Es sei eine "Spielwiese von Trollen und Neurotikern", urteilt der Verleger Christian W. Mucha im gemeinhin wenig zimperlichen Boulevardblatt Österreich über das STANDARD-Forum. Die "User-Horde", so Mucha, habe sich pietätlos über den Tod der ORF-Korrespondentin Eva Twaroch geäußert. Mit oe24.at-Chefredakteur Niki Fellner fordert er von der Regierung seit Tagen eine Klarnamenpflicht und harte Strafen gegen Hassposter und Onlineplattformen, die derlei zulassen.

Was tatsächlich geschah: Im genannten Fall wurde das zum Kondolenzbuch umgewandelte Forum von den Community-Managern des STANDARD besonders sorgfältig moderiert und waren die Postings von Anteilnahme geprägt. "Die wenigen Kommentare, die man als pietätlos empfinden könnte, wurden binnen weniger Minuten gelöscht", so Christian Burger, Head of Community.

Bis zu 40.000 Kommentare am Tag, übers Jahr rund 14,6 Millionen, werden auf DER STANDARD, dem größten Forum Österreichs, gepostet. Die meisten Nutzer diskutieren über das Thema des Tages, manche liefern zusätzliche Infos, korrigieren den Autor, helfen anderen Usern mit Rat (siehe Erfahrungsberichte unserer Community-Manager unten). Manche polemisieren und provozieren. Sie sind Trolle, nicht an Diskurs interessiert, sondern auf der Suche nach Streit. Dabei sind sie manchmal garstig, oft auch dumm. Einmal kurz schriftlich ausgekotzt, enter. Krawall stiften geht ganz schnell.

Krawall besänftigen, das ist hingegen echte Arbeit. Aber eine, die sich lohnt – wenn man offenen Diskurs als wichtigen Beitrag zur Demokratie betrachtet. Seit dem Start des Forums 1999 ist DER STANDARD permanent auf der Suche nach Verbesserungen und Innovationen, um Hasspostings zu minimieren und die Qualität der Diskussion zu verbessern.

Moderation hebt das Niveau

Damit weisen wir in Österreich die längste Erfahrung im Umgang mit einer riesigen Community auf – und der internationale Vergleich gibt uns recht: Die Anzahl anstößiger Postings ist dank empathischer Moderation auf ein absolutes Minimum reduziert.

13 Mitarbeiter kümmern sich beim STANDARD um Foren und Blogs. Sie stellen interessante User-Beiträge nach vorn und sortieren – unterstützt durch eine speziell entwickelte Software – unflätige Kommentare aus. 2018 lag die Löschquote bei fünf Prozent, die Moderatoren halten sich dabei an die Community-Richtlinien: Sind die Postings nicht rechtswidrig, wird versucht, die Diskussion durch Moderation in eine konstruktive Richtung zu drehen. Strafrechtliches wie gefährliche Drohungen wird auf Wunsch der Betroffenen zur Anzeige gebracht, Wiederbetätigung oder hetzerische Postings an die Meldestellen weitergegeben.

WISSEN – Klarnamen: Regierung erwägt Registrierung per Handy Im November 2018 diskutierte die Bundesregierung beim Anti-Gewalt-Gipfel über Maßnahmen gegen Hass im Netz, nun werden erste Pläne zum "digitalen Vermummungsverbot" der vom Medienministerium unter Gernot Blümel (ÖVP) eingesetzten Arbeitsgruppe bekannt. Als wahrscheinlich gilt derzeit die Einführung einer "Klarnamenpflicht light": Künftig müssten sich User auf Onlineplattformen mit Klarnamen, also Vor- und Nachnamen, registrieren, zusätzlich ihre Handynummer angeben und diese per SMS-Code verifizieren. Danach könnten Beiträge weiter unter Pseudonym verfasst werden. Experten wie die Autorin Ingrid Brodnig (Hass im Netz) sehen das kritisch: "Es stellt sich nicht nur die Frage, ob eine Klarnamenpflicht light überhaupt effektiv ist, sondern auch, ob sie verhältnismäßig ist. Identifizieren müssten sich dann nämlich alle Bürger – auch jene, die keine Hasskommentare schreiben. Das heißt, der Staat würde die Möglichkeit der anonymen Rede massiv eingrenzen, um eine kleine Zahl der Poster härter verfolgen zu können."

Derartige Moderation sei eine der wirksamsten Methoden, gegen Trolle vorzugehen, attestiert die Internet-Expertin und Autorin Ingrid Brodnig: "Es gibt kein Wundermittel gegen Hass im Netz, aber Moderation zeigt, welches Diskussionsniveau möglich ist. Das bedeutet auch, dass der Community verständlich gemacht wird, dass man Untergriffe nicht toleriert." Eine Fokussierung auf eine Klarnamenpflicht, wie sie von der Regierung in Erwägung gezogen wird, sieht sie nicht als probates Mittel.

