Mindestsicherung oder Arbeitslosengeld: Künftig soll es nur mehr diese Alternative geben.

Das Nein der Regierung zum Uno-Migrationspakt soll selbst die österreichische Sozialpolitik berührt haben. ÖVP und FPÖ haben sich prinzipiell im Koalitionsabkommen auf einen Umbau der Arbeitslosenversicherung geeinigt. Ein zentraler Punkt: die Abschaffung der Notstandshilfe. Zuletzt war es still geworden um das Vorhaben. Dem Vernehmen nach, weil ÖVP und FPÖ in zentralen Fragen unterschiedlicher Auffassung waren.

Nun wurden die Spekulationen um die Reform neu entfacht. Die Regierungsparteien sollen sich auf das Ende der Notstandshilfe geeinigt haben. Als Gegenleistung für ihr Nein zum Uno-Migrationspakt soll die ÖVP ein besonderes Zuckerl bekommen haben: Die FPÖ gibt ihren Widerstand gegen die Abschaffung der Notstandshilfe auf, berichtete zumindest die Gratiszeitung Österreich. Eine Bestätigung für eine solche Vereinbarung gibt es nicht. SPÖ und Gewerkschaft greifen den angeblichen Deal dennoch willig auf und übten harsche Kritik.

Aber warum fällt den Koalitionspartnern die Neuregelung überhaupt so schwer? Einer der heikelsten Punkte bei den Verhandlungen ist, wie man mit älteren Menschen, die Anspruch auf Notstandshilfe haben, umgeht. Laut STANDARD-Informationen hat die Regierung verschiedene Modelle durchrechnen lassen.

Eine Variante lautet demnach, dass Menschen über 50, sofern sie lange in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, zum Beispiel mindestens 15 Jahre, Arbeitslosengeld künftig unbegrenzt beziehen könnten – also bis zur Pensionierung. Damit würde die türkis-blaue Regierung die Effekte, die eine Abschaffung der Notstandshilfe haben würde, zumindest für diese Gruppe abfedern.

Wer Notstandshilfe bekommt

Zur Erklärung: Wer arbeitslos wird und lange genug in die Versicherung einbezahlt hat, kann Arbeitslosengeld beziehen. Die Dauer ist begrenzt, meist auf rund ein halbes Jahr (30 Wochen).

Läuft das Arbeitslosengeld aus, folgt die Notstandshilfe als soziale Absicherung. Sie kann zeitlich unbegrenzt bezogen werden, theoretisch also auch bis zur Pensionierung. Voraussetzung ist immer, dass der Betroffene die Bezugskriterien erfüllt, also etwa bereit ist, Arbeit anzunehmen. Das Arbeitslosengeld entspricht rund 55 Prozent des vorher bezogenen Nettoeinkommens. Die Notstandshilfe ist noch einmal etwas niedriger, sie beträgt 90 bis 95 Prozent des Arbeitslosengeldes.

Die Mindestsicherung ist anders

Unabhängig davon steht Menschen die Mindestsicherung als letzte soziale Abfederungsmaßnahme zu, und zwar auch dann, wenn nicht vorher gearbeitet wurde. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Vermögen des Betroffenen bis auf rund 4200 Euro aufgebraucht wurde. Die Regeln sind recht strikt. Der eigene Pkw darf zum Beispiel nur behalten werden, wenn er für die Ausübung einer Arbeit gebraucht wird oder der Betroffene aufgrund einer Behinderung darauf angewiesen ist.

Bei der Höhe der Mindestsicherung wird zudem das gesamte Haushaltseinkommen berücksichtigt. Wer also im Haushalt gemeinsam mit einem Partner oder mit Kindern lebt, die selbst Geld verdienen, bekommt entsprechend weniger Mindestsicherung.

Bei der Notstandshilfe und beim Arbeitslosengeld gibt es dagegen keinen Zwang, das eigene Vermögen aufzubrauchen. Auch das Haushaltseinkommen wird nicht angerechnet. Bei der Notstandshilfe gab es nur eine Anrechnung des Partnereinkommens, das wurde aber mit Juli 2018 abgeschafft. Die Notstandshilfe bietet für Betroffene gegenüber der Mindestsicherung also einige Vorteile.

