Frage:

"Ich komme mir jedes Jahr schlechter vor, wenn ich meinem Kind sage, dass das Christkind kommt. Als meine Tochter noch kleiner war, habe ich gar nicht darüber nachgedacht. Aber jetzt ist sie sechs Jahre alt und fragt dauernd nach, ob es das Christkind wirklich gibt. Ich komme mir dann vor wie eine Lügnerin. Denn sie vertraut mir, und ich sage nicht die Wahrheit.

Bald kommt das Christkind. Oder ist das nicht so sicher?
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Ich habe den Eindruck, dass sie einerseits noch gerne daran glaubt, andererseits überhaupt nicht mehr sicher ist, ob es das Christkind wirklich gibt. Was soll ich tun?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Wenn Sie sich dazu entschieden haben, Ihrem Kind vom Christkind zu erzählen, dann haben Sie es eingebunden in eine kulturelle Tradition, die aus Geschichten besteht, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Und genau an diesem Punkt können Sie ansetzen und Ihrem Kind eben das erklären, dass es Geschichten gibt, die die Menschen erfinden und die sie einander weitererzählen. Die Geschichte selbst existiert und ist damit Realität, auch wenn die darin enthaltenen Details nicht real sind.

Die Frage, die dahintersteht, ist allerdings, warum Sie Ihrem Kind vom Christkind erzählen. Weil alle es so machen, weil es eine liebe Tradition ist oder weil Sie Ihr Kind damit in den christlichen Glauben hineinerziehen wollen? An dieser Stelle wird das Thema persönlich. Denn es stellt sich die Frage, ob es fern aller Polemik heute noch zeitgemäß ist, wenn wir abseits der moralischen Werte die christliche Tradition am Leben erhalten und als "Wahrheit" an Kinder weitergeben. Ich weiß, über Glauben kann man nicht diskutieren. Und ich weiß auch, dass Kinder erst einmal übernehmen, was wir ihnen von klein auf beibringen.

Ich persönlich lehne die Weitergabe von Traumen als Mittel der Erziehung in jeder Form ab. Moralischen Druck durch das unwillkürliche Mitleid mit schwer Traumatisierten auszuüben halte ich für falsch. Doch genau das ist Teil der christlichen Tradition. Die Verheißung vom ewigen Leben ist geknüpft an grauenhafte Leidensgeschichten. Das Symbol der christlichen Kirche, der gekreuzigte Christus, ist ein schwer Traumatisierter. Ebenso sind es die zahllosen Märtyrer. Sind das die Vorbilder, die wir unseren Kindern auf dem Weg in ihr Leben mitgeben wollen? (Hans-Otto Thomashoff, 16.12.2018)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Günther Brandstetter:

Zu meiner Tochter kommt das Christkind. Wir haben uns bewusst dafür entschieden. Die Vierjährige lebt in ihrer magischen Welt und fühlt sich wohl darin. In ihrer kindlichen Vorstellung ist alles möglich, warum sollten wir diese Welt beschädigen? Unser Christkind ist lieb, fordert nichts, bringt am Weihnachtsabend ein kleines Packerl und fliegt wieder davon – nach Salzburg und Linz, dort wo Oma und Opa wohnen. Ein weiteres Argument: Alle ihre Freunde im Kindergarten glauben auch an den Weihnachtszauber.

Bei meinem Sohn war das anders. Damals dachte ich, sein Kind anzulügen sei unmoralisch. Deshalb erzählten wir ihm, dass Mama und Papa die Geschenke kaufen und unter den Baum legen. Nikolaus und Osterhase wurden gleich mitentsorgt. 1995 war das. Mit unserer Meinung waren wir nicht allein. Für die meisten studentischen Eltern war die weihnachtliche Mär ebenfalls ein absolutes No-Go. Wir fühlten uns gut, aufklärerisch, nach dem Credo: "Wir nehmen unsere Kinder ernst, begegnen ihnen auf Augenhöhe. Sie werden uns dankbar dafür sein." Weit gefehlt: Kürzlich, an seinem 26. Geburtstag, sagte er zu mir: "Schade, dass zu mir nie das Christkind kam. Auch Nikolaus und den Osterhasen habt ihr mir genommen." Er lächelte mich zwar an, aber im Grunde meinte er es ernst.

Heute bin ich überzeugt: Der Glaube ans Christkind ist nicht verwerflich, sondern Teil einer gesunden geistigen Entwicklung. Spätestens in zwei, drei Jahren ist die magische Phase ohnehin vorbei. Dann hat das Gehirn einen weiteren Schritt gemacht, kann sich in andere hineinversetzen und die Perspektive wechseln. Sollte die Tochter dann fragen, ob das Christkind nur Lug und Trug ist, werden wir das Geheimnis lüften. Vielleicht ist sie dann sogar stolz, dass sie nun zu den Großen gehört. (Günther Brandstetter, 16.12.2018)

Günther Brandstetter ist Gesundheitsredakteur bei DER STANDARD und hat einen erwachsenen Sohn und eine Tochter im Kleinkindalter.
Foto: Matthias Cremer

Antwort von Katharina Weiner:

Ich denke, es ist Zeit für die Wahrheit. Ihre persönliche Wahrheit. Bestimmt war ein besonderer Gedanke damit verbunden, Ihrer Tochter das Christkind Ihrer Weihnachtstradition entsprechend vorzustellen. Das ist völlig okay und Teil Ihrer Familiengeschichte. Sobald Kinder größer werden und die Unterhaltungen im Kindergarten oft von aktuellen Themen wie Weihnachten oder auch Ostern, Geburt von Geschwistern, Tod von Verwandten handeln, können Sie der allgemeinen und manchmal auch irritierenden "Aufklärung" durch andere zuvorkommen.

Vielleicht erzählen Sie bei einer Tasse Kakao und Keksen Ihrer Tochter, wie Sie Weihnachten erlebt haben, was Ihnen gefallen hat, ob Sie aufgeregt waren und warum Sie sich als Mama für ein Christkind entschieden haben. Die meisten Kinder zeigen überhaupt kein Problem mit dieser Wahrheit und behalten auch gerne weiterhin den Christkind-Brauch bei, so sie diesen als positiv und ohne "Du musst brav sein"-Druck sowie Erwartungshaltung seitens der Eltern erfahren haben.

Denn wurde das Christkind für verhaltensregulatorische Zwecke entfremdet, so bedarf es eines Überdenkens, was wir uns für Weihnachten als Familie wünschen: an Bedingungen geknüpfte Geschenke oder eine freudvolle Zeit? (Katharina Weiner, 16.12.2018)

Katharina Weiner ist Familienberaterin, Coach und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore