Am Nationalfeiertag präsentiert das Bundesheer sein Leistungsspektrum in der Wiener Innenstadt.

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Es lässt sich nicht leugnen, dass sich die Zeiten drastisch geändert haben, seit das V. Haager Abkommen 1907 die Neutralitätsregeln in bewaffneten Konflikten verschriftlichte. Damals trafen sich die uniformierten Soldaten der staatlichen Kriegsparteien auf dem freien Feld, heute wird der Konflikt mit den Mitteln des Internets im Cyberspace ausgetragen, also in einem virtuellen Raum unter Nutzung von privaten Akteuren und privater Infrastruktur. Noch stehen wir am Anfang der Entwicklung, aber eines ist sicher: Cyber Warfare wird den bewaffneten Konflikt der Zukunft entscheidend prägen.

Im Völkerrecht ist Neutralität der internationale Status eines unbeteiligten Staates, den die Parteien eines internationalen bewaffneten Konflikts zu respektieren haben. Das V. Haager Abkommen von 1907 verlangt deshalb, dass die Kriegsparteien die territoriale Souveränität des Neutralen in keiner Weise verletzen, zum Beispiel durch den Durchtransport von militärischen Gütern.

Die Probleme der Neutralen

Österreich gehört zu den wenigen Staaten, die sich völkerrechtlich zur dauernden Neutralität verpflichtet haben, die also schon in Friedenszeiten gewisse Maßnahmen setzen müssen, um ihre militärische Neutralität in allen künftigen "fremden" Konflikten gewährleisten zu können. So muss Österreich schon jetzt sicherstellen, dass es im Falle eines fremden bewaffneten Konflikts in der Lage ist, die fremde Nutzung des eigenen Territoriums zu Kriegszwecken zu verhindern.

Schon diese rudimentäre Beschreibung der völkerrechtlichen Neutralitätsregeln, die ihren Ursprung in einer strikt territorial gedachten Welt haben, lässt die Probleme des Neutralen im Falle eines "fremden" Cyberwars erahnen. Wie kann ein neutraler Staat im Vorfeld verhindern, dass Cyberattacken den Weg über die Server, Internetknoten und Leitungen auf seinem Territorium nehmen, bevor sie ihr Ziel im Ausland finden? Die Struktur des Internets macht es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die Transportwege von Datenpaketen vorauszusagen. Cyberattacken können private Computer für ihre zerstörerischen Zwecke nutzen, ohne dass der Computernutzer von den Vorgängen Kenntnis nimmt. Das antiquiert daherkommende internationale Neutralitätsrecht stellt auch den dauernd Neutralen vor Herausforderungen: Die Sicherstellung der eigenen Cyberabwehrfähigkeit ist für dauernd neutrale Staaten wie Österreich eine zentrale Aufgabe der inneren Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit. Das darf aber schon aus menschenrechtlicher Perspektive nicht dazu führen, dass das Internet im neutralen Staat präventiv einer strikten Überwachung und rigiden Zugangsbeschränkung zulasten gewöhnlicher Nutzer unterworfen wird. Vor allem aber verlangt der Aufbau einer effektiven Cyberabwehrfähigkeit Lösungen im europäischen Verbund, nicht nur wegen der Interdependenz und Verknüpfung der zu schützenden europäischen Netzwerke, zum Beispiel der Stromversorgung, sondern auch aufgrund der Verwundbarkeit des digitalen Binnenmarkts. Umso realitätsferner ist es, dass im Falle eines feindlichen Cyberangriffs gegen Frankreich die EU-Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen setzen müssten, damit entsprechende Cyber-Gegenmaßnahmen gegen den angreifenden Staat nicht über die Internetknoten, Server und Leitungen Österreichs laufen.

Unentdeckte Cyberangriffe

Die Beispiele zeigen das Kernproblem der Neutralität im Zeitalter des Cyberwars. Der ursprüngliche Zweck des V. Haager Abkommens, die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Neutrale nicht in fremde Konflikte hineingezogen werden, ist im Falle eines Cyberwars kaum wirkkräftig: Die Kriegspartei, die mit dem Mittel der Cyberattacke arbeitet, hat wenig Anreize, die Neutralität von Staaten zu respektieren und dafür hohen technischen Aufwand zu betreiben. Abgesehen davon, dass eine bestimmte Cyberattacke nur schwer einem Staat zweifelsfrei zugerechnet werden kann, wenn es doch so viele "private Patrioten" gibt, kann die angreifende Kriegspartei immer davon ausgehen, dass der neutrale Staat die Verletzung seines neutralen Status durch den Transit der Cyberwaffe entweder gar nicht bemerkt oder nicht verhindern kann.

Ist angesichts dieser Herausforderungen das internationale Recht der Neutralität obsolet geworden? Natürlich nicht! Zum einen wird es auch in Zukunft weiterhin traditionelle Kriegsführung geben, zum anderen musste das Recht der Neutralität schon von jeher neue Waffentechnologien absorbieren, zum Beispiel Nuklearwaffen, deren Strahlung bekanntlich keine Grenzen kennt. Das Tallinn Manual, das fünf Grundregeln des Neutralitätsrechts im Kontext der Cyber Warfare benennt, begnügt sich mit einem rudimentären Transfer des V. Haager Abkommens in den Cyberspace. Ob die Staatenwelt diesen simplifizierenden Ansatz als rechtlich verbindlich akzeptieren wird, hängt von ihrer Praxis im Krisenfall ab. Dann wird sich herausstellen, ob die Staaten die Cyber-Warfare-Neutralitätsregeln so modifizieren, dass der neutrale Staat nicht zum wahren Verlierer des Konflikts wird. (Kirsten Schmalenbach, 24.10.2018)