Das Haus der Geschichte Österreich eröffnet in der Neuen Burg am Heldenplatz in unmittelbarer Nähe zur Nationalbibliothek.

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"Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd", merkte der damalige SPÖ-Chef und Kanzler Fred Sinowatz spöttisch zur Waldheim-Affäre an. Gemünzt auf diese Aussage gestalteten Künstler ein Holzpferd, das bei Protesten gegen Waldheim mitgeführt wurde.

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Das architektonische Konzept der Ausstellung setzt auf Offenheit. Auf engstem Raum wirkt doch vieles überladen.

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Arbeitsentwurf des Staatsvertrags aus dem Jahr 1950.

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Hermann Maiers Sturzhelm von Nagano 1998 sowie dessen gewonnene Goldmedaille.

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Conchita Wursts Song-Contest-Siegerkleid aus dem Jahr 2014.

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Der österreichische Rekord im Sechzig-Meter-Sprint liegt bei 6,56 Sekunden. So schnell ist man beim Haus der Geschichte (HdGÖ), das am Samstag in der Neuen Burg am Heldenplatz seine Pforten öffnet, freilich nicht durch. Es ist aber schon erstaunlich, wie wenig Fläche die verantwortlichen Politiker von SPÖ und ÖVP nach über dreißig Jahren Debatte dem ersten zeitgeschichtlichen Museum des Bundes letztlich zugestehen konnten.

Ebenso bemerkenswert ist andererseits auch, wie viel spannende, widersprüchliche und lehrreiche österreichische Zeitgeschichte von 1918 bis 2018 sich in sechzig Laufmeter Fläche hineinpressen lässt. Inhaltlich muss sich das junge Historikerteam um HdGÖ-Direktorin Monika Sommer also wenig vorwerfen lassen. Über die Ausstellungsarchitektur von BWM Architekten, die mit ihrer Stahlgerüstoptik stellenweise wirkt, als harre der imperiale Habsburgbau gerade seiner Generalsanierung, lässt sich streiten.

Offenes "Geschichtslabor"

Dem im wahrsten Sinne in Stein gemeißelten Geschichtsverständnis der Monarchie habe man ein offenes "Geschichtslabor" entgegensetzen wollen, erklären BWM. Naheliegend, dass die Offenheit in Wahrheit auch Mobilität meint, gilt es doch als wahrscheinlich, dass das HdGÖ in den nächsten Jahren aus der Burg wieder ausziehen und die drei dem KHM-Verband abgetrotzten Räume zurückgeben muss.

"Aber heute freuen wir uns einmal über diesen ersten Etappensieg", sagte Nationalbibliotheks-Chefin Johanna Rachinger am Mittwoch bei der Vorbesichtigung für Medienvertreter. Geht es nach dem Willen der ÖVP, wird sie die strukturelle Oberhoheit über das Haus bald schon wieder abgeben. Direktorin Sommer, die von einem "Meilenstein für die historische und politische Bildung im Land" sprach, wird mit einer angepeilten Eingliederung ins Parlament vorliebnehmen müssen.

Zeithistoriker Oliver Rathkolb, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats, machte deutlich, dass man diese Pläne nur dann mittragen könne, wenn "dasselbe Niveau an Unabhängigkeit wie derzeit gewährleistet ist". Das HdGÖ entstehe in einer Zeit, in der "autoritäre, illiberale Zukunftsexperimente" im Erstarken seien. Und da brauche es "einen klaren Blick: Was ist Diktatur?"

Wenig Luft für Reflexion

Der klare Blick fällt nicht immer leicht: Zu gedrängt ist die Schau, die fehlende räumliche Trennung zwischen den historischen Brüchen lässt wenig Luft für Reflexion, auch das Besucherleitsystem – nicht nur im HdGÖ problematisch – kann gehörig verwirren. Konfusion entsteht, wenn Ausstellungsmacher zu viel wollen und die lineare Chronologie der Erzählung historischen Querverweisen opfern. Vermittlungsarbeit wird da umso wichtiger. Die Angebote für Schulen sind entsprechend umfassend.

In sieben Kapitel gliedert sich die Ausstellung: "Hoch die Republik" befasst sich etwa mit den Grundlagen der österreichischen Demokratieentwicklung. Zentrales Objekt ist ein Manuskript der staatstheoretischen Schrift Vom Wesen und Wert der Demokratie des Juristen Hans Kelsen. Seine erste demokratische Bundesverfassung von 1920 ist in abgeänderter Fassung bis heute gültig.

Gebrochen wurde sie 1934 vom christlichsozialen Bundeskanzler und Gründer der Vaterländischen Front Engelbert Dollfuß. Die historische Einordnung der nach faschistischen Vorbildern errichteten Diktatur ist bis heute Streitpunkt zwischen ÖVP und SPÖ. Die einen sehen im Kruckenkreuz-Führer einen Märtyrer im Kampf gegen den NS-Faschismus, für die anderen ist er dessen Wegbereiter: Abschaffung des Parlamentarismus, Wiedereinführung der Todesstrafe oder das Ende der Pressefreiheit erzählen davon. Beide Sichtweisen erhalten Raum.

Der durchlöcherte Wunderteam-Pokal

Vom Bürgerkrieg im Februar 1934, in dem die Blockkonfrontation eskalierte und die Sozialdemokratie verboten wurde, erzählt ein besonderes Symbol: ein Pokal des Fußball-Wunderteams der 1930er-Jahre, der beim Beschuss des roten Karl-Marx-Hofs in der Wohnung des Trainers Hugo Meisel durchlöchert wurde.

Die Darstellung der NS-Geschichte mündet thematisch direkt in die Erinnerungsdebatten nach 1945: Opfermythos, Waldheim-Affäre, Jörg Haiders FPÖ. Auseinandersetzungen um Grenzen, Migration und Toleranz werden bis in die Gegenwart ausgestellt. Da gibt es Objekte von der Schere, mit der Alois Mock den Eisernen Vorhang durchtrennte, bis hin zu Conchita Wursts Song-Contest-Kleid. Den Abschluss bilden zwei Plakate aus dem jüngsten, polarisierenden Präsidentschaftswahlkampf: Van der Bellen plakatierte "Heimat braucht Zusammenhalt", Norbert Hofer "Deine Heimat braucht dich jetzt".

Was der Heimat wohl wirklich guttäte, wären ein paar Laufmeter mehr für ihr historisches Gedächtnis. (Stefan Weiss, 7.11.2018)