Die Elektroscooter sind da. In vielen europäischen Städten haben Start-ups damit begonnen, die Roller freistehend zur Miete anzubieten. Auch in deutschen Metropolen und Österreichs Hauptstadt Wien sind sie binnen weniger Wochen in den Innenstädten omnipräsent geworden. Nicht zur Freude aller. Der rücksichtslose Fahrstil mancher Zeitgenossen hat auch schon einige Kritiker auf den Plan gerufen.

Jedenfalls ist die Mobilität auf Leihbasis nicht billig. Hat man häufiger Bedarf an dieser Alternative für Kurzstrecken, läppert sich schnell einiges zusammen. Rund 80 Euro pro Monat fallen an, wenn man an fünf Tagen die Wochen jeweils 20 Minuten auf einem Scooter von Lime, Bird und Co unterwegs ist. Ein Betrag, bei dem es sich lohnt, über die Anschaffung eines eigenen Rollers nachzudenken.

Ein populäres Modell, das mit 350 bis 400 Euro auch in der unteren Preisklasse spielt, ist Xiaomis M365. Der STANDARD hat erprobt, wie er sich im Alltag bewährt.

Foto: derStandard.at/Pichler

Vorneweg: Der M365 dürfte so manchem Leser nicht ganz zufällig bekannt vorkommen. Denn der Leihanbieter Bird nutzt das gleiche Modell in einer etwas angepassten Variante. Überhaupt ist der Verleih auch für Xiaomi ein gutes Geschäft, denn der Berliner Anbieter Tier verwendet Geräte des Herstellers Ninebot, der ebenfalls zum Konzern gehört.

Xiaomis Roller präsentiert sich mit einem schwarzen oder weißen Aluminiumrahmen und gummiertem Trittbrett in guter Verarbeitung und simplem, aber subjektiv ansprechendem Design. Er ist nach IP54 zertifiziert, damit also auch für Regenwetter geeignet. Um beide Füße darauf komfortabel abstellen zu können, muss man seitlich stehen. Andernfalls muss ein Bein am hinteren Spritzschutz "angelehnt" werden. Die Inbetriebnahme ist einfach. Der Scooter wird über einen Knopf am Lenker eingeschaltet. Anschließend taucht man ihn ein oder zwei Mal an und drückt den Beschleunigungsregler nach unten. Schon flitzt man leise surrend los.

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Das etwa 12,5 Kilogramm schwere Gefährt erreicht eine Maximalgeschwindigkeit von 25 km/h. Mehr wäre zwar mit dem auf 250 Watt (0,34 PS) klassifizierten Motor theoretisch möglich, aber nicht erlaubt. In der gegebenen Konfiguration erfüllt der Roller die Spezifikationen, die ihn im Straßenverkehr mit einem Fahrrad gleichstellen. Das heißt auch, dass man damit Radwege und Straßen, nicht aber Gehsteige befahren darf. Diese sind den motorlosen Kick-Scootern vorbehalten, die wiederum als "fahrzeugähnliches Spielzeug" eingestuft werden.

Zwei Bremsmöglichkeiten stehen zur Verfügung. Mittels Griff am Lenker betätigt man eine Scheibenbremse. Lässt man den Speed-Regler los, aktiviert sich zudem eine regenerative, elektronisch gesteuerte Bremse, die das Gefährt vorsichtig verlangsamt. Sie dient auch der Energierückgewinnung und kann auf Wunsch stärker eingestellt werden.

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Das Fahren ist leicht zu erlernen, den Bremsweg sollte man aber einschätzen lernen. Wer den Hebel zu abrupt und fest betätigt, kann schon einmal in Trudel- oder Kippgefahr geraten. Es empfiehlt sich, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: auf Sicht fahren, lieber kontrolliert bremsen und einen Helm tragen. Denn man kann sich nicht darauf verlassen, dass andere Verkehrsteilnehmer immer rücksichtsvoll und berechenbar agieren. Die Bremsdistanz beziffert Xiaomi offiziell mit vier Metern auf trockenem Asphalt.

Fast jeder Straßenbelag lässt sich problemlos mit den luftgefüllten 8,5-Zoll-Reifen befahren. Meiden sollte man jedoch Untergrund wie Kopfsteinpflaster. Fahren kann man prinzipiell auch hier, gesund ist das aber wohl weder für den Scooter noch für die Gelenke. Ein Hydraulikwunder ist der Scooter beileibe nicht, man spürt auch kleinere Unebenheiten. Bedingt geeignet ist er für Schotterboden und festen Erduntergrund.

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Auch bei Regen fährt der Scooter stabil und ohne merkbare Haftungsprobleme am nassen Untergrund. Dementsprechend erstreckt sich die Fahrsaison vom Frühjahr bis in den späten Herbst. Im winterlichen Schneematsch dürfte vom "Scootern" aber abzuraten sein.

Die Toleranz des Rollers gegenüber Steigungen ist nicht sehr groß. Maximal 14 Prozent an Anhöhe lassen sich erklimmen, abhängig freilich auch von Bodenbelag und Gewicht des Fahrers. Kleinere Kanten kann man mit dem M365 nehmen. Angegeben ist "bis zu ein Zentimeter", praktisch schafft er auch Hindernisse der doppelten Höhe. Hier sind Fahrräder natürlich klar überlegen.

