Wir wollen ja unsere Ruhe. Aber das amerikanische Magazin "Newsweek" gibt Sebastian Kurz aufs Cover (der Europa-Ausgabe). Das sepiagetönte, recht fotogeshoppte Portrait soll rätselhaft wirken: ein glatter junger Mann, hinter dessen Fassade schwer zu schauen ist, der aber offenbar große Pläne hat. "Austria rising" steht daneben. Das kann man schlicht als "Österreich im Aufstieg" interpretieren oder als Anspielung auf die sinistre Historie ("schon einmal stieg aus Österreich ein unheilvoller Mann empor…").

Österreichs Neigung zu rechtsautoritären Sehnsüchten wird seit langem in US-Magazinen thematisiert: "Austria rising" – Sebastian Kurz am Cover von Newsweek.
Foto: Newsweek

Die Parteizentrale der ÖVP freute sich jedenfalls und twitterte glücklich: "mit @sebastiankurz gewinnt #Österreich auch am internationalen Parkett zunehmend an Bedeutung. Das US-Magazin @Newsweek schreibt darüber in einem ausführlichen Portrait". Kurz selbst verlinkte das "Interview" auf seinem Twitter Account.

Da hat jemand die (ziemlich flache) Story nicht gelesen. Im Grunde heißt es darin, dass Kurz das neue, akzeptable Gesicht des Rechtspopulismus sei und deswegen (und wegen seiner geschickten Art, Politik zu machen) in Europa zusehends an Einfluss gewinne.

Es ist aber ein typischer Vorgang. Das "Ausland" (in Gestalt internationaler Medien) nimmt Österreich nur wahr, wenn sich wieder einmal das Rechts-, wenn nicht gar Nazi-Thema erhebt. Die Österreicher reagieren teils empört, teils irgendwie doch fasziniert davon, weil sich überhaupt jemand um sie kümmert.

Wellen der Aufmerksamkeit

Die Fokussierung des Auslands auf Österreich verläuft in Wellen. Das letzte Mal war es, als die EU "Sanktionen" über Österreich verhängte, weil Kanzler Wolfgang Schüssel die rechtspopulistische, in Teilen rechtsextreme Haider-FPÖ in die Regierung genommen hatte. Die Sanktionen gingen von einem französischen Konservativen (Jacques Chirac) und einem deutschen Sozialdemokraten (Gerhard Schröder) aus.

Damals dachte man, damit schrecke man den Rechtspopulismus ab. Heute ist er in Europa stärker denn je und regiert in Polen, Ungarn und Italien. In Deutschland liegt die AfD knapp gleichauf mit der SPD. Die neue Aufmerksamkeit für Österreich speist sich daraus, dass Sebastian Kurz einerseits als Ermöglicher, andererseits als Zähmer des Rechtspopulismus gesehen wird.

Die Frage ist aber, ob wir in Österreich zu einer erwachsenen Haltung zwischen Selbstsicht und Außensicht finden. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb verweist in seinem Buch "Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015" auf das Schwanken "zwischen Minderwertigkeitsgefühl, Ohnmacht und maßloser Überschätzung", mit der Österreich seine eigene Außen-(Europa-)politik einschätze.

Österreicher als Kosmopoliten

Man kann das auch größer fassen: Wie finden wir das richtige Maß für unser Verhältnis zu der Welt da draußen?

Österreicher sind unbestreitbar Kosmopoliten. Soeben erhielt die aus Österreich stammende Molekularbiologin Angelika Amon vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge, USA, die mit drei Millionen Dollar höchstdotierte Wissenschaftsauszeichnung der Welt. Max Hollein, der Sohn des weltbekannten Architekten Hans Hollein, übernahm in diesem Sommer die Leitung des Metropolitan Museum of Art in New York. Österreichische Unternehmer sind an den Fronten der New Economy in aller Welt zu finden.

Ohne internationale Vernetzung geht heute gar nichts. Die "internationale Stellung Österreichs ist heute noch einer der bestimmenden Faktoren der österreichischen Identitätsbildung" (Rathkolb). Aber das geht einher mit einer Abwehrhaltung gegenüber der Welt da draußen. Vor allem, wenn sie bei der Tür hereinkommt.

