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Daniel Cohn-Bendit will die rechtspopulistischen Parteien mit Argumenten bekämpfen und für Europa werben.

Foto: Vianney Le Caer/Invision/AP

Achtundsechziger-Ikone Daniel Cohn-Bendit geht mit 73 Jahren äußerst motiviert und kämpferisch in die Europawahlen im kommenden Jahr. Selbst kandidieren wird er nicht, aber sämtliche Pro-Europäer in ihrem Unterfangen unterstützen. Er mahnt alle liberalen Demokraten in Europa, den "Ernst der Lage" zu erkennen und sich endlich für ein gemeinsames Europa starkzumachen. Auch deshalb unterstützt "Dany le rouge" den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, wünscht sich aber vor allem auch für Österreich eine breite Sammelbewegung, die sich klar europäisch von der Regierung abhebt.

Im STANDARD-Gespräch erklärt Cohn-Bendit, warum Manfred Weber nicht EU-Kommissionspräsident werden sollte und warum Merkels Rückzug aus der Politik richtig ist.

STANDARD: In vielen europäischen Staaten gibt es mittlerweile rechtspopulistische Parteien, die mit Stimmenanteilen zwischen zehn und 30 Prozent in den verschiedenen Parlamenten sitzen und Stimmung gegen die EU machen. Bereitet Ihnen das Sorgen, so kurz vor den Europawahlen im Mai 2019?

Daniel Cohn-Bendit: Nein, es macht mir keine Sorgen! Es macht mich kämpferisch! Man muss diesem Spuk einmal ein Ende bereiten. Es ist doch auch interessant, dass populistische Parteien oder auch zum Beispiel die österreichische Regierung zwar über Europa schimpfen wollen, zwei Dinge letzten Endes aber ablehnen: einen Euro-Austritt und einen Austritt aus der EU, obwohl die FPÖ das immer wieder einmal propagiert hat. Es gibt einen Kampf um die Gestaltung Europas, und diese Herausforderung muss man annehmen, und da darf man jetzt nicht zurückweichen.

STANDARD: Das ist auch mit ein Grund für Ihre Unterstützung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, oder? Trotz zahlreicher linker Parteien mit deutlich linkeren Position unterstützen Sie ihn. Warum?

Cohn-Bendit: Ich finde, dass Macron von den Staatschefs am klarsten eine politische Perspektive für Europa aufzeigt. Das tat er schon während seines Präsidentschaftswahlkampfes, als ich ihn kennengelernt habe. Er erklärt, warum die nationale Souveränität eine europäische Souveränität braucht, und er hat Vorschläge, von der Gestaltung der Eurozone bis hin zu einem sozialeren und demokratischeren Europa. Deshalb unterstütze ich ihn. In Deutschland unterstütze ich zum Beispiel die Grünen. Man muss von Land zu Land schauen, wer eine klare politische proeuropäische Position hat.

STANDARD: Sie plädierten immer wieder für eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten auf transnationalen Listen, was am Widerstand der Europäischen Volkspartei (EVP) scheiterte?

Cohn-Bendit: Und genau deshalb werde ich argumentativ alles tun, um zu verhindern, dass jener Verhinderer – nämlich Manfred Weber –, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Kommissionspräsident werden kann. Durch den Nichtausschluss der ungarischen Fidesz-Partei Viktor Orbáns grenzt sich die EVP nämlich nicht deutlich genug von der illiberalen Demokratie ab, deshalb kann Weber nicht nächster Kommissionspräsident werden.

STANDARD: Wer soll nächster Kommissionspräsident werden?

Cohn-Bendit: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Etwa (Brexit-Chefverhandler Michel, Anm.) Barnier oder (Wettbewerbskommissarin Margarethe, Anm.) Vestager oder jemand, an den ich jetzt noch gar nicht denke.

STANDARD: Was muss das bestimmende Ziel der nächsten EU-Kommission sein?

Cohn-Bendit: Die Weiterentwicklung Europas voranzutreiben. Auch muss man gewisse Staaten, die Probleme mit den Werten der EU haben, vor eine Entscheidung stellen: entweder die Werte Europas vollinhaltlich zu vertreten oder sich vom europäischen Projekt zu verabschieden.

STANDARD: Sie sprechen Ungarn oder Polen an?

Cohn-Bendit: Nicht nur Ungarn und Polen. Die Rumänen und die Korruption, die Bulgaren und die Korruption. Genauso wie es unerträglich ist, dass Österreich jetzt aus dem Uno-Pakt zur Migration und Flüchtlinge ausschert. Das ist dümmlich, das ist falsch, und das ist für Österreich gefährlich.

STANDARD: Wie bewerten Sie Österreichs EU-Ratsvorsitz allgemein?

