Tausende Austrotürken zittern um die österreichische Staatsbürgerschaft. Das Vorgehen der heimischen Behörden sorgt für Kritik.

Rund um die massenhaften Prüfverfahren gegen angebliche österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger wird nun Kritik am Vorgehen der Behörden und Gerichte laut.

Zum Hintergrund: Tausende Österreicher mit türkischen Wurzeln befinden sich im Visier der Behörden, weil ihre Namen auf einer anonym verbreiteten Liste stehen. Die Liste, die der FPÖ laut eigenen Angaben "zugespielt" wurde, wird von österreichischen Ämtern als zentrales Beweismittel betrachtet. Und zwar als Beleg dafür, dass die darauf genannten Personen die türkische Staatsangehörigkeit angenommen haben, obwohl sie österreichische Staatsbürger sind – und Doppelstaatsbürgerschaften sind laut heimischem Recht nur in Ausnahmen erlaubt.

Daten könnten manipuliert sein

Die österreichischen Ämter gehen davon aus, dass es sich bei den Listen um Auszüge aus dem zentralen türkischen Wählerregister handelt. Allerdings gab es von Anfang an Zweifel an der Zuverlässigkeit der Daten. Niemand weiß, woher die Liste stammt, wie alt die Daten sind und ob sie nicht womöglich manipuliert worden sind. Diese Zweifel sind quasi behördlich verbrieft: Das Bundeskriminalamt, das mit einer forensischen Prüfung beauftragt worden war, kam im Juni 2017 zum Schluss, dass "nicht festgestellt werden" könne, "wie alt die Daten sind, in welcher Abfolge und wo oder wie diese entstanden sind". Trotzdem hielten sich die Behörden eisern an die Liste – und die Verwaltungsgerichte bis hin zum Verwaltungsgerichtshof gaben ihnen recht.

Nun tauchen aber immer mehr Zweifel an der Beweiskraft auf. Dutzenden Betroffenen ist es nämlich gelungen, einwandfrei zu beweisen, dass sie nur die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen – und das, obwohl ihre Namen auf der Liste genannt werden.

Warten aufs Höchstgericht

Was bedeutet das für die tausenden Verfahren, die nun in der Warteschleife hängen? Eine wichtige Antwort darauf wird der Verfassungsgerichtshof (VfGH) geben, bei dem bereits vier Beschwerden gegen Ausbürgerungen anhängig sind. In einem Fall hat der VfGH sogar aufschiebende Wirkung zuerkannt. Der Mann, der seit 1971 in Österreich lebt, hat somit die Gewissheit, dass der von den Behörden festgestellte rückwirkende Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft so lange nicht rechtskräftig ist, bis der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde abgewiesen hat.

Der Betroffene war in dem Prüfverfahren nicht untätig gewesen. Er hatte der Wiener Behörde sogar eine Bestätigung des türkischen Konsulats vorgelegt, wonach er kein türkischer Staatsbürger ist. Das Schreiben liegt dem STANDARD vor. Dennoch schenkte das Amt der ominösen Liste mehr Glauben als dem offiziellen Dokument einer ausländischen Vertretungsbehörde.

"Ein Fehlschluss"

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk hält das für "höchst problematisch". Österreichs Ämter und Gerichte würden sich einfach darauf verlassen, "dass die Angaben auf der Liste schon richtig sein werden". Das sei aber "ein Fehlschluss, ein reiner Vermutungsbeweis", kritisiert Funk im STANDARD-Gespräch. "Bei einer solchen Argumentation stellt es einem die Haare auf." Aus Mangel an Beweisen, dass jemand wieder in den türkischen Staatsverband eingetreten ist, drehe man de facto die Beweislast um. Und das, obwohl es "bei den Betroffenen oft um ihre Existenz geht", sagt Anwalt Kazim Yilmaz, der jenen Betroffenen vertritt, dessen Beschwerde vom VfGH aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.

Was aber, wenn der VfGH zum Schluss kommt, dass die anonym verschickte Liste kein taugliches Beweismittel ist? Dann könnten einige jener Fälle, in denen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, neu aufgerollt werden müssen, sagt Funk. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts wird frühestens für Dezember erwartet. (Maria Sterkl, 31.10.2018)