Kaum ein Kleidungsstück war popkulturell so heiß umkämpft wie die MA-1, eine Nylon-Bomberjacke, die 1958 für die U.S. Air Force entwickelt wurde, aber schon Anfang der 1960er-Jahre in Subkulturen auftauchte. Die Mods entdeckten die MA-1 neben dem Parka früh, innerhalb der Skinhead-Community brach in den 1970er-Jahren ein Streit aus, weil die antirassistischen Gruppierungen die Bomberjacke nicht ihren politischen Gegnern überlassen wollten. Seit einigen Jahren ist die Bomberjacke sowohl in der High Fashion als auch auf der Straße nicht mehr wegzudenken.

Der Hamburger Künstler Hans-Christian Dany, 1966 geboren, der bereits Bücher über die Droge Speed und das Verhältnis von "Kybernetik und Kontrollgesellschaft" geschrieben hat, untersucht in seinem jüngsten Buch MA-1. Mode und Uniform Modemechanismen und Widersprüche anhand dieses Kleidungsstücks: Drohnen haben die Arbeit der einstigen Piloten übernommen, während die Zivilbevölkerung sich zunehmend eine schützende Haut zulegt, so eine der Beobachtungen dieses Buchs.

Foto: Donnie Londi

STANDARD: Warum eignet sich die Bomberjacke so gut, um über Mode zu erzählen?

Hans-Christian Dany: Sie ist ein sehr markantes Kleidungsstück und gleichzeitig scheinbar so leer, dass man sie immer wieder neu besetzen konnte. Schon ihr Anfang war ambivalent: Mit dem Projekt "New Look" entwarf die U.S. Army nach dem Zweiten Weltkrieg eine Jacke, die komplett ohne Rangabzeichen auskam. Es ging um teamfähige Arbeitssoldaten.

Die Armee holte Redakteure der Modezeitschriften "Vogue" und "Harper's Bazaar" als Berater ins Boot. Es entstand eine postheroische Uniform, die sich auch perfekt als Freizeitkleidung eignete. Mich interessieren diese Ambivalenzen, Verdrehungen und neuen Aufladungen, wie sich Mode mit Politik verknüpfen lässt. Wenn man anfängt, über Mode ein Buch zu schreiben, denkt man ja immer, man wäre schon zu spät. Aber diese Bomberjacken-Mode hielt ewig an.

STANDARD: Wer früher eine Bomberjacke trug, wollte eine politische Haltung ausdrücken. Das ist heute nicht mehr der Fall ...

Dany: Viele bedauern das ja, tragen die Bomberjacke als sentimentale Erinnerung an Zeiten, in denen es noch Subkulturen gab. Das ist nicht mein Anliegen, ich freue mich über die Gegenwart. Darüber, dass die Mode immer am Sprung ist, Bedeutungen flüchtig bleiben. Vielleicht hat es ja auch zum Ende der Subkulturen beigetragen, dass sie sich in ihren Nischen eingerichtet und nicht mehr über die Zeichen nachgedacht haben.

STANDARD: Heute tragen Banker Jogginghosen und Hoodies. Haben sich Klassengrenzen modisch aufgelöst?

Dany: Sie sind subtiler geworden. Wir befinden uns in einer Phase der extremen Aufsplitterung der Gesellschaft, in der es sehr scharfe Trennungen von soziologischen Gruppen gibt. Die Mittellosen wissen inzwischen über bestimmte Labelcodes genau Bescheid – auch wenn sie sich diese nur als Fakes leisten können. Alle tragen Jogginghosen, aber es kommt trotzdem darauf an, welche.

Ich habe mir eine sündteure von Rick Owens geleistet, die hängt im Schritt durch. Owens' Mode spielt mit Momenten der Obdachlosenkleidung, nimmt viel aus der arabischen Kultur auf, verschneidet die Disziplinargesellschaft des Gefängnisses mit der neoliberalen Kontrollgesellschaft der Selbstoptimierung. Wenn ich diese Hose in bestimmten Vierteln trage, dann denken alle bloß, ich sei arbeitslos und depressiv. Die Kioskverkäuferin hat mir sogar einen Schokoriegel geschenkt.

STANDARD: Warum ist die Bomberjacke schon so lange hip?

