Dem Nördlichen See-Elefanten scheint es wieder bestens zu gehen. Alle 200.000 Exemplare, die es heute gibt, sind aber ungünstig nahe miteinander verwandt.
Foto: Universität Bielefeld/Martin Stoffel

Bielefeld – 33 Robbenarten gibt es heute – und wenn es nach einer aktuellen Studie geht, dann wären es beinahe um ein Drittel weniger: 11 Spezies sollen nämlich im vergangenen Jahrhundert nur knapp der Ausrottung durch den Menschen entgangen sein, berichtet die Universität Bielefeld.

Risiko Flaschenhals

"Durch Jagd, Seuchen, Klimawandel oder auch Extremwetter können Tierarten in ihren Beständen so stark reduziert werden, dass sie genetisch verarmen", sagt Joseph Hoffman, Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Verhaltensforschung der Unit Bielefeld. Unter solchen Bedingungen kann eine Spezies einen "genetischen Flaschenhals" erreichen, der ihren Fortbestand gefährdet.

"Wenn die genetische Vielfalt fehlt, verringern sich die Chancen einer Art, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen oder sich gegen Viren oder Bakterien zu verteidigen. Man kann die genetische Ausstattung mit einem Werkzeugkasten vergleichen: Je weniger Werkzeuge man hat, desto schlechter ist man für verschiedene Situationen gerüstet", sagt Hoffman.

Umfassendes Sample

Die Forscher analysierten in Kooperation mit Kollegen aus anderen Ländern, welche Robbenarten durch einen solchen Flaschenhals mussten. "So konnten wir genetische Daten für tausende Robben aus 30 verschiedenen Arten sammeln", sagt Studienerstautor Martin Stoffel. Damit sei die Studie die bisher umfassendste Untersuchung zur genetischen Vielfalt bei Robben.

In ihrer Analyse simulierten die Forscher am Computer, welche genetische Vielfalt pro Robbenart zu erwarten wäre, wenn die Art vor 100 Jahren tatsächlich fast ausgestorben wäre, also während der "Hochblüte" der weltweiten Robbenjagd. Diese Berechnungen verglichen sie mit den gesammelten genetischen Daten der heute lebenden Tiere.

Die meisten Arten haben sich wieder erholt

Das Ergebnis: Vor einem Jahrhundert stand etwa ein Drittel der untersuchten Arten vor der Ausrottung. "Die meisten Arten haben sich davon wieder erholt und verfügen trotz der damals intensiven Bejagung und trotz starker Rückgänge der Populationen auch heute noch über eine genetische Vielfalt, sodass zum Beispiel die Zahl der Erbkrankheiten überschaubar bleibt", sagt Stoffel.

Es gebe allerdings vier Ausnahmen, bei denen der genetische Flaschenhals bis heute Auswirkungen zeigt: der Nördliche See-Elefant aus dem Nordostpazifik, die beiden Mönchsrobbenarten im Mittelmeer und auf Hawaii sowie die Saimaa-Ringelrobbe, die nur in einigen finnischen Seen vorkommt. Bei diesen Arten sei die genetische Vielfalt stark eingeschränkt und betrage nur bis zu 20 Prozent der von Arten, die kaum oder gar nicht bejagt wurden.

Die genetische Analyse kann somit viel besser die Wirklichkeit widerspiegeln als der oft trügerische äußere Anschein. So gibt es vom Nördlichen See-Elefanten heute über 200.000 Tiere, die Art gilt nicht als gefährdet. Man weiß jedoch, wie diese stattliche Zahl zustande kam: Im späten 19. Jahrhundert war die gesamte Spezies auf einen winzigen Restbestand von einigen Dutzend Tieren zusammengeschmolzen. Konsequenter Schutz ermöglichte dann dessen sukzessive Vergrößerung bis zum heutigen Stand – genetisch ist der damalige Flaschenhals aber immer noch ablesbar. (red, 18. 11. 2018)