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Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden wird mit dem Brexit zur EU-Außengrenze. "Das gefährdet die Offenheit der Grenze, die wir seit Abschluss des Abkommens genießen", sagt Deirdre Heenan.

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Deirdre Heenan ist Professorin für Politik an der University of Ulster im nordirischen Derry und berät den irischen Präsidenten Michael Higgins.

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STANDARD: Wird Irland bald wiedervereinigt?

Heenan: Das wurde vom Karfreitagsabkommen 1998 beantwortet: als Möglichkeit, wenn eine Mehrheit der Nordiren dies wünscht. Das Thema lag für die allermeisten Iren in weiter Zukunft. Der Brexit hat das verändert. Plötzlich steht dies am Horizont, man redet darüber. Das ist neu.

STANDARD: Inwiefern ist dies dem Brexit geschuldet?

Heenan: Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden wird zur EU-Außengrenze. Da die britische Regierung aus Binnenmarkt und Zollunion austreten will, muss es zukünftig wieder Zoll- und Grenzkontrollen geben. Das gefährdet die Offenheit der Grenze, die wir seit Abschluss des Abkommens genießen.

STANDARD: 56 Prozent der Nordiren wollten in der EU bleiben. Reicht das für eine Debatte über die Verankerung im Vereinigten Königreich?

Heenan: Es gibt viele andere Faktoren. Ich wuchs als Katholikin in Nordirland auf. Wie ich fühlen sich viele Katholiken in erster Linie als Iren, konnten sich aber auch mit der britischen Identität anfreunden. Es ist noch gar nicht lange her, da waren wir als britische Bürger der Republik im Süden um Lichtjahre voraus. In Irland gab es keine Trennung von Kirche und Staat; zudem korrupte Politiker, schlechte Straßen, kaum Wirtschaftsentwicklung. Das hat sich grundlegend verändert. Durch Referenden wurden die Ehe für alle und die Abtreibung unter bestimmten Bedingungen eingeführt. Das Durchschnittseinkommen ist höher als bei uns. Wir sehen ein Land, das mit sich im Reinen ist, kosmopolitisch, global aufgestellt. Wir aber wirken wie die vergessene Ecke eines längst vergangenen Empire.

STANDARD: Die Partei Sinn Féin redet schon vom Referendum über die Wiedervereinigung ...

Heenan: Jetzt schon von einer Abstimmung zu reden, halte ich für unverantwortlich. Wir haben durch den Brexit wirklich genug Unwägbarkeiten! Außerdem sollte Sinn Féin lieber konkret ausarbeiten, wie denn das Vereinigte Irland funktionieren würde.

STANDARD: Wie sieht die Stimmung in der irischen Republik aus?

Heenan: Dort gilt das als romantisches Ideal: Ein historisches Unrecht würde korrigiert. Deshalb sagen zwei Drittel in Umfragen dazu Ja. Aber wenn es dann um die praktischen Folgerungen geht ...

STANDARD: ... zum Beispiel die finanziellen, immerhin steckt London jährlich rund zehn Milliarden Pfund in die Region ...

Heenan: ... dann verändert sich die Einstellung schnell. Die Leute fragen: Was hätte das für Auswirkungen auf mich, meine Kinder? Wollen wir uns wirklich den Konflikt der Nordiren ins Land holen? Da sagen viele: Vielleicht lieber nicht.

STANDARD: Angeblich gehen aber Regierungsstellen in Dublin schon längst in aller Stille solchen Fragen nach.

Heenan: Es mag sein, dass darüber nachgedacht wird. Die Öffentlichkeit hört davon nichts. Das fände ich aber wichtig. Wir müssen Fragen klären wie: Welche Währung würden wir haben? Was würde aus dem Bildungssystem, wie sieht es mit der Gesundheitsversorgung aus? Ich glaube ja selbst, dass es noch ein langer Weg ist bis zur Wiedervereinigung. Aber wir müssen uns darauf vorbereiten. (Sebastian Borger, 3.1.2019)