Amazons erster Berliner Store steht am Kurfürstendamm

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Wenn es ein Warenwelt-Weihnachtsdorf geben sollte, dann könnte es tatsächlich in diesem so aussehen wie in Berlin, am Kurfürstendamm Nummer 26. Nicht alles, aber sehr vieles, was das Konsumentenherz begehrt, liegt dort dicht nebeneinander: Smartphones neben Uhren neben Kaffeemaschinen neben Pocketdruckern neben Schokoriegeln neben Make-up neben Legoautos. Insgesamt sind 500 Marken vertreten.

"Ich bin im Paradies, gleich gerate ich in Kaufrausch", sagt eine junge Frau – allerdings mit einiger Ironie in der Stimme. Obwohl: Kaufen darf sie, wie alle anderen Kundinnen und Kunden, hier ohnehin nicht. Es gilt das Motto: nur gucken, gern auch anfassen, aber nichts mitnehmen, auch nicht gegen Bezahlung.

"Kunden können hier das Internet von innen sehen.

Denn der Pop-up-Store "Home of Christmas" von Amazon ist kein Warenhaus, wenngleich er auf den ersten Blick so wirkt. "Kunden können hier das Internet von innen sehen", sagt Amazon-Sprecherin Christine Maukel. Ein Bruchteil von dem, was man beim Onlineriesen ansonsten im Internet bestellen kann, steht nun real auf diversen Tischen und in Regalen herum, alles flankiert von Beratern der jeweiligen Marken, die gerne Auskunft geben.

"Kennen Sie schon unseren neuen Pocketdrucker?", fragt Wolfgang Hüttner, der im Auftrag von HP tätig ist. Er zeigt alle Modelle, erklärt, wie's geht, und weist dann auch noch auf einen Aufkleber hin, der ohnehin nicht zu übersehen ist. "Scan me", steht drauf. Wer der Aufforderung nachkommt, hat gleich den QR-Code für die Bestellung bei Amazon parat.

Amazons Pop-Up-Store ist nur für kurze Zeit offen
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"Beratungsdiebstahl" im Laden

Das klingt gut, aber wer zu einem der großen Elektronikhändler geht und dort kauft, der könnte das Produkt gleich mit nach Hause nehmen. "Stimmt", sagt Hüttner, "aber das tun ja nicht alle." Seiner Ansicht nach findet im Einzelhandel oft das statt, was er "Beratungsdiebstahl" nennt: Potenzielle Kunden kommen, wollen Informationen und bestellen dann doch lieber online.

"Das hier ist ehrlicher", meint er. "Man wird von Leuten beraten, die sich gerne die Zeit nehmen." Im Laden hätten die Beschäftigten ohnehin so viel anderes zu tun: Waren auspacken, einsortieren – für das Gespräch mit der Kundschaft bleibe in vielen Fällen zu wenig Zeit.

Es gehe auch nicht bloß ums Einkaufen, erklärt Amazon-Sprecherin Maukel: "Wir wollen den Kunden das gemeinsame Erlebnis bieten." Also präsentiert Nespresso mit seiner neuesten Maschine Kaffee, dazu gibt es gleich einen Workshop. Auch Lebkuchenhäuser werden gebacken, Äpfel glasiert, daneben laufen via Prime Video die Weihnachtsfilme. Wer ein "Weihnachts-Make-up" braucht, nimmt am Schminktisch Platz. Und daneben steht praktischerweise wieder unübersehbar: "Scan me!"

Erste Stores weltweit

In Spanien, Frankreich und, den USA und Italien gibt es solche Stores schon. Jener in Berlin – der erste in Deutschland – existiert nur wenige Tage, dann wird er wieder schließen. Ob Amazon daraus eines Tages eine dauerhafte Einrichtung macht, ist derzeit noch offen.

"Wir beobachten seit einiger Zeit den Trend zur Multi- und Cross-Channel-Strategie", sagt Stefan Hertel vom Deutschen Einzelhandelsverband, "Händler versuchen beides zu verbinden: den Verkauf im Laden und online." Davon, dass in Deutschland der Onlinehandel boomt, profitiert vor allem Amazon, dessen deutsche Website 1998 an den Start ging. Der US-Konzern beherrscht laut einer Studie des Handelsverbands Deutschland (HDE) inzwischen fast die Hälfte des deutschen Onlinehandels. 2017 entfielen 46 Prozent der E-Commerce-Umsätze in der Bundesrepublik auf die deutsche Tochter.

Im Store kann man Dinge ausprobieren, aber nicht kaufen
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Virtueller Marktplatz wächst

Für 2018 erwartet die Branche ein weiteres Umsatzplus im Online-Handel um zehn Prozent auf insgesamt 53,6 Milliarden Euro. Wachsende Bedeutung hat der "Amazon Marketplace", der virtuelle Marktplatz des Unternehmens, auf dem auch andere Händler ihre Produkte verkaufen können. 2017 wurden hier 25 Prozent aller Umsätze im deutschen Onlinehandel erzielt. "Online-Marktplätze sind Top-Vertriebswege für den stationären Einzelhandel. Gerade für den Mittelstand bietet das große Chancen", sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des deutschen Einzelhandelsverbands, Stephan Tromp.

Daher legt Amazon auch Wert darauf, dass im Pop-up-Store nicht bloß Marken angeboten werden, die man auf der ganzen Welt kennt, sondern auch Weihnachtsdekoration und Papierkunst von regionalen Herstellern.

"Ich bin ein bisschen überfordert", sagt eine 60-Jährige, die gerade eine Espressomaschine begutachtet. "Wenn ich mich entschieden habe, dann will ich es doch gleich mit nach Hause nehmen." Jüngere Frauen hingegen finden das Konzept gut und meinen, man könnte es überhaupt auf alle Warenhäuser übertragen: "Alles im Showroom ausprobieren, bestellen, dann wird es dir bequem in die Wohnung geliefert, das hat doch was", meint eine.

Schoko zum Scannen

Auf einem Regal stehen Schokokugeln, und erst denkt man, das könnte Dekoration sein. Aber natürlich: "Scan me!" Hier komme wohl das Konzept etwas an seine Grenzen, sagt einer, der nicht weit davon Elektronik anbietet. Extra wegen der Kugeln werde wohl niemand kommen. Andererseits: Wenn die Schokolade schon mal da ist ...

"Das ist eben die Macht von Amazon", sagt er. "Wenn der Riese ruft, wollen alle dabei sein." Dass diese Art von Store die Zukunft sein soll, sieht er nicht unbedingt. Denn wer kaufen wolle, könne auch beim Händler vor Ort auf kompetenter Beratung bestehen "Das hier", meint er, "ist viel Marketing ein paar Wochen vor Weihnachten." (Birgit Baumann, 26.11.2018)