Um die Ebola-Epidemie eindämmen zu können, müssen Menschen, die sich krank fühlen, in Krankenstationen kommen. In der Demokratischen Republik Kongo sind die Hälfte der 305 Ebola-Opfer zu Hause gestorben. Das Virus verbreitet sich außerhalb der Krankenstationen rasend schnell.

Foto: MSF

Die von Ärzte ohne Grenzen getestete Impfung gegen Ebola scheint zu funktionieren, sagt Marcus Bachmann. Sie ist jedoch noch nicht zugelassen – und die dafür erforderliche Kühlkette in Afrika vielfach nicht gewährleistet.

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STANDARD: In den vergangenen Wochen sind 300 Menschen in der Demokratischen Republik Kongo an Ebola gestorben. Wie beurteilt ein Experte wie Sie die Lage?

Marcus Bachmann: Als ausgesprochen besorgniserregend. Nach neuesten Zahlen hat dieser insgesamt zehnte Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo 305 Todesopfer gefordert. Die Zahl allein greift aber zu kurz, um die tatsächliche Situation zu beschreiben.

STANDARD: Warum?

Bachmann: Besorgniserregend ist, dass wir die Erkrankung nicht unter Kontrolle haben. Die Bezirke, die am meisten betroffen sind, sind Kriegsgebiete. Wir können dort also die zur Eindämmung der Ausbreitung so wichtigen Vorsichtsmaßnahmen nicht umsetzen. Das beunruhigt uns sehr.

STANDARD: Inwiefern?

Bachmann: Ebola ist eine hochinfektiöse Erkrankung, die über die Körperflüssigkeiten weitergegeben wird. Um die Epidemie einzudämmen, ist es wichtig, die Erkrankten zu isolieren. Von den zwölf in der vergangenen Woche Verstorbenen sind die Hälfte zu Hause und nicht in einem Ebola-Behandlungszentrum gestorben. Das bedeutet: Die Gefahr ist hoch, dass die Infizierten die Viren an Angehörige weitergegeben haben. Denn auch der Leichnam ist hochinfektiös, kann also ansteckend sein. Die Menschen dort wissen das nicht immer.

STANDARD: Sie sind also besorgt, wie sich die Erkrankung in den nächsten Wochen ausbreiten wird?

Bachmann: Genau. Die Inkubationszeit für Ebola beträgt zwischen zwei und 21 Tage, erst dann treten die Symptome auf. Um die Epidemie eindämmen zu können, müssen wir aber bei jedem einzelnen Kranken die Kontaktpersonen zurückverfolgen, um eine Ausbreitung zu vermeiden.

Die Versorgung der Kranken stellt hohe Sicherheitsanforderungen. Eine Ansteckung auch zwischen Mutter und Kind muss unbedingt verhindert werden.
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STANDARD: Also alle Menschen herausfinden, die mit einem Infizierten Kontakt hatten ...

Bachmann: Genau. Wir checken sämtliche Sozialkontakte der Infizierten. Wenn ein Ausbruch unter Kontrolle ist, müsste man daher alle neuen Ebola-Fälle unter den überwachten Kontakten finden. Zurzeit aber können knapp die Hälfte der Fälle nicht zu bekannten Infektionsketten zurückverfolgt werden. Das ist ein schlechtes Zeichen. Denn wir können alle Maßnahmen zur Isolation der Kranken nicht durchführen.

STANDARD: Befürchten Sie, dass sich diese Ebola-Epidemie weiter ausbreiten könnte?

Bachmann: Das befürchtet vor allem die WHO. Einstweilen sind zwei Regionen in der Demokratischen Republik Kongo betroffen, und zwar Nordkivu und Ituri. Dort wütet der Bürgerkrieg, wir haben sehr eingeschränkten Zugang zu den betroffenen Regionen. Unsere Arbeit bei Ärzte ohne Grenzen besteht ja vor allem auch darin, Vertrauen bei den Menschen aufzubauen. Nur wenn sie uns vertrauen, können wir ihnen auch wichtige Vorsichtsmaßnahmen vermitteln. In Kriegsregionen haben Menschen kein Vertrauen. Es hat zuvor auch noch nie einen Ebola-Ausbruch in einem Kriegsgebiet gegeben.

STANDARD: Was hat die WHO dazu bewogen, die Weltöffentlichkeit zu warnen?

Bachmann: Einstweilen sind nur zwei Regionen betroffen. Doch diese Provinzen sind Grenzregionen. Man befürchtet, das Virus könnte auch auf Ruanda, Uganda und den Südsudan überspringen. Ebola-Epidemien haben das Potenzial, sich rasend schnell auszubreiten. Das wissen wir.

STANDARD: Weil sich das Virus auch über die Luft überträgt?

Bachmann: Das Ebola-Virus wird über Körperflüssigkeiten übertragen. Die große Gefahr sind aber die schwallartigen Erbrechensanfälle, die viele Menschen im Umkreis betreffen können. Wenn Menschen in von uns eingerichtete Krankenstationen zur Abklärung kommen, ist ein Zweimeterabstand deshalb am Anfang sehr wichtig. Das ist ungewohnt.

STANDARD: Damit sich das Personal im Krankenhaus nicht ansteckt?

Bachmann: Genau. Es geht darum, das Personal in den Krankenhäusern zu schützen. Es gab einen Ausbruch in Sierra Leone, bei dem das Gesundheitssystem dadurch fast vernichtet wurde. Daraus haben wir gelernt und entsprechende Verhaltensregeln für Krankenhäuser in Ebola-Krisengebieten weiterentwickelt.

STANDARD: Wie steht es um die Impfung?

Bachmann: Es gibt eine Impfung, die 2014/15 in einer grandiosen Zusammenarbeit entwickelt wurde. Ärzte ohne Grenzen hat sie auch beim neunten Ebola-Ausbruch in Equateur, auch das liegt in der Demokratischen Republik Kongo, an 1.650 Menschen getestet. Das haben wir selbst mit zwei Millionen Euro finanziert.

STANDARD: War die Aktion erfolgreich?

Bachmann: Ja, sie scheint zu funktionieren, hat auch beschränkt Nebenwirkungen. Das Problem ist, dass diese Impfung noch nicht zugelassen ist. Da warten wir auf entsprechende Verfahren, die der Hersteller MSD mit den Behörden vorantreiben muss. Eine Ebola-Epidemie ist aber zeitkritisch.

STANDARD: Wirkt die Impfung?

Bachmann: Ja. Bei jedem bisherigen Ausbruch handelte es sich um den Zaire-Stamm, auf dessen Basis diese Impfung auch entwickelt wurde. Logistisch wirklich herausfordernd ist die unbedingt erforderliche Kühlkette, die es für diese Impfung einzuhalten gilt. Bis wenige Tage vor der Anwendung muss sie bei minus 60 bis 80 Grad Celsius gelagert werden. Das ist in den Regionen Afrikas oft wirklich nur sehr schwer zu gewährleisten. Manchmal gibt es ja nicht einmal eine Stromversorgung. Und wir können mit diesem Impfstoff auch schwangere Frauen nicht impfen.

STANDARD: Warum nicht?

Bachmann: Weil es ein Lebendimpfstoff ist und möglicherweise das ungeborene Kind gefährden würde. Das Tragische daran: Das Sterblichkeitsrisiko ist für schwangere Frauen in einer Ebola-Epidemie besonders hoch.

STANDARD: Wie sehr betrifft es Europa?

Bachmann: Einstweilen noch nicht. Es geht um Solidarität mit denen, die dort sterben, und unsere Bereitschaft zu helfen. (Karin Pollack, 8.11.2018)