Sie plädiert für einen Ausbau der Justiz, etwa auf Hasskommentare spezialisierte Staatsanwälte. Daniela Kraus, Chefin des Presseclubs Concordia, ortet den Handlungsbedarf eher bei großen Netzwerken wie Facebook: "Dort können wir täglich sehen, wie Menschen unter eigenem Namen völlig offen unglaubliche Gehässigkeiten posten. Da würden schon so simple Dinge wie erreichbare Ansprechpersonen und die Möglichkeit, strafrechtlich Relevantes rasch löschen zu lassen, helfen." Bedingungen, die beim STANDARD selbstverständlich sind. (Nana Siebert, 4.1.2019)

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Georg Mahr: "Jeder Einzelne ist gefragt, gegen Störenfriede und Unrecht aufzutreten"
Foto: Der Standard / Heribert Corn

"Wenn Trollalarm ist, dann informieren uns die User – und wir können reagieren. "

Georg Mahr

"'Georg, der Troll ist online, tu was!' Zwei Minuten später ist die Geschichte erledigt und ein Verhaltensauffälliger vor die Türe gesetzt. Der Mailverkehr ist kurz, eine Userin hat mir geschrieben. In einer funktionierenden Community kann man Einzelnen mehr Vertrauen und sogar Rechte einräumen. Unsere von Usern moderierten Formate stehen beispielhaft dafür. Es ist schön zu sehen, wenn sich User austauschen und mit neuen Infos versorgen. Ich bin sogar selbst dankbar: Seit Jahren muss ich dank der NFL-Community auf DER STANDARD die Spätschicht zur Super Bowl nicht mehr allein meistern. Alle User haben Nicknames, und hinter jedem verbirgt sich eine Geschichte. Manche verraten sie im Forum, per Mail oder Blogbeitrag und andere persönlich bei User-Treffen oder Besuchen in der Redaktion. Das Vertrauen in die Community ermöglicht, dass zum Teil auch ohne unser Zutun dieses Forum funktioniert. Denn wenn wieder Trollalarm ist, wird mir die Userin schreiben. Jeder Einzelne ist gefragt, gegen Störenfriede und Unrecht aufzutreten. Denn: Zivilcourage und Haltung sind wichtiger denn je. Auch online."

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Eva Niederwimmer: "Dass Gedanken, Meinungen und Privates so offen mitgeteilt werden können, ist nicht zuletzt der Anonymität in unseren Foren zu verdanken."
Foto: Der Standard / Heribert Corn

"Themen wie Depression oder Coming-out lassen sich anonym einfach offener besprechen."

Eva Niederwimmer

"In unserer Community wird nicht nur Politisches diskutiert, sondern auch sensible Themen wie Depression, Missbrauch und Coming-out, die in der Gesellschaft meist nicht angesprochen werden. Unsere Foren sind Orte, wo Menschen Wissen und Rat austauschen und wo Hilfe gesucht und oft gefunden wird. Viele User offenbaren hier Gedanken, die sie zuvor nicht einmal im Familien- oder Freundeskreis geäußert haben, aus Scham oder aus Angst, nicht verstanden zu werden. Postings zu lesen, in denen User von ihren schwer depressiven Partnern erzählen, die keine Hilfe möchten, nimmt einen schon mit – mich zumindest. Umso schöner ist es, wenn sich die User gegenseitig Mut machen, von Erfahrungen erzählen und Hilfe anbieten. Diesen Austausch empfinde ich als wahnsinnig wertvoll. Dass Gedanken, Meinungen und Privates so offen mitgeteilt werden können, ist nicht zuletzt der Anonymität in unseren Foren zu verdanken. Wer möchte schon unter Tausenden von Menschen unter seinem echten Namen höchst private Themen ansprechen? Ich würde das nicht wollen."

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Christian Eidherr: "Viele interaktive Onlineformate wären ohne die Community sowieso undenkbar."
Foto: Der Standard / Heribert Corn

"Dissens ist offenem Diskurs ebenso zuträglich wie ein gesundes Maß Schmäh. "

Christian Eidherr

"Wenn ich im Bekanntenkreis auf meinen Job angesprochen werde, fällt oft die Bemerkung: 'Du bist also der, der die Postings löscht.' Das stimmt nur bedingt. Ich betrachte die Community als einen Schatz, der den STANDARD bereichert. Damit konstruktive Beiträge der Community auch zur Geltung kommen, agiere ich in meiner Arbeit oft als Bindeglied zwischen Usern und Redakteuren. In Community-Reports an die Redaktion sammle ich Anregungen, spannende Diskussionen und auch Kritik. Diese Userbeiträge werden in Redaktionskonferenzen diskutiert und liefern wichtige Impulse für die Berichterstattung. Eine Selbstverständlichkeit für eine Tageszeitung, die sich als Diskursmedium versteht. Genauso wie Userchats mit Experten und Politikern. Viele interaktive Onlineformate wären ohne die Community sowieso undenkbar. Ich empfehle Ihnen einen Blick auf http://derStandard.at/User. Und klar: Natürlich gibt es manchmal hitzige Diskussionen zwischen den Usern und mir. Aber Dissens ist einem offenen Diskurs ebenso zuträglich wie ein gesundes Maß an Schmäh und Selbstironie. Wir lesen uns im Forum!"