Populisten sprechen unsere innersten Ängste an – vor Fremden und Andersdenkenden und Veränderungen, vor Abstieg, Wandel und Verlust.

Illustration: Felix Grütsch

Populisten sind einsame Zukunftsparanoiker. Sie sprechen unsere innersten Ängste an – vor Fremden und Andersdenkenden und Veränderungen, vor Abstieg, Wandel und Verlust. Es ist ein Irrtum zu glauben, der rechte (oder linke) Populismus würde verschwinden, wenn "nur" die Fremden erst einmal das Land verlassen haben oder wir würden "mehr" Rente, Lohn und alle Arbeit haben. Ein "Populismus der Mitte" wird den rechten Populismus ebenso wenig besiegen wie ein "linker Populismus".

Populisten sind Reaktionäre, die sich nach einer intakten Welt eines eingebildeten goldenen Zeitalters zurücksehnen – so beschreibt es Mark Lilla in seinem Buch "Der Glanz der Vergangenheit". Sie kämpfen gegen humanen Fortschritt und Aufklärung. Sie sind Fundamentalisten wie Al-Kaida oder dogmatische Sekten. Sie mögen keine "Nazis" sein, aber Radikale im Geiste eines regressiven Gesellschaftsmodells. Zur Zukunft wollen sie rein gar nichts beitragen. Der Populismus ist ein kulturelles und mentales Phänomen. Seine Zukunft entscheidet sich daher in unseren Köpfen. Aber es gibt einen Trick der Geschichte: Wider seine Intention kann der Populismus dazu beitragen, dass die Zukunft besser wird.

· These 1: Populismus wird überschätzt. Mit Donald Trump begann sein Siegeszug. Die Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten in Brasilien Ende Oktober 2018 markiert den Höhepunkt des neuen globalen Populismus. In Europa wächst der Widerstand. In vielen europäischen Ländern hat der neue autoritäre Populismus bereits seinen Zenit überschritten – wir haben es nur noch nicht gemerkt. Der britische "Economist" spricht bereits von "Peak Populism". In zehn von 13 Ländern verlieren populistische Rechtsparteien. Der Populismus ist eine Erscheinung, die kommt und geht. Die eigentliche Herausforderung ist die Komplexität der Politik. Damit moderne Politik, Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren können, braucht es Störungen von außen. Herausforderungen, an denen komplexe Gesellschaftsordnungen sich weiterentwickeln können.

· These 2: Populisten sind wichtige Störer für eine bessere Zukunft. Auch weil sie auf die Konflikte hinweisen, sie überzeichnen und skandalisieren, sind Populisten wichtige Störer für eine bessere Zukunft. Noch nie wurde über Integration und Zusammenhalt so gestritten wie heute. Bis 2015, dem Jahr der Willkommenskultur, als hunderttausende neue Geflüchtete nach Österreich kamen, war Integration nur ein Thema für Minderheiten und Fachleute. Heute spricht das ganze Land darüber, wer bleiben soll und wie Integration besser gelingt. Und das funktioniert viel besser, als wir glauben.

· These 3: Populismus führt zu einer Politik der Heimat und der Glokalisierung. Der Populismus ist eine Antwort auf den Megatrend der Globalisierung und des mit ihm verbundenen Gefühls von Heimatverlust. Er setzt auf Renationalisierung, Abschottung und Protektionismus. Aber damit schafft er eine Zukunftsvision, der nur eine Minderheit von Menschen folgen will und kann. Die Mehrheit denkt und fühlt längst in Geboten der Offenheit und Toleranz – sie will heimatlich leben, aber reisen, internationale Küche genießen, interessante Menschen treffen. Die Wirtschaft braucht Zuzug und Diversität. Die Köpfe und Seelen brauchen Anregung von außen.