Cohn-Bendit: Na ja, ich muss manchmal schmunzeln, weil Bundeskanzler Sebastian Kurz viele Widersprüche zeigt. Einerseits hegt er Sympathie für die rechtspopulistische Regierung Italiens unter Matteo Salvini, gleichzeitig aber tritt er in der Eurofrage als Vertreter der Verträge und damit gegen Italien auf. Da sieht man einmal, dass diese Präsidentschaft im Grunde nicht weiß, ob sie nach links oder rechts schauen soll.

STANDARD: Der ehemalige Chefstratege von US-Präsident Donald Trump, Steve Bannon, hat angekündigt, sogenannte "War Rooms" einzurichten, um rechte Bewegungen vor den Europawahlen strategisch zu unterstützen. Wie schätzen Sie seinen Einfluss ein?

Cohn-Bendit: Ich bin der Anti-Bannon. Ich will keine "War Rooms" einrichten, aber ich will in unterschiedlichen Ländern die proeuropäischen Parteien stärken. Ich will in verschiedenen Ländern – wie etwa kürzlich in den Niederlanden – der Öffentlichkeit klarmachen: Es ist kein Spiel! Wenn man die demokratischen Werte einer offenen, solidarischen Gesellschaft nicht verteidigt, dann können wir Albträume erleben, wie wir sie in Brasilien oder den USA heute schon sehen.

Schon als Anführer radikal linker Studenten in Paris wie hier 1968 in Paris galt Daniel Cohn-Bendit als glühender Europäer.
Foto: APA/AFP

STANDARD: Kommen wir kurz nach Deutschland. Die Wählerstromanalysen zeigen, dass die CDU mit mehr als 100.000 Stimmen signifikant an die Grünen – wie auch an die AfD – verloren haben. Ist der grüne Höhenflug somit mitverantwortlich für Merkels angekündigten langsamen Rückzug aus der Politik?

Cohn-Bendit: Würde ich so nicht sagen. (Bundeskanzlerin Angela, Anm.) Merkel hätte auf Bundesebene gerne eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP gehabt, was aufgrund (FDP-Chef Christian, Anm.) Lindners persönlicher Abneigung zu Merkel scheiterte. Frau Merkel konnte danach das konservative Lager nicht mehr zusammenhalten, und deshalb muss sie jetzt zurücktreten. Und natürlich auch weil 18 Jahre Parteivorsitz und knapp 13 Jahre Kanzlerschaft genug sind. "Enough is enough." Es gibt auch Grenzen, und das hat sie auch gespürt. Sie ist auch körperlich am Ende. Ich nehme ihr das ab, dass sie im Sommer den Entschluss zum Rückzug fasste, aber sie musste – koste es, was es wolle – die Wahlen in Bayern und Hessen abwarten, ehe sie das Ende der Ära Merkel einläutete.

STANDARD: Wie lange geht der aktuelle Höhenflug der deutschen Grünen weiter? Werden wir in zehn Jahren einen Grünen im deutschen Bundeskanzleramt sehen?

Cohn-Bendit: Wenn die CDU Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden oder Kanzlerkandidaten wählt, dann werden wir vielleicht nicht einmal zehn Jahre darauf warten. In einem Wahlkampf Merz gegen die grüne Doppelspitze Robert Habeck und Annalena Baerbock und die SPD in ihrem aktuellen Zustand und die Linke glaube ich, dass die Grünen eine Chance haben, eine Mitte-links-Koalition gegen die CDU zu schließen.

STANDARD: Der Höhenflug der Grünen in Deutschland steht diametral den Problemen von Österreichs Grünen gegenüber.

Cohn-Bendit: Das Schlimme an Österreichs Grünen und auch an Peter Pilz ist, dass sie nicht merken, wie ernst die Situation ist. Diese Spaltspielereien, die sie vollzogen haben, sind so unverantwortlich angesichts der Situation in Österreich und in Europa. Wenn ich in Österreich wäre – was ich nicht bin –, würde ich den Grünen und der SPÖ und einem Teil der Liberalen und der Liste Pilz raten, eine proeuropäische Plattform zu gründen, in der sie zusammen um Europa und dieses europäische Projekt kämpfen. Da wäre so jemand wie Johannes Voggenhuber eine hervorragende Persönlichkeit, die diese zusammenbringen könnte.

STANDARD: Gab es dahingehend bereits Kontakte zu Herrn Voggenhuber?

Cohn-Bendit: Ja, ich habe lange mit ihm darüber geredet.

STANDARD: Hat er Interesse bekundet?

Cohn-Bendit: Ja, er hat Interesse bekundet. Aber nur wenn sich alle in einer Plattform sammeln und nicht wieder alle gockelhaft auseinanderdriften und sagen: Wir sind die Größten! Nein, wir sind die Größten! – Die Lage ist zu ernst. Man muss aus der österreichischen und deutschen Geschichte lernen. Warum haben die Liberalen, die Linken, die Demokraten gegen autoritäre Strömungen verloren? Weil sie den Ernst der Lage nicht erkannt haben und gespalten in die Auseinandersetzung gegangen sind. (Fabian Sommavilla, 2.11.2018)