Auf den ersten Blick wirkt der "Ionenwind"-Flieger wie ein herkömmliches Segelflugzeug.

Illustr.: Steve Barrett/MIT

Ein paar Drähte, eine Batterie und ein Konverter reichten als Antriebsaggregat aus, um einen Prototypen 60 Meter weit durch eine Sporthalle fliegen zu lassen.

Fotos: MIT/Steven Barrett

Am 17. Dezember 1903 hoben die Brüder Wilbur und Orville Wright in Kitty Hawk, North Carolina, zu ihrem ersten Flug mit einem motorisierten Flugzeug ab. Ob dies auch der erste Motorflug der Geschichte war, ist zwar noch immer umstritten. Fest steht allerdings, dass die zwölf Sekunden dauernde und 37 Meter weite "Reise" die Zukunft der Luftfahrt nachhaltig verändert hat: Seit diesen Pioniertagen werden Flugzeuge mithilfe von Propellern und, seit den 1930er-Jahren, auch mit Turbinenstrahl- und Raketentriebwerken durch die Luft befördert.

All diese Motoren haben eines gemeinsam: Sie kommen nicht ohne das Zusammenspiel zahlreicher Komponenten aus und verursachen dabei in der Regel auch viel Lärm und Abgase. Nun aber haben Wissenschafter vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge bei Boston den Prototyp eines Fluggeräts konstruiert, dessen Antrieb gänzlich ohne bewegliche Teile auskommt. Anstelle einer Turbine oder eines Propellers sorgte ein "Ionenwind", also ein geräuschloser, aber kräftiger Fluss geladener Teilchen, der an Bord des Modellfliegers erzeugt wird, beim erfolgreichen Testflug über eine größere Distanz für den nötigen Schub.

Video: Wie der Ionenantrieb funktioniert.
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"Unser Konzept eröffnet neue Möglichkeiten für künftige Luftfahrzeuge, die leiser und mechanisch simpler aufgebaut sind als bisherige Varianten und dabei keine Abgase ausstoßen", sagt Steven Barrett vom Department of Aeronautics and Astronautics des MIT. Als Inspiration für den Ionenantrieb fungierte unter anderem die TV-Serie "Star Trek", für die sich Barrett seit seiner Kindheit begeistert. Insbesondere die futuristischen Shuttles, die scheinbar mühelos durch die Luft schwebten, hatten es ihm angetan.

Erstflug in der Sporthalle

Was sich nun in einer Sporthalle des MIT in die Lüfte erhob, hat freilich nur wenig zu tun mit dieser Zukunftsvision: Der knapp 2,5 Kilogramm schwere Flieger mit einer Spannweite von fünf Metern gleicht äußerlich eher den ersten Entwürfen der Gebrüder Wright und sollte vorerst auch nur die prinzipielle Umsetzbarkeit des Ionenwind-Antriebs beweisen. Die im Fachjournal "Nature" vorgestellte Konstruktion besteht aus Drähten, die längs der Vorderkanten kleiner Tragflächen angebracht sind und als positiv geladene Elektroden fungieren. An der Hinterseite dieser Flügel verlaufen ähnliche, negativ geladene Drähte.

Video: Der erste geglückte Flug des Prototyps.
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Im Rumpf wurden Lithium-Polymer-Batterien sowie ein Konverter verbaut, die an die Drähte eine Spannung von 40.000 Volt legten. Sobald die Elektroden unter Strom stehen, entziehen sie an der Front der umgebenden Luft negativ geladene Elektronen. Die auf diese Art ionisierten Luftmoleküle werden von den negativ geladenen Drähten an der Flügelrückseite angezogen. Dabei erzeugen sie durch millionenfache Kollisionen mit anderen Luftteilchen einen überraschend starken Schub, genug jedenfalls, um das Flugzeug rund 60 Meter über den Boden dahingleiten zu lassen. Insgesamt zehnmal wurde der Flieger durch die Halle geschickt, jedes Mal mit demselben Erfolg.

Drohnen und Hybridflieger

"Das war die einfachste Variante eines Flugzeugs, das die Funktionstüchtigkeit unseres Ionen-Konzepts beweisen kann", räumt Barrett ein. Für ein Fluggerät, das eine nützliche Aufgabe erfüllt, müsste der Antrieb vor allem effizienter werden, so der Forscher. Doch daran arbeitet sein Team bereits. Barrett und seine Kollegen sind optimistisch, dass der Ionenwind-Antrieb schon bald etwa bei neuartigen lautlosen Drohnen zum Einsatz kommen könnte. Etwas weiter in der Zukunft sehen die Wissenschafter Passagier- oder Frachtflugzeuge mit Hybridtriebwerken, die mit einem Bruchteil des Treibstoffverbrauchs heutiger Maschinen auskommen würden. (Thomas Bergmayr, 21.11.2018)