"Wir Wiener sind nicht xenophob, wir hassen die Fremden nicht, wir mögen sie nur nicht!", sagte der bekannte Psychiater Harald Leupold-Löwenthal in einer "Wiener Vorlesung". "Denn nur das Vertraute, das was wir kennen, macht uns nicht Angst." Wobei es "nicht darum geht, dass man Fremde umarmen und lieben soll, sondern dass man die relativ irrationalen Bedrohungsphantasien etwas im Zaum hält".

Verkappter Verdränger

Das war 1992, auf dem Höhepunkt einer Fluchtbewegung aus Bosnien, die dann das "Ausländervolksbegehren" Jörg Haiders provozierte. Inzwischen leben rund 125.000 Personen bosnischer Herkunft in Österreich. Die "Bedrohungsphantasien" konzentrieren sich mittlerweile auf Muslime (die anderen, denn auch Bosnier sind zu etwa 50 Prozent Muslime).

Im Februar 2000 hievte Newsweek Jörg Haider aufs Cover.
Foto: Newsweek

Ein anderer berühmter Psychiater, Erwin Ringel, konstatierte sogar so etwas wie eine "österreichische Seele", ebenfalls charakterisiert durch Ambivalenz. Es gebe ein helles, freundliches Zimmer, "in dem empfängt der Österreicher die Gäste". Aber auch ein abgedunkeltes, verriegeltes, völlig unergründliches. Im zweiten Zimmer befinden sich nicht nur Neid und Hass, sondern auch Unsicherheit und Angst. "Selbst der Psychiater, der an vieles gewöhnt ist, vermag es kaum zu glauben, welche Ängste hier weitverbreitet sind… Und so möchte ich daran erinnern, wie leicht diese Angst wiederum zum Hass wird, z.B. zum Hasse gegen alles Fremde".

Überspitzt kann man sagen, dass Österreich immer gerade dann, wenn es sich schon gemütlich in einem unbestreitbaren Erfolg eingerichtet hatte, vom Ausland als verkappter Verdränger geoutet wurde. Kurt Waldheim war UN-Generalsekretär, "ein Österreicher, dem die Welt vertraut".

Dann verwiesen "New York Times" und World Jewish Congress brutal auf seine verschleierte Kriegsvergangenheit. Die Reaktion war ein trotziges "Jetzt erst recht!" (Wahlslogan der ÖVP). Waldheim wurde mit 53,9 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt, wurde aber wegen der auch im Inland anhaltenden Debatte seines Amtes nicht froh. In eben dieser Debatte wurde aber über Österreichs Rolle im Nationalsozialismus erstmals intensiv ausgestritten, besonders von der jüngeren Generation.

"Austria – The Art of Forgetting": Kurt Waldheim auf dem Cover der "Time".
Foto: Time Magazine

Das war letztlich ein klärender, historischer Augenblick. Dabei zeigte sich die Ambivalenz, die die Haltung vieler Österreicher zu der Welt da draußen bestimmt. Einerseits wollten sie nach den traumatischen Erlebnissen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter den wohlgetrimmten Hecken ihres Wohlstandsschrebergartens in Ruhe gelassen werden; andererseits wollen sie endlich vom Ausland anerkannt werden, und zwar bitte ohne die ewigen Verweise auf die NS-Vergangenheit.

Erfolgsrezept Ambivalenz

Einer der Gründe, warum Wladimir Putin in Österreich bei so vielen beliebt ist, liegt darin, dass er uns nicht mit Vorwürfen über unsere demokratischen Defizite auf die Nerven geht. "Guter Diktator !" sagte er einmal in Wien über den damaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl. Die versammelte Unternehmerelite war begeistert.

Ambivalenz ist auch ein Erfolgsrezept der österreichischen Außenpolitik der Nachkriegsjahrzehnte. Man war neutral, fühlte sich aber eindeutig dem westlichen Wertesystem verpflichtet. Gleichzeitig bemühte man sich um ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion und ihren osteuropäischen Klientenstaaten. So zwischendurch halt.

Inzwischen hat sich vieles geändert, Österreich ist Mitglied der EU, die USA sind in den Augen Vieler kein Freiheitsgarant mehr, die autoritäre Herrschaft in Russland ist für die ganze europäische Rechte ein leuchtendes (und zahlendes) Vorbild, als Bedrohung gilt statt den sowjetischen Panzern der muslimische Flüchtling/Migrant.