Der Plan

Laut Regierungsprogramm soll es künftig nur noch Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung geben. Das würde aber bedeuten, dass es bei älteren Notstandshilfebeziehern zu Vermögenseingriffen kommt. Das gilt als politisch heikel, weshalb die erwähnte Alternative mit der unbegrenzten Bezugsdauer geprüft wurde. Derzeit gibt es in Österreich laut Arbeitsmarktservice (AMS) etwa 140.000 Notstandshilfebezieher. Etwas mehr als 56.000 oder rund 40 Prozent von ihnen gehören zur Gruppe der über 50-Jährigen.

"Vermögenswerte Rechte"

Ein Ende der Notstandshilfe könnte auch rechtlich "heikel" sein, wie der Verfassungsjurist Heinz Mayer sagt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat 1996 entschieden, dass die Notstandshilfe ein "vermögenswertes Recht" ist. Die Gewährung von Notstandshilfe setzt Beitragszahlungen an die Arbeitslosenversicherung voraus. Sie ist deshalb in den Augen des Gerichtshofes keine Sozial-, sondern eine Versicherungsleistung. Der Unterschied: In erworbene Versicherungsansprüche kann der Staat nicht einfach eingreifen, weil Menschen darauf vertraut haben, dass ihnen die Leistung zusteht. Die Notstandshilfe abzuschaffen, könnte "verfassungsrechtlich problematisch" sein, sagt Mayer.

Die Problematik könnte man allerdings abmildern, wenn für Menschen mit längeren Beitragszahlungen Sonderregelungen greifen würden, so Mayer weiter. Eine Rolle bei der rechtlichen Beurteilung würde schließlich auch spielen, wie die Mindestsicherung für Betroffene künftig ausgestaltet wäre, wie hoch ihre Einbußen bei einer Umstellung also tatsächlich wären.

Breite Neuregelung denkbar

Die mögliche Streichung der Notstandshilfe sorgt seit Bekanntwerden der Pläne für hitzige Debatten. Nicht zuletzt, weil parallel auch an einer Reform der Mindestsicherung gearbeitet wird.

Der Arbeitsrechtler und Familienforscher Wolfgang Mazal hält ein Ende der Notstandshilfe aus "Fairnessgründen" für geboten, wobei der Jurist nicht von der Abschaffung, sondern "von der Überführung" der Notstandshilfe in ein neues System sprechen will. Denn ein Ende der Notstandshilfe soll von einem generellen Ausbau der Bezugszeiten beim Arbeitslosengeld begleitet werden.

Bei einer möglichen Reform gehe es nicht darum, ob sich der Staat durch den Wegfall der Notstandshilfe etwas erspart oder nicht. "Die Dinge müssen sachlich stimmig sein", sagt Mazal, auf dessen Wort Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) viel gibt. Die Tatsache, dass junge Menschen mit kurzen Versicherungszeiten aktuell genauso viel herausbekommen können wie Ältere, die Jahrzehnte Versicherungsbeiträge geleistet haben, sei nicht zu rechtfertigen. Deshalb sei künftig mehr Differenzierung geboten.

Mazal plädiert gleichzeitig dafür, den Vermögenseingriff bei der Mindestsicherung umzugestalten: So solle künftig unterschieden werden, warum jemand ein Vermögen erworben hat. Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer eine Abfindung bekommt und sich etwas anspart, sollte er nicht verpflichtet werden, sein Vermögen aufzubrauchen. Wer eine Erbschaft bekommt, allerdings schon.

Schlechte Karten

Im Zuge der Debatte rund um die Notstandshilfe wird auch darüber diskutiert, ob Österreichs System der sozialen Absicherung zu wenig Anreize dafür bietet, sich einen Job zu suchen.

Unter Notstandshilfebeziehern befinden sich laut dem Arbeitsmarktexperten Helmut Mahringer vom Wifo-Institut besonders viele Menschen, die Schwierigkeiten mit der Integration am Arbeitsmarkt haben: Neben Älteren sind das oft Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Geringqualifizierte. Diese Merkmale deuteten laut Mahringer darauf hin, dass die Personengruppe schlechtere Chancen dabei hat, am Arbeitsmarkt unterzukommen. (András Szigetvari, 6.11.2018)