Dany: Mode ist ein Ersatz geworden, um sich als Community zu markieren. Die tradierten Gemeinschaftsformen brechen immer mehr zusammen: Man geht nicht mehr in die Kirche, die Familie spielt keine so große Rolle mehr. Deshalb ist man Teil der Gruppe, die Skinny-Jeans oder gefälschtes Gucci trägt. Das sind Zugehörigkeiten, die man nicht so schnell wieder verlieren möchte, deshalb bleibt man bestimmten Zeichen länger treu.

Das Interesse abzuweichen scheint ohnehin erheblich geringer zu werden. Wir bekommen permanent verordnet, etwas Besonderes sein zu müssen. Daraus ist eine Unlust entstanden. Viele versuchen, in unserer Überwachungsgesellschaft einfach unsichtbarer zu werden. Da haben sich normierte Kleidungsstücke wie die Bomberjacke, der Hoodie oder die Jogginghose angeboten.

Unverwüstlich, heiß umkämpft: die Bomberjacke MA-1 vom amerikanischen Hersteller Alpha Industries.
Foto: Alpha Industries

STANDARD: Männermode war lange ein Nischenprodukt. Mittlerweile sind viele Jungs einkaufssüchtig. Gut oder schlecht?

Dany: Beides. Früher wurde man gefragt, ob man schwul ist, wenn man sich für Mode begeisterte. Aus Gründen der Emanzipation finde ich toll, dass der Mann nicht mehr selbstgefällig sein kann, sondern auch etwas tun muss, um gut auszusehen. Natürlich ist man dadurch auch Teil des Kapitalismus: Wir befinden uns in einer ständigen Bewerbungssituation.

Die Kinder beobachten ja auch, wie ihre Väter mit Mitte 40 versuchen, noch möglichst jung auszusehen – damit sie in der Arbeitswelt gefragt bleiben. Weil sie nicht davon ausgehen können, bis 65 beschäftigt zu bleiben – sondern nur, wenn sie noch jung und dynamisch aussehen. Hinzu kommt: Wie kann man heute seine Eltern überhaupt noch schockieren? Indem man sagt, man braucht einen Hoodie um 800 Euro. In dieser totalen Bejahung von Konsum liegt ein Generationenkonflikt.

STANDARD: Hat Ihr Sohn Ihnen denn schon mal gesagt, Sie würden sich peinlich verhalten, was Mode betrifft?

Dany: Dauernd! Der härteste Satz diese Woche war: "Papa, für Storys auf Instagram bist du echt zu alt." Das ist schon niederschmetternd. Mein Sohn hätte es natürlich auch am liebsten, wenn ich einen Anzug tragen würde. Dann wäre es einfacher, sich abzugrenzen. Er macht sich auch gern lustig über Väter, die Yeezy-Sneakers tragen. Diese Elterngeneration, die nicht erwachsen werden möchte und vor einem Sneakerstore übernachtet. Da ist er schon heilfroh, dass ich das nicht tue und überhaupt keine Turnschuhe anziehe.

STANDARD: Sind Sie durch Ihre Beschäftigung mit Mode denn mehr in Versuchung einzukaufen?

Dany: Eher im Gegenteil. Ich habe nach wie vor nur eine Bomberjacke. Aber es ist faszinierend, dass Mode ein Begehren auslöst. Dieses Habenwollen und wie ein Kind zu denken, wenn ich diese Jacke besitze, dann wird sich mein Leben ändern. Dann werde ich ein anderer Mensch. Diese Fantasie, dass man mit einer Bomberjacke das Problem der eigenen Schüchternheit löst und endlich strahlen könnte.

STANDARD: Sie strahlen lieber in der alten Jacke?

Dany: Das ist die andere Seite des Phänomens, dass es Lieblingsstücke gibt – in denen man sich bis zum letzten Fadenbruch unglaublich wohlfühlt. Bis irgendwann nahestehende Menschen sagen, wie abgerissen man aussieht. Ich hab meine Bomberjacke aus einem konservativen Moment heraus gekauft, um mich, als mein Sohn klein war, auf dem Spielplatz von jenen Vätern abzugrenzen, die mit Bauch und im Schlabberlook herumsaßen. Dann konnte ich zugucken, wie sie modern wurde. Das ist meine Normcore- Erfahrung. (Karin Cerny, RONDO, 20.11.2018)

Hans-Christian Dany: "MA-1. Mode und Uniform", Nautilus-Verlag, 16 Euro.
Das Buch wird am 11. Jänner 2019 im Rahmen eines Vortrags im Tanzquartier Wien vorgestellt.
Foto: Verlag Nautilus

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