Wir befinden uns offenbar heute wieder in einem historischen Klärungsprozess. Wohin sollen wir? Und, noch dramatischer: Wer sind wir?

Eben erst war Nationalfeiertag. Man hat ihn schon gekannt, da war er noch "Tag der Fahne", oder auch im Alltagsgebrauch, "Staatsfeiertag". Das mit der "österreichischen Nation" haben sie sich damals, nach dem Staatsvertrag und der Neutralitätserklärung am 26. Oktober 1955 noch nicht getraut. In den Schulen wurde daher "Tag der Fahne" gefeiert, und es wurde ein riesiger Volkswandertag daraus, immerhin oft mit rot-weiß-karierten Hemden.

Beschleunigter Abgrenzungsprozess

Die Idee einer eigenständigen österreichischen Nation, klar getrennt von der deutschen, setzte sich erst in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten allmählich durch. Erst 1965 wurde der "Tag der Fahne" zum Nationalfeiertag. Heute ist die "österreichische Nation" unbestritten. Dafür findet seit etwa 20 Jahren ein beschleunigter Prozess der Abgrenzung gegen Immigranten statt: Sie gelten, besonders wenn sie Muslime sind, als "Ausländer", selbst mit österreichischer Staatsbürgerschaft.

Im Parteiprogramm der FPÖ von 1957 hieß es noch: "Wir haben in den deutschen Österreichern das Bewusstsein wach zu halten, ein Teil des deutschen Volkes mit allen sich aus dieser Zugehörigkeit ergebenden Rechten und Pflichten zu sein". Das ist inzwischen einem Österreichpatriotismus oder eher Österreichnationalismus gewichen, wenn man von (allerdings wirkungsstarken) unterirdischen Strömungen unter den die FPÖ beherrschenden Burschenschaftern absieht. Aber in der Verunsicherung durch die muslimische Zuwanderung finden sich rechtspopulistische Parteien und große Teile der Bevölkerung wieder.

Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer auf dem Cover der "Time".
Foto: Time Magazine

Die Antwort der türkis-blauen Regierung darauf war, es den Flüchtlingen möglichst schwer zu machen. Aber dann gibt es noch die nur teilweise integrierten Migranten früherer Generationen, die oft schon die Staatsbürgerschaft besitzen. Wie geht die Politik, die Gesellschaft mit ihnen um? Wo sehen sie sich selbst (etwa die Türken, die hierzulande Erdogan bejubeln)? Daran wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, ob Österreich stabil bleibt.

Die Zufriedenheit mit der Regierung ist nach einem Jahr stabil. Die Zustimmung zu "einem starken Führer, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss" war nach einer Sora-Umfrage von Anfang 2017 bei 23 Prozent. Nach der jüngsten, von einem Team der Uni Wien im Rahmen der "Europäischen Wertestudie" durchgeführten, Umfrage, sind das ein gutes Jahr später nur noch 16 Prozent. Kann es sein, dass das selbstsichere Auftreten von Kurz und die FPÖ in der Regierung auch die Sehnsucht nach autoritären Lösungen sinken lässt?

Wenn eine Titelgeschichte wie die in "Newsweek" erscheint, ist die Aufregung zwar da, aber sie ist nicht zu vergleichen mit dem, was es in früheren Zeiten auf Berichte in "Newsweek", "Time", dem "Spiegel", oder der "New York Times" gab. Österreich gilt bei manchen immer noch als Vorreiter rechter Trends in Europa, aber es ist damit eben nicht mehr allein. Das ist der Unterschied zu früher.

Vielleicht lässt sich zwischen Minderwertigkeitsgefühl oder Selbstüberschätzung ein rationaler Umgang mit der kritischen Beobachtung durch das Ausland finden. Vielleicht kann sich die Ambivalenz zwischen selbstgenügsamen Ruhebedürfnis und der Notwendigkeit zur Internationalität auflösen. Letztlich liegt es an den Österreichern selbst, wie sie ihre Demokratie gestalten – liberal oder illiberal. (Hans Rauscher, 26.10.2018)