislamischer Traditionen sehen zu wollen: Die Figur eines sayyid, dessen primäre Autorität in seiner persönlichen und religiösen Integrität gegeben ist. Allerdings ist dies eher eine Idealforderung und nicht unbedingt in der Realität gespiegelt, wo dann sehr wohl Stammeszugehörigkeit und Abstammungslinien eine Rolle spielten. Die ibaditische Imamatslinie ist allerdings sehr verworren und von großen Streitigkeiten über die Legitimität geprägt. Tatsache ist, dass die offizielle Linie schließlich mit Ahmad bin Said al-Busaidi (1710-1783) endete, der die Herrschaft der Al-Said-Familie über den Oman begründete, die bis heute regiert.

Am Gelände der Sultan Qabus Moschee.
Foto:Franz Winter
Szene vom traditionellen Freitags-Viehmarkt im Souk von Nizwa.
Foto: Franz Winter

Toleranz und Zukunft

Deutlich ist aber, dass die ibaditische Richtung einen sehr ausgeglichenen Zugang zur islamischen Tradition kennt und sich vor allem heute als Gegenpol zu verengenden und hochproblematischen Entwicklungen präsentiert. Man unterscheidet sich in wichtigen Punkten beispielsweise von den Sunniten, indem ein stärkerer Fokus auf den Koran gelegt ist und die übrigen Überlieferungen, vor allem die Hadithsammlungen, kritischer gesehen werden. Zudem ist die Frage, ob man bei Beschlussfassungen primär auf Vernunftargumente zurückgreifen darf oder nicht (der sogenannte ijtihad), unterschiedlich beantwortet. Innerislamisch präsentieren sich die Ibaditen heute als eine Art tolerante, integrierende Form des Islam. Deutlich gespiegelt ist das beispielsweise in der großen Moschee in Maskat, die sogenannte Sultan Qabus Moschee, in der man die unterschiedlichen Bautraditionenen der islamischen Welt nebeneinander repräsentiert und so das Bild eines umfassenden Islam präsentieren will.

Dabei wird auch die Toleranz gegenüber anderen Religionen großgeschrieben. Diesen wird, sollten sie in ausreichend großer Zahl im Oman präsent sein, die Möglichkeit gegeben, ihre Tradition in einem zur Verfügung gestellten abgezirkelten Gebiet frei auszuüben, freilich mit der Auflage, keine Verbreitungsbemühungen außerhalb dieser Bereiche zu unternehmen. In der Hauptstadt Maskat finden sich deshalb diverse christliche Kirchen, aber auch Hindu-Tempel (für die Gastarbeiter aus dem indischen Raum), deren Betreiber allesamt die große Toleranz der Omanis betonen (wobei allerdings der Blick hinter die Kulissen nur schwer möglich ist).

Der Oman erscheint somit als ein Staat, der trotz ausgeprägt autokratischer Strukturen einen Weg gefunden hat, der zukunftsweisend scheint. Man darf in dieser gesamten Region die große Zahl der Jugendlichen nicht übersehen, die eine höhere Bildung anstreben und mittelfristig auch selbstbewusster gegenüber ihren Herrschern auftreten werden. Die Entstehung einer Zivilgesellschaft mit dementsprechend gesellschaftsveränderndem Potential erscheint unaufhaltsam. (Franz Winter, 31.10.2018)

Literaturhinweise

  • Adam Gaiser. Muslims, Scholars, Soldiers. The Origin and Elaboration of the Ibadi Imamate Traditions, 2010
  • John C. Wilkinson. Ibadism. Origins and Early Development in Oman, 2010
  • Valerie Hoffman. The Essentials of Ibadi Islam, 2012

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