Beim Arbeitsmarktservice fallen enorm große Datenmengen an. Die will das AMS nun nutzen, um Menschen effizienter zurück in Lohn und Brot zu bringen.

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Wie medial schon mehrfach unter der Bezeichnung "AMS-Algorithmus" berichtet, wird den Beraterinnen und Beratern im Arbeitsmarktservice (AMS) künftig ein neues Assistenzsystem zur Seite stehen. Dieses IT-Tool prognostiziert mithilfe hochkomplexer mathematischer Modelle monatlich neu die rechnerisch aktuellen Arbeitsmarktchancen jedes einzelnen arbeitssuchenden Menschen. Damit werden aus dessen bisherigem Erwerbsverlauf sowie aus einer Vielzahl anderer persönlicher Kriterien wie etwa Alter, Ausbildung, Region, Geschlecht oder Betreuungspflichten die jeweils individuellen Chancen auf einen baldigen Arbeitsbeginn mit erstaunlich hoher Trefferquote vorhergesagt.

Berater bleiben wichtig

In sogenannten Big Data spezielle Muster zu erkennen, um daraus Prognosen zu erstellen, ist eine Fähigkeit, die der Computer unzweifelhaft besser beherrscht als der Mensch. Dabei werden Chancen, aber auch Probleme eines Einzelnen zwar rechnerisch erfasst, nicht aber erschaffen, sondern nur erkannt und aufgezeigt. Weil aber auch andere Umstände wie etwa der persönlich erkennbare Motivationsgrad oder aktuellste Marktänderungen für die individuellen Arbeitsmarktchancen von besonderer Bedeutung sein können, bleibt die individuelle Letztentscheidung auch in Zukunft immer beim jeweiligen AMS-Berater oder der AMS-Beraterin.

Die Einführung des neuen AMS-Algorithmus entspricht unserem Wunsch, die Effizienz jeder einzelnen Beratung, aber auch die Effektivität des gesamten AMS zu steigern. Sinnvollerweise werden dafür unsere Kundinnen und Kunden künftig in drei Gruppen erfasst:

Menschen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne unsere Hilfe rasch wieder eine Arbeit finden können, wollen wir bei ihrer Jobsuche vor allem mit Stellenangeboten unterstützen und ihnen darüber hinaus nur mehr jene Förderungen anbieten, die mit der konkreten Arbeitsaufnahme verbunden sind, zum Beispiel unsere Kinderbetreuungsbeihilfe.

Arbeitslosen Personen mit derzeit "mittleren" Arbeitsmarktchancen wollen wir in der zweiten Gruppe weiterhin mit unserem ganzen Förderangebot bestmöglich helfen.

Neues Angebot

Bei arbeitssuchenden Menschen mit nur sehr geringen Job-Chancen aber haben die Evaluierungen gezeigt, dass unsere teuersten Förderinstrumente wie etwa Facharbeiterintensivausbildungen oder spezielle Beschäftigungsprojekte zunächst nicht sinnvoll sind. Denn trotz der hohen Kosten gelingt nach einer derart kostenintensiven Fördermaßnahme nur sehr wenigen dieser Gruppe (weniger als 15 Prozent) wirklich eine Arbeitsaufnahme. Daher haben wir hier ein völlig neues, externes Betreuungsangebot entwickelt und heuer auch schon in mehreren Bundesländern mit vielversprechendem Erfolg erprobt.

Selbstvertrauen verbessern

Ziel dieser Maßnahmen ist es, durch Einzelcoaching, Gesundheitsförderung, Kurzqualifizierungen usw. die individuelle Situation und das Selbstvertrauen wenigstens eines Viertels der teilnehmenden Personen so zu verbessern, dass wir sie anschließend wieder in die Gruppe mit den mittleren Arbeitsmarktchancen einstufen und ihnen so wieder das ganze Förderangebot des AMS anbieten können. Erfreulicherweise zeigen aber auch die externen Maßnahmen selbst, dass dadurch ein fast ebenso großer Personenanteil wieder in Arbeit gebracht werden kann wie durch die früheren, sehr kostspieligen Förderinstrumente. Somit wird es wegen der deutlich niedrigeren Kosten künftig also möglich sein, mit gleichem Mitteleinsatz viel mehr Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

DER STANDARD und auch andere Medien haben sich in ihrer Berichterstattung in den letzten Wochen speziell mit diesem Vorhaben des AMS, aber auch generell mit dem Einsatz von Algorithmen intensiv beschäftigt. Die heftigste Kritik an unserem Projekt betraf dabei den Umstand, dass die AMS-Algorithmen die Chancen von Frauen am Arbeitsmarkt aufgrund der objektiven Daten zumeist schlechter bewerten als die von Männern, dass also Frauen damit sozusagen durch unser Programm "weiter diskriminiert" würden.

Assistenzsystem

Diese Behauptung schmerzt nicht nur, sie ist auch völlig unsinnig. Denn natürlich muss das System neben all den anderen Faktoren auch das Geschlecht der jeweiligen Person berücksichtigen. Würde es dies nicht tun, gäbe es zwar auch nicht mehr Jobaufnahmen von Frauen, dafür aber eine signifikant niedrigere Prognosequalität.

Unser neues Assistenzsystem berücksichtigt also die Realität, dass Frauen am Arbeitsmarkt noch immer diskriminiert werden. Als Folge der Gruppeneinteilung durch unseren Algorithmus aber zeigt sich auch, dass arbeitslose Frauen unterproportional sowohl in der Gruppe mit hohen als auch in der mit niedrigen Chancen aufscheinen und ihnen daher in der mittleren Gruppe überproportional oft besondere Aufmerksamkeit und das ganze Förderpaket des AMS angeboten werden können.

Viele der anfänglich in der Öffentlichkeit vorgebrachten Sorgen und Ängste wegen unseres neuen Systems können wir im AMS durchaus nachvollziehen. Big Data, Algorithmen, Beurteilungen durch einen Computer – das erzeugt zunächst vor allem Unsicherheit. Werden jetzt alle über einen Kamm geschoren? Kann mein Berater jetzt noch auf meine spezielle Situation eingehen?

Noch objektiver urteilen

Seien Sie bitte sicher: Es ist immer noch der Mensch, die AMS-Beraterin oder der AMS-Berater, der sich persönlich um die Anliegen des oder der Arbeitssuchenden bemüht, der jetzt aber noch besser helfen kann. Weil die Chancen auf dem Arbeitsmarkt künftig noch objektiver beurteilt werden können. Und bezüglich der Möglichkeit einer Diskriminierung: Gerade dem AMS wurde schon bei seiner Gründung gesetzlich die Aufgabe übertragen, allen Diskriminierungen am Arbeitsmarkt entgegenzutreten, und wir werden dies mit großer Entschlossenheit auch künftig tun.

Bei der Einführung unseres neuen Helfers aber werden wir recht behutsam vorgehen. So wird 2019 für uns vor allem ein Jahr des Ausprobierens, der Qualifizierung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Evaluierung, aber auch der Qualitätssicherung. Denn unser Ziel ist es, mit den Realitäten unseres Förderbudgets und unserer Personalressourcen in Zukunft noch mehr Menschen noch besser als bisher zu helfen. (Johannes Kopf, 14.11.2018)