"Wenn ich ein Produkt produzieren würde, würde ich um 17:00 Uhr nachhause gehen. Aber wir machen etwas, was man noch nie zuvor gesehen hat."

Foto: Rockstar Games

Ein Spiel mit dem qualitativen und quantitativen Anspruch eines Grand Theft Auto 5 oder Red Dead Redemption 2 zu entwickeln, erfordert von Entwicklern, über sich hinaus zu wachsen. Das bedeutet nicht nur, mehr zu lernen und besser zu sein, als die Konkurrenz, sondern vor allem auch viel länger vor dem Bildschirm sitzen zu bleiben und Überstunden zum Normalzustand zu machen. Von einer dauerhaften "Crunch-Time" berichten Mitarbeiter großer und kleiner Videospielstudios immer wieder und laut aktuellen Einblicken der Seite Kotaku scheint diese branchentypische Unart beim GTA-Hersteller Rockstar Games besonders stark ausgeprägt zu sein.

Keine 80 bis 100 Wochenstunden mehr

Wie Kotaku-Autor Jason Schreier auf Basis dutzender Interviews mit bestehenden und ehemaligen Mitarbeitern Rockstars berichtet, gehen die Erfahrungen mit den Mammutproduktionen des Studios weit aus einander. Während mache behaupten, durch die Arbeit Freunde verloren und die Familie vernachlässigt zu haben, geben andere an, große Befriedigung darin zu verspüren, zu Vorzeigespielen wie Red Dead Redemption beitragen zu können. Zudem sei die acht Jahre lange Entwicklungszeit für das am 26. Oktober erscheinenden Read Dead Redemption 2 besser organisiert gewesen als jene vorangegangener Rockstar-Titel. Von den befragten Mitarbeitern gab niemand an, 80 oder gar 100 Wochenstunden gearbeitet zu haben, wie man aus anderen. Allerdings scheinen den Angaben nach 50 bis 60 Wochenstunden keine Seltenheit gewesen zu sein. Laut Rockstars eigener Zeitaufzeichnung zufolge, arbeiteten die tausenden Mitarbeiter, die über acht Studios in der ganzen Welt verstreut sind und im Verbund an neuen Werken schmieden, in der finalen Phase zwischen Juli und September 2018 im Schnitt 45,8 Stunden pro Woche. Dabei sei klar, dass manche Abteilungen und Posten mehr zum Zug kommen als andere.

"Todesmarsch"

Die Motivation, so viel Zeit und Überstunden in die Arbeit zu stecken, ist dabei nicht rein intrinsischer Natur. Schreier zufolge hoffen nun viele der Mitarbeiter, dass sich der Aufwand durch nachträglich ausgeschüttete Boni bezahlt machen wird – sofern Red Dead Redemption 2 ein Kassenschlager wird. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Rockstars vorangegangener Hit GTA 5 ist der bisher erfolgreichste Videospiel-Blockbuster überhaupt.

Für alle sei der teils erhebliche Zusatzaufwand jedoch nicht mit einem geregelten Lebensalltag vereinbar. Ex-Mitarbeiter berichteten zuvor, dass sie sehr wohl das Gefühl hatten, Überstunden machen und auch am Wochenende arbeiten zu müssen, um ihren Platz in der Firma rechtfertigen zu können. Und auch in Schreiers aktuellem Bericht bezeichnen ehemalige Entwickler etwa die letzten Monate an der Neuauflage von Max Payne als "Todesmarsch". Ein ehemaliger Entwickler von Red Dead Redemption meint, sie seien "absolut dazu gezwungen worden, in den letzten neun Monaten vor der Veröffentlichung sechs Tage die Woche zu arbeiten."

Arbeitsatmosphäre von Angst bestimmt?

Laut Rockstar habe man nach den vorangegangenen Erfahrungen bei Red Dead Redemption 2 umso mehr darauf geachtet, das Arbeitspensum in Zaum zu halten. In den vergangenen Jahren berichteten Ex-Rockstar-Mitarbeiter immer wieder, bei dem Studio handele es sich um einen "Kult". Ein Dokument kam zu Tage, in dem Mitarbeiter, die in Crunchphasen weniger als 60 Stunden die Woche arbeiteten, rot markiert wurden.

Doch auch beim jüngsten Projekt scheint man weit von einer gesunden Arbeitsatmosphäre entfernt gewesen zu sein. Mitarbeiter berichten gegenüber Kotaku, dass man unter ständigem Druck und auch unter Angst arbeiten würde. Angst davor, nicht zufrieden zu stellen oder gar seinen Job zu verlieren. Wer zeigen möchte, dass er es wirklich ernst meint mit seiner Aufgabe, müsse am Wochenende ebenfalls reinkommen.

Rockstar zufolge habe man in den vergangenen Wochen explizit dazu aufgerufen, derartige Probleme zu melden. Das Unternehmen arbeite daran, die Zustände zu verbessern und Wege zu finden, kollaborative Arbeitsprozesse, die mehrere Studios auf einmal einbeziehen, so zu gestalten, dass sich das Arbeitspensum besser verteilt. Laut dem Kotaku-Artikel hätten nun jedoch viele der betroffenen Mitarbeiter Angst, offen über ihre Probleme zu sprechen.

Der Preis von Kunst?

Ob Rockstar seine Arbeitsbedingungen verbessern können wird, bleibt gewiss abzuwarten. Dementgegen stellen sich jedoch zwei grundlegende Probleme, wie Mitarbeiter erklären. Zum einen sei da der Umstand, dass nur Iteration gute Spiele mache – was Anfang des Jahres auch heimische Entwickler gegenüber dem STANDARD erläuterten. Das bedeutet, dass Konzepte immer wieder über Bord geworfen werden müssen, weil sich herausstellt, dass sie in der Praxis nicht so gut funktionieren wie in der Theorie. Im Unterschied zu Filmen bedinge die interaktive Komponente von Games, dass man immer testen und neue Wege finden muss. Das mache die Planung von Spielen generell und besonders von derart großen Projekten wie jenen von Rockstar sehr sehr schwierig.

Zum anderen komme bei Rockstar erschwerend hinzu, dass die Werke des Studios den Anspruch haben, Wegweiser für die Industrie zu sein, wie einer der Mitarbeiter gegenüber Autor Jason Schreier sagt. "Wir definieren uns dadurch, dass wir versuchen, mehr ein Kunstwerk zu kreieren als ein Produkt. Wenn ich ein Produkt produzieren würde, würde ich um 17:00 Uhr nachhause gehen. Aber wir machen etwas, was man noch nie zuvor gesehen hat." (red, 24.10.2018)

Video: Das ist "Red Dead Redemption 2".
DER STANDARD