US-Wissenschaftler können das Gehirn mittels elektronischer Felder von außen beeinflussen – und zielgenau auf den tief liegenden Hippocampus einwirken.

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Es ist in vielem eine Erfolgsgeschichte: Mit der tiefen Hirnstimulation haben Ärzte in den vergangenen Jahrzehnten weltweit Zehntausende von Menschen mit der Bewegungsstörung Parkinson behandelt. Doch das Verfahren hat seinen Preis. Es ist ein großer Eingriff in den Körper, also invasiv, wie Mediziner es nennen. Bei einer chirurgischen Operation müssen kleine Löcher in den Schädel gebohrt werden, um dünne Elektroden ins Gehirn einzusetzen. Über die Elektroden werden mittels eines Schrittmachers bestimmte Areale tief im Gehirn angeregt, um typische Parkinson-Symptome wie etwa das Zittern und die verlangsamten Bewegungen zu verbessern. Die Methode ist im Allgemeinen sicher, aber es kann zu Komplikationen wie zum Beispiel Infektionen oder Hirnblutungen kommen.

Forscher um Edward Boyden vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben eine neue Methode entwickelt, die sie im Fachblatt Cell vorgestellt haben. Sie ist nichtinvasiv und kann trotzdem tief ins Gehirn dringen. Boyden und seine Kollegen legten bei betäubten Mäusen an zwei Stellen des Schädels Elektroden an. Über die Elektroden visierten sie mit elektrischen Feldern den Hippocampus an. Er liegt unterhalb der Hirnrinde tief im Gehirn und ist für Lernen und Langzeiterinnerungen unerlässlich.

Elektrisches Feld anlegen

Die beiden Felder verfügten jeweils über eine hohe Frequenz, auf die Neuronen nicht reagieren. An der anvisierten Stelle im Hippocampus allerdings, wo sich die beiden Felder überschneiden, entstand ein Feld, eine Art Hülle von niedrigerer Frequenz.

Legten die Forscher etwa von der einen Seite ein elektrisches Feld von 2010 Hertz an und von der anderen eines von 2000 Hertz, erzeugten sie auf diesem Weg ein Feld mit zehn Hertz. Auf dieses Feld, so die Idee, sollten die Neuronen reagieren, indem sie feuern. Dadurch wird nur die Stelle tief im Gehirn aktiviert, die darüber liegenden Areale der Hirnrinde, die jeweils nur einem Feld ausgesetzt werden, hingegen nicht.

Um auf die Probe zu stellen, ob die Nervenzellen tatsächlich von der Stimulation aktiviert wurden, nutzten Boyden und seine Kollegen ein spezielles Gen, das angeschaltet wird, wenn Neuronen feuern. Tatsächlich fanden sie eine erhöhte Aktivität des Gens im anvisierten Hippocampus, aber nicht in den darüberliegenden Regionen der Hirnrinde. Offensichtlich war also nur der Hippocampus angeregt worden. Anschließend stellten sie die Sicherheit des Ansatzes auf die Probe. Sie wandten die Technik bei wachen Mäusen an und färbten das Gehirn ein – und zwar mit Antikörpern, die an Proteine binden, die von sterbenden Zellen produziert werden. Und die Wissenschafter registrierten auch die Temperatur des Gehirns: Weder fanden sie Hinweise auf eine Abnahme der Dichte von Nervenzellen noch auf eine anomal erhöhte Temperatur des Hirngewebes.

Durch den Schädel

Der neue Ansatz hat offenbar nicht nur Vorteile gegenüber der tiefen Hirnstimulation, sondern auch gegenüber anderen nichtinvasiven Methoden wie der transkraniellen Magnetstimulation oder auch der transkraniellen Gleichstromstimulation. "Mit diesen beiden Methoden kommt man von außen mit der Stimulation lediglich an oberflächlicher gelegene Hirnstrukturen wie etwa die Hirnrinde heran", sagt der Mediziner und Ingenieur Stefan Golaszewski vom Uniklinikum Salzburg. "Und man kann damit auch nur größere Flächen von mehreren Quadratzentimetern stimulieren."

Eine Struktur wie der Hippocampus in der Größenordnung von einem Quadratzentimeter und darunter beispielsweise liege aber von der Kopfoberfläche aus gesehen rund fünf bis sieben Zentimeter in der Tiefe des Gehirns. Mit den herkömmlichen nichtinvasiven Methoden zur Hirnstimulation könne man in dieser Tiefe das Gehirn nicht mehr effektiv stimulieren.

Der Methode von Edward Boyden hingegen ist es offenbar möglich. Wäre eine Anwendung bei menschlichen Patienten denkbar? Für den Kliniker Stefan Golaszewski ist vor allem eine wichtige Frage, ob man mit der neuen Methode nicht nur den vergleichsweise großen Hippocampus, sondern auch kleinere Strukturen im Gehirn wie den subthalamischen Kern gezielt stimulieren kann. Er wird bei der Parkinson-Krankheit mit Tiefenhirnelektroden bereits seit mehreren Jahrzehnten stimuliert, ist aber nur wenige Millimeter groß.

Bessere Einflussmöglichkeit

Tatsächlich räumen Edward Boyden und seine Kollegen in einer Veröffentlichung von 2018 im Fachblatt Jama Neurology ein, dass ihr Verfahren derzeit beim Menschen Grenzen der räumlichen Auflösung habe und nicht auf sehr kleine, tiefliegende Hirnstrukturen wie den subthalamischen Kern gerichtet werden könne.

"Außerdem gibt es bei dem Weg durch den menschlichen Kopf verschiedene Phasenübergänge", sagt Golaszewski. "Etwa beim Übergang vom Schädelknochen zum Gehirn, weshalb es zu Verzerrungen der elektrischen Felder in der Tiefe des Gehirns kommen kann." Die große Herausforderung bei der Methode von Boyden werde es sein, das elektrische Feld in der Tiefe des Gehirns für die jeweilige therapeutische Anwendung in seiner Stärke sowie in seiner räumlichen und zeitlichen Charakteristik exakt zu kontrollieren. "Zudem ist bei jedem Menschen die Geometrie des Kopfes und des Gehirns anders. "Das könnte einen hohen technischen Aufwand bedeuten, um das therapeutische elektrische Feld für einen einzelnen Patienten exakt individuell anzupassen."

Der neue technische Ansatz wurde bisher nur am Mausmodell untersucht, betont Golaszewski. "Ein klinischer Einsatz der Methode wäre jedoch in der Neurologie gerade im Bereich der Bewegungsstörungen und in der Psychiatrie besonders im Bereich der affektiven Störungen von großem Interesse."

Auf Nachfrage berichtet Edward Boyden, dass sein Team mit Tests an Menschen begonnen hat, um die Sicherheit und Wirksamkeit des Ansatzes unter die Lupe zu nehmen. Noch sei es aber zu früh, um die Ergebnisse auszuwerten. (Christian Wolf, 8.1.2018)