Müde Kinder, leisten weniger in der Schule. Das kann auch von der Zeitzone abhängen, in der sie leben.

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Bis die Zeitumstellung in der EU Geschichte ist, dürfte es noch einige Jahre dauern. Den meisten Österreichern geht das Uhrendrehen jedenfalls auf den Zeiger. Blickt man sich um, sind das allerdings chronologische Luxusprobleme.

Wenn in Peking derzeit um etwa 7.00 Uhr die Sonne aufgeht, ist es im rund 3.500 Kilometer weiter westlich gelegenen Kaschgar noch stockdunkel. Dort geht die Sonne erst kurz vor zehn auf. Denn ganz China hat eine Zeitzone. Auch auf dem indischen Subkontinent ticken die Uhren überall synchron, unabhängig vom natürlichen Tagesrhythmus. Länder wie Frankreich, Russland oder Argentinien haben eine oder mehrere Zeitzonen, die von der solaren Uhrzeit abweichen. Die Sonne geht dort vergleichsweise spät unter.

In China und Indien leben jeweils über eine Milliarde Menschen in einer einheitlichen Zeitzone.
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Der menschliche Eingriff in den Tag-Nacht-Rhythmus könnte sich rächen. Die künstliche Erweiterung oder Zurechnung von Zeitzonen wirkt sich negativ auf Bildungserfolge in den westlicheren Regionen aus, wie eine neue Studie des Ökonomen Maulik Jagnani von der amerikanischen Cornell-Universität zeigt.

Die Ergebnisse legen nahe, dass die geografische Lage innerhalb einer Zeitzone Armut verstärken kann. Denn Schulkinder in Regionen mit späteren Sonnenuntergängen kommen auf durchschnittlich weniger Ausbildungsjahre. Das hat weitreichende Folgen, meint Jagnani. Schließlich hänge Qualifikation mit Wirtschaftswachstum und Einkommensverteilung zusammen.

Leistungsmüde

Das Phänomen ist nicht leicht aufzudröseln. Die innere Uhr des Menschen sorgt dafür, dass wir müde werden, wenn es dunkel wird. Dabei wird das Schlafhormon Melatonin verstärkt ausgeschüttet. Wo es länger hell ist, bleiben die Leute länger wach.

Das wäre kein Problem, solange sich die Tagesstruktur an die Sonnenstunden anpasst. Doch wenn politische oder soziale Konventionen die Zeitzonen festlegen und gleichzeitig vorgeben, dass die Schule überall zu selben Uhrzeit anfangen muss, treten Probleme auf. "Wo die Sonne später untergeht, schlafen Kinder kürzer", hält der Forscher fest. "Gut ausgeschlafen ist der Mensch produktiver."

Schülerinnen stärken sich in der Mittagspause in Hyderabad. In der zentralindischen Stadt geht die Sonne bereits deutlich später unter als im östlichen Kalkutta – das kann zur Ermattung führen.
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Wenn man versucht, eine direkte Wirkung zwischen Zeitzonen und Bildungsniveau aufzuzeigen, können viele Faktoren dazwischenfunken, gibt der Ökonom zu bedenken. Darum hat Jagnani Befragungen ausgewertet, bei der Schüler in ganz Indien über 24 Stunden hinweg ihren Tagesablauf protokollierten. Von Meghalaya im hügeligen Nordosten bis zur Küste des südlichen Bundesstaates Tamil Nadu wurden dafür über 18.000 Haushalte innerhalb der indischen Zeitzone befragt, wie sie ihre Zeit verbringen.

Kinder gaben an, wann sie spielen, in der Schule sind und Hausübung machen. Jugendliche in Bezirken, in denen die Sonne später untergeht, schliefen im Schnitt eine halbe Stunde weniger. Die müderen Schüler verbrachten auch weniger Zeit mit Lernen und Hausübung machen. Wo die Sonne eine Stunde später untergeht, sinkt die durchschnittliche Bildungszeit um 0,8 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder in diesen Regionen die Volksschule abschließen, ist um ein Viertel geringer als im Osten.

Insgesamt waren die Einschulungsquoten um ein Fünftel geringer. Ähnliche Ergebnisse aus China und Indonesien unterstützen die These, dass ein späterer Sonnenuntergang den Schlaf und somit die Schulleistungen beeinträchtigt.

Ärmere mehr betroffen

Wie stark der Einfluss der "falschen" Lage innerhalb einer Zeitzone ist, hängt auch vom Einkommen ab. Für ärmere Familien sind die negativen Auswirkungen größer. Wer mehr Geld hat, kann seinen Alltag offenbar an die unterschiedlichen Sonnenzeiten anpassen. Das gilt vor allem für Erwachsene – schließlich beginnt die Schule für alle Kinder, egal ob aus armen oder reichen Haushalten, zur gleichen Zeit.

Für Indien würde der Umstieg auf zwei Zeitzonen die Wirtschaftsleistung um rund vier Milliarden US-Dollar pro Jahr erhöhen, schätzt der Ökonom. Man könne auch generell über einen späteren Schulstart nachdenken, zieht der Forscher sein Fazit.

Fehlstart in der Schule

Chronobiologen fordern schon lange einen späteren Unterrichtsbeginn. Studien zeigen einen positiven Effekt, wenn der Schulstart nach hinten verlegt wird. Ein Versuch in Israel hat das verdeutlicht. Für zwei Wochen durfte eine Schülergruppe um eine Stunde später mit dem Unterricht beginnen. Die Glückspilze schliefen im Schnitt um 55 Minuten länger und schnitten in allen Fächern besser ab als ihre müderen Kameraden.

Eine Auswertung von 38 ähnlichen Untersuchungen bestätigt die Leistungssteigerung durch späteren Schulbeginn. "Wir haben erlebt, dass viele Kinder morgens aus dem Schulbus springen und bereit sind, in den Tag zu starten", berichtet eine Australische Lehrerin, die bei einem Experiment mit späteren Beginnzeiten teilnahm.

Breite EU-Debatte

Bei der kommenden Debatte zur Zeitumstellung in der EU dürften die Forschungsergebnisse helfen, verschiedene Interessen abzuwägen. Dass von Cádiz bis Warschau die gleiche Zeitzone gilt, führt so wie in Teilen Chinas oder Indiens dazu, dass der Sonnenaufgang um eine Stunde verschoben ist.

Um die Leistungsfähigkeit der Bürger und vor allem der Jugend zu berücksichtigen, könnten gleichzeitig die Zugehörigkeit zur Zeitzone, eine Abschaffung der Sommer- oder Winterzeit sowie der offiziell vorgegebene Tagesrhythmus erwogen werden. Die Zeit drängt nicht, die Politiker können noch viele Tage darüber schlafen. Die Plenarsitzungen im Nationalrat starten in der Regel übrigens um 9.00 Uhr.