Die Frames der Linken und Oppositionsparteien reüssieren am Stammtisch nicht. Das muss sich ändern.

Foto: Christian Fischer

Der ein Jahr alten türkis-blauen Regierung weisen Meinungsumfragen eine satte Mehrheit für die rechte Koalition aus. Gründe dafür finden sich nicht in den angekündigten politischen Inhalten, welche die Regierung bis dato nur unter Inkaufnahme von allerlei Verfassungswidrigkeiten umgesetzt hat. Es sind auch nicht ihre Protagonisten, die allesamt wie nach Schablone gestanzte Versicherungsvertreter wirken. Es ist schlichtweg ein simples Narrativ, welches Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu erzählen vermögen, das bei den Menschen als wirkungsmächtiger "Frame" ankommt, weil es Herz und Hirn erreicht. Auch wenn sich dieses Narrativ aus Dilettantismus, Oberflächlichkeit, Selbstgefälligkeit sowie reaktionären Versatzstücken speist.

Kurz und Strache simplifizieren und reduzieren sensible Themen ohne Rücksicht auf Verluste, sodass ihnen die Menschen etwa wirklich glauben, massive Kürzungen bei den Sozialleistungen würden die Migration verringern. Das Narrativ ist aber erfolgreich, weil es konsequent, kontinuierlich und kongruent bedient wird. Eben diese Kontingenz – gestern so, heute schweigen; morgen anders – lässt politisch Andersdenkende alt aussehen. Widerstand gegen diese desintegrative und sozial ausgrenzende Postpolitik ist vorhanden, aber schwach und fragmentiert.

Gemeinsame Klammer

Die Ausgangslage innerhalb des Parteiensystems erweist sich als schwierig: Die SPÖ liegt konzeptlos im Oppositionskoma. Sie hat ihre politische Glaubwürdigkeit am Koalitionsaltar mit der ÖVP seit 1986 zugunsten eines scheinbaren Machterhalts geopfert. In Wirklichkeit regiert die ÖVP seit 32 Jahren dieses Land.

Die faktisch programmlose Liste Jetzt torkelt als sozialökonomisