Eine Awareness-Kampagne in Kiew: Luftballons über der Unabhängigkeitssäule. Die Zahl der Neuinfektionen ist in Russland und der Ukraine am höchsten.

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Gerold Felician Lang ist Dermatologe und arbeitet an der HIV-Ambulanz des AKH in Wien.

Wer Sex haben will, denkt nicht immer nach. Vor allem nicht außerhalb einer fixen Beziehung, wenn sich die Dinge spontan entwickeln und man den Sexualpartner kaum kennt. Im Jahr 2017 haben sich in Österreich insgesamt 510 Menschen neu mit HIV angesteckt, viele von ihnen hatten bei der Diagnose bereits ein stark angegriffenes Immunsystem – ein Zeichen, dass die Infektion schon relativ lange bestand.

"Gefährlich ist immer das Unkontrollierte", sagt HIV-Spezialist Gerold Felician Lang von der HIV-Ambulanz am AKH Wien und meint damit die Ansteckungsgefahr, die von HIV-positiven Personen ausgeht. Mit fast 160.000 HIV-Neuinfektionen hat man laut WHO-Statistik im Jahre 2017 sogar einen Höchststand erreicht. Der überwiegende Teil davon wurde übrigens in Russland und der Ukraine registriert, dort ist HIV ein Tabuthema und verbreitet sich dadurch bestens.

Symptome der akuten Infektion

"Eine HIV-Infektion ab 14 Tage nach der Infektion macht Symptome, die entweder der Betroffene selbst oder auch der Allgemeinmediziner bemerken könnte", so Lang und beschreibt den Zustand als "grippeähnlich", der sich durch Halsschmerzen, Fieber, geschwollene Lymphknoten und manchmal auch einen Hautausschlag äußert. Wenn es um die HIV-Tests geht, gilt es auch die Biologie des Virus zu verstehen, so Lang. Nach einer Infektion braucht das HI-Virus etwa 48 Stunden, um in die Körperzellen einzudringen. "Für alle, die einen tatsächlichen Hochrisikokontakt hatten, ist deshalb die sofortige Postexpositionsprophylaxe (PEP) die beste Option", so Lang. Sie blockiert die Virenvermehrung.

Nach 72 Stunden stellt sich die Situation anders dar. Das HI-Virus hat sich in die körpereigenen Zellen eingeschleust und vermehrt sich explosionsartig. Vier bis sieben Tage nach einer Infektion sind diese Menschen hochinfektiös und stellen eine große Gefahr für andere dar. Das Hauptproblem bei den HIV-Tests sei, die zeitliche Abfolge der Virusentwicklung zu verstehen. In den ersten Tagen nach einer Infektion kann nur ein PCR-Test die Erbsubstanz des Virus detektieren. Doch Zugang zu PCR-Tests gibt es nur in Speziallabors, es ist keine Routine-Untersuchung.

Richtigen Test wählen

Nachdem sich das Virus in den ersten Tagen vermehrt und im Körper verbreitet hat, setzt es ein Antigen frei, das man sieben bis zehn Tage nach der Ansteckung detektieren kann. Antigen heißt: Das Immunsystem kann nun den Eindringling erkennen und auf dieser Basis Antikörper ausbilden. Der seit Juli in den Apotheken vertriebene Selbsttest spürt aber nicht das Antigen, sondern nur die Antikörper auf. Das Problem: Bis das Immunsystem solche Antikörper bildet, können zumindest zwei bis vier Wochen, teils sogar drei Monate vergehen, das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. "Jeder HIV-Test ist gut, doch es kommt auf den korrekten Zeitpunkt an", so Lang.

Was er meint: Hat man den Verdacht einer Infektion, kann dies durch einen kombinierten Antigen/Antikörper-Elisa-Test (wird in Labors, Kliniken oder der Aidshilfe eingesetzt) nach vier Wochen, durch den Selbsttest erst nach drei Monaten verlässlich festgestellt oder ausgeschlossen werden. Hat man sich infiziert, ist man aber genau in dieser Wartezeit hochinfektiös.

Für Menschen, die oft und mit vielen und manchmal unbekannten Partnern Sex haben, ist die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) deshalb der beste Schutz. Es ist die vorbeugende Einnahme eines HIV-Medikaments, das HIV-Negative vor einer Infektion bewahrt. "Es ist nicht nur eine Tablette, sondern ein komplexes Präventionsprogramm", sagt Wolfgang Wilhelm von der Aids-Hilfe Wien, der es sogar für sinnvoll hält, PrEP in Hochrisikogruppen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

HIV in Griff haben

Die gute Nachricht für HIV-Positive in Therapie: Die Medikamente blockieren die Virenvermehrung so effizient, dass sie nicht nur nicht mehr nachweisbar ist, sondern die HIV-Positiven auch tatsächlich nicht ansteckend sind – auch wenn sie ungeschützten Geschlechtsverkehr haben – das konnte in den Partner-1-&-2-Studien bewiesen werden. "Undetectable Equals Untransmittable" ist deshalb eine weltweite Kampagne mit dem Ziel, HIV-Positive von einem 40 Jahre alten Stigma zu befreien. Die zweite Massage: sich mit allen Mitteln gegen eine Infektion wappnen – nicht durch Enthaltsamkeit, sondern mit Kondomen, PrEP, PEP und HIV-Tests.

Denn bis zu einer Heilung wird es noch dauern. Es gibt experimentelle Ansätze, die sich auf die Reservoirzellen von HIV im Körper fokussieren" , sagt Alexander Zoufaly, HIV-Arzt am Sozialmedizinischen Zentrum Süd in Wien, und beschreibt den sogenannten Shock-and-kill-Ansatz, der einstweilen allerdings erst im Tierversuchsstadium ist. Die Idee der Pharmafirma Gilead: Das HI-Virus versteckt sich im Körper und ist auch dann präsent, wenn man es nicht nachweisbar ist. Die neue Therapie lockt diese versteckten HIV-Schläferzelle mit einer neuen Substanz aus der Reserve, ein zweiter Wirkstoff killt sie. "Wenn das funktioniert, dann brauchten die Patienten tatsächlich keine Medikamente mehr einzunehmen, das wünschen sich vor allem jene, die seit vielen Jahren täglich Tabletten nehmen", so Zoufaly.

Auf lange Sicht

Eine bislang noch ungeklärte Frage ist, bei welchen Patienten diese Shock-and-kill-Strategie sinnvoll wäre. Was man aus der HIV-Grundlagenforschung weiß: Je kürzer der Abstand zwischen Infektion und Therapiebeginn, umso aussichtsreicher scheint dieses neue Behandlungsprinzip zu sein. "Wir wissen, wie wichtig der frühe Therapiebeginn nach einer Infektion für die Langzeitgesundheit ist", betont auch Lang vom AKH. Und das ist deshalb wichtig, weil früh therapierte HIV-Positive eine Lebenserwartung wie Nichtinfizierte haben. (Karin Pollack, 1.12.2018)