Der Wiener Komponist Alexander Kukelka hat es sich in einem abgewohnten Refugium mit knarrenden Böden und quietschenden Türen gemütlich gemacht. Die archaische "Bodenhaftung", wie er meint, hilft ihm dabei, nicht davonzufliegen.

"Wenn ich ins Taxi einsteige, bitte ich den Fahrer immer, das Radio abzuschalten. Der Umgebungslärm in unserer Welt wird immer lauter und omnipräsenter. Die Gesellschaft hat offenbar etwas dagegen, sich in Kontemplation und redundanter Verweildauer zu üben. Diese Wohnung jedoch ist glücklicherweise eine Insel der Stille, auf der ich mich entfalten und wo ich mich meiner ganz eigenen, inneren Musik hingeben kann.

"Ich höre meinen Atem, meinen Puls, meinen Herzschlag. Diese Wohnung ist für einen Komponisten wahrlich ein Segen!" Alexander Kukelka in seinem Wohnzimmer.
Foto: Lisi Specht

Wenn ich im Bett liege, höre ich meinen Atem, meinen Puls, meinen Herzschlag. Der Boden knarrt, die Türen quietschen, durch die Fenster dringt die Natur herein. Diese Wohnung hat, wenn man die Augen schließt, etwas zutiefst Archaisches.

Bei dieser Lage grenzt das, ehrlich gesagt, an ein kleines Wunder, denn ich wohne in der Lerchenfelder Straße, mitten in der dicht verbauten Gründerzeitstadt. Vorne fährt die Straßenbahn, doch im Hinterhaus hört man nur den Wind und das Vogelgezwitscher. Vor meinen Fenstern ist eine große Feuermauer mit Efeu und einem einsam stehenden Baum. Für einen Komponisten ist diese Wohnsituation wahrlich ein Segen! Das geht wahrscheinlich auch den anderen hier im Haus so, denn der damalige Hausverwalter wollte explizit nur Künstler haben. Über mir wohnt ein Bildhauer-Paar, unter mir ein Buchspezialist. Eine kleine, illustre Runde.

Fotos: Lisi Specht

Gefunden habe ich die Wohnung vor rund 25 Jahren über eine Agentur. Ich habe ganz bewusst nach einer rund 70 Quadratmeter großen Innenstadtwohnung gesucht, die ich zum alleinigen Wohnen und Komponieren nutzen kann, während sich die große Familienwohnung, in der auch meine Frau und unsere Tochter wohnen, etwas weiter draußen in Pötzleinsdorf befindet.

Ich mag die Trennung der unterschiedlichen Wohnqualitäten. Das war übrigens die allererste Wohnung, die ich besichtigt habe. Sie hat wunderbare Spuren, sie hat etwas Benütztes und Abgewohntes. Ich mag zwar das Wort Vintage nicht, aber ich mag es, wenn die Gegenstände, die uns umgeben, etwas von der Gravitation haben, in der wir leben. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht davonfliegen, sondern uns immer auch ein bisschen Bodenhaftung bewahren.

Fotos: Lisi Specht

Die Einrichtung, finde ich, kann dabei sehr behilflich sein. Der Wirtshaustisch, an dem ich sitze, hat schon etliche Kratzer und Schrammen. Wer weiß, vielleicht hat hier vor langer Zeit eine Wirtshausschlägerei stattgefunden? Wie heißt es so schön: ‚Durch das Schöne geht ein Riss.‘ In dieser Wohnung gibt es viele Risse.

Natürlich umgebe ich mich hier mit allerlei Instrumenten. Mein primäres Arbeitsgerät ist das Klavier. Außerdem habe ich ein E-Piano mit Kopfhörern, an dem ich sitze, wenn es mich nächtens überkommt, ein Harmonium, das einst in einer Aufbahrungshalle bei Fischamend stand und in dem bereits Mäuse hausten, ein altes, handgefertigtes Klavichord meines Vaters, das ganz ohne Nägel und Schrauben auskommt und das in gewisser Weise aus der Zeit gefallen ist, sowie ein kleines, knallrotes Janod-Toypiano mit 18 Tasten, das in meiner letzten Oper Einsatz fand und auf dem die Filmmusik von 'Die fabelhafte Welt der Amelie' komponiert wurde.

Fotos: Lisi Specht

Musik ist Architektur, so wie Architektur gefrorene Musik ist, wie schon Schopenhauer sagte. Aber für mich ist Musik ein alter, wuseliger Marktplatz, auf dem die unterschiedlichsten Menschen vom Dienstmädchen bis zum reichen Aristokraten flanieren. Musik ist ein Marktplatz mit Brüchen und tausenden Farben. Das lässt sich kaum in Worte fassen. Das sind Bilder und Gefühle. Und diese Bilder und Gefühle sind mein Zuhause." (7.1.2019)