Einen Vorteil gegenüber Rädern, weil kleiner und wendiger, bietet der Roller im Gedränge von gemischten Verkehrzszonen, wo sich Fußgänger, Radfahrer und mitunter auch Autos treffen. Ein Beispiel wäre hier die umgestaltete Mariahilfer Straße. Auf ebener Straße können flottere Radler den Scooter überholen. Bergauf kommt man dafür unangestrengt voran.

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Wenn der Abend anbricht, lässt sich mit einem zweiten Druck auf den Ein/Aus-Knopf die Beleuchtung aktivieren. Vorne nutzt der Scooter eine weiße 1,1-Watt-LED-Leuchte. Die Reichweite beträgt offiziell sechs Meter. Bei vorhandener Straßenbeleuchtung kein Problem, andernfalls gilt es, mit noch mehr Voraussicht zu fahren. Nach hinten strahlt eine rote LED. Vier Lichter am Lenker informieren außerdem grob über den Ladestand des Akkus, ein weiteres über den Betriebsmodus. Einen Tacho gibt es nicht.

Wer es genauer wissen möchte, kann den Scooter per Bluetooth auch mit der Mi-Home-App von Xiaomi verbinden. Mit dieser kann man die bisher gefahrene Distanz, die Durchschnittsgeschwindigkeit und eine genaue Angabe zum Akkustand einsehen. Noch wichtiger: Sie erlaubt auch das Sperren des Motors und das Setzen eines Gerätekennworts, damit der Scooter nicht ohne Weiteres "entführt" werden kann.

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Sinnvoll mit einem Schloss sichern lässt er sich bauartbedingt nicht. Dementsprechend stellt es ein gewisses Risiko dar, ihn in einem Fahrradkeller unterzubringen. Im Zweifel sollte man ihn also in der eigenen Wohnung abstellen. Ohne Lift ist der Transport eines Vehikels mit über zwölf Kilogramm freilich keine besonders lustige Angelegenheit. Immerhin lässt er sich aber einfach mit zwei Handgriffen ein- und ausklappen.

Auch aufgeladen werden muss der Scooter natürlich, beigelegt wird dafür ein 70-W-Netzteil, das den Akku in rund vier bis fünf Stunden von null auf hundert Prozent lädt. Die Ladezeit liegt damit über der möglichen Fahrzeit, die sich im Test auf rund 2,5 Stunden einpendelte.

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Der Angabe der Akkuladung sollte man aber nicht unbedingt trauen. Unterhalb der 30-Prozent-Marke sinkt er sehr ungleichmäßig. Bei einer Fahrt stürzte er etwa binnen weniger Minuten von 15 auf drei Prozent ab. Die zur Neige gehende Energiereserve merkt man aber auch an anderer Stelle. Unter 50 Prozent beschleunigt der Scooter bereits spürbar langsamer. Beim letzten Viertel schaltet er automatisch in den Energiesparmodus um.

Auch damit lässt die Beschleunigung nach, und die Höchstgeschwindigkeit wird auf 18 km/h gedrosselt. Ernsthaftere Steigungen (etwa die Anfahrt zur Mariahilfer Straße nahe dem Museumsquartier) müht sich der Scooter dann nur noch quälend langsam hinauf. Pendelt der Ladestand in die Einstelligkeit, ist man generell nicht mehr flotter unterwegs als mit Jogging-Geschwindigkeit.

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Laut Datenblatt beträgt die Reichweite des Scooters 30 Kilometer. Das setzt allerdings optimale Fahrbedingungen mit wenigen Steigungen voraus. Das Testgerät (ein wiederaufbereiteter Roller) brachte es auf rund 20 bis 25 Kilometer. Die Reifen des Scooters lassen sich wechseln, ein Ersatzpaar ist Neugeräten beigelegt.

Fazit

Der Xiaomi M365 ist ein pfiffiges Gefährt für den städtischen Verkehr, das sich in simplem Design und guter Verarbeitung präsentiert. Für Bodenbeläge abseits von Asphalt und Beton ist er aber nur bedingt geeignet, und auch seine Steigungstoleranz ist endenwollend. Insbesondere dann, wenn der Akkustand schon recht niedrig ist.

Inbetriebnahme und Bedienung sind ein Kinderspiel. Das Fahren ist einfach, macht Spaß, und man ist – mit eine bisschen Übung und Rücksicht – recht sicher unterwegs. Auch im Regen verliert man nicht einfach die Bodenhaftung, Schneematsch sollte man aber eher auslassen. Rund 25 Kilometer Fahrt sind realistisch, die angegebenen 30 Kilometer dürften nur unter Optimalbedingungen erreichbar sein.

Video: Die E-Scooter-Verleiher im Vergleich.
DER STANDARD

Die App ist gut gestaltet und bietet Zugriff auf Statistiken und eine Absperrfunktion. Mit einem physischen Schloss lässt sich der Roller nicht sichern. Etwas ärgerlich ist, dass die Anzeige des "Füllstands" unterhalb von 30 Prozent nicht sehr zuverlässig ist.

Wer in Wien und anderen Städten kein Auto verwenden möchte und lieber im Freien unterwegs ist als in den Öffis, findet in dem Scooter eine spannende Alternative. Das gilt auch für jene, die Citybikes nicht nutzen können oder eine flexiblere Lösung brauchen, die nicht an fixe Parkstationen gebunden ist. Wer hier häufiger Bedarf hat, kommt mit diesem Roller langfristig günstiger weg als mit den Scootern der Leihanbieter. (Georg Pichler, 20.11.2018)