· These 4: Populismus führt zu einem Anstieg der Bevölkerungszahlen. "Deutschland schafft sich ab": In dem Bestseller aus dem Jahr 2010 prognostiziert der Autor Thilo Sarrazin einen Bevölkerungsrückgang in Deutschland auf 25 Millionen im Jahr 2100. Als Problemverursacher nennt er Migranten. Das Denken in linearen Entwicklungen zählt zu den zentralen populistischen Irrtümern. Die Geburtenraten sind zuletzt gestiegen, auch in Österreich. Je offener und fairer eine Gesellschaft ist, desto mehr Kinder und Staatsbürger hat sie. Auch die Zahl der Einbürgerungen steigt seit Jahren. Damit fällt auch jene "Überalterung" aus, auf die Populisten als Lebensgefühl von Verbitterung setzen. Die Gesellschaft wird durch Zuwanderung wieder jünger – und dadurch weniger altersgrantig.

· These 5: Der rechte Populismus wird die Gesellschaft weiter nach links verschieben. Die türkis-blaue Koalition ist eine Regierung der sozialen Wohltaten und Investitionen. So viel Geld für Rente, Kinder und Familien hat noch keine Koalition vor ihr ausgegeben. Der rechte Populismus verschiebt die österreichische Gesellschaft weiter nach links.

· These 6: Der autoritäre Populismus führt zu Neuropa. Denken wir an Goethes Faust: an jene Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft. Populismus ist eine Chance für Europa. Trump hat nicht zu weniger, sondern zu mehr Europa geführt. Die Zustimmung zu Europa steigt wieder. Bei den globalen Zukunftsfragen Klimaschutz, Afrika, Migration und Digitalisierung gibt es mehr Kooperation als je zuvor. Je länger Trump an der Macht bleibt, desto besser für Europa. Der autoritäre und illiberale Populismus führt zu einer Stärkung der "europäischen Souveränität" (Macron). Erfolgreiche Parteien kämpfen für ein besseres Europa: ein Neuropa, das allen Bürgern nützt und sie schützt vor der Allmacht des Marktes und des Staates.

· These 7: Der Populismus führt zu einer bürgernahen Demokratie und zu einer neopolitischen Bewegung. Fragt man die Bürger heute, was sie am meisten im politischen Diskurs vermissen, sagen sie oft: Konstruktivität. Eine Mehrheit hat inzwischen die ewige Zuspitzung und Polarisierung satt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass es nicht mehr um die Lösungen geht, sondern nur noch um die Ausbeutung der Probleme, dass die Medien nur noch Negativität und Alarmismus verbreiten. Sie sehnen sich nach mehr Optimismus und nach charismatischen Persönlichkeiten, die Widersprüche versöhnen und die Energien nach vorn lenken. Die Neopolitiker haben den Kampf gegen die rechten und linken Reaktionäre aufgenommen und setzen auf eine Politik des wechselseitigen Commitments und Gehörtwerdens. Neopolitiker verkörpern einen unternehmerischen Politikertyp. Bürger sind für sie keine Kunden, sondern Partner. Demokratie ist für sie mehr als wählen. Sie wissen, dass Demokratie zu mehr Optionen und Freiheiten für alle Bürger führen muss.

Es geht gar nicht um "den" Populismus. Es geht um uns. Der Populismus hält uns den Spiegel vor. Das Schüren von Unsicherheit und Ängsten ist sein Überlebenselixier. Er will uns die Hoffnung nehmen, dass etwas besser werden kann. Dabei wird vieles besser, was in den Medien als "Katastrophe" beklagt wird. Die Menschen werden älter und leben gesünder. Sogar die Kriminalität geht so stark zurück wie seit 25 Jahren nicht.

Der Populismus setzt an unserem inneren Misstrauen gegenüber dem Fortschritt an. Er will uns den realen Fortschritt als Fake-News verkaufen. In die Depression treiben, was die Perspektiven moderner Gesellschaft betrifft. Aber damit entstehen neue Immunreaktionen. Resilienzen. Vertreiben wir den Populismus aus unseren Köpfen – auch indem wir die Angst vor ihm verlieren! Streiten wir für eine Haltung der Gelassenheit, der Hoffnung und der Zuversicht. (Daniel Dettling, 21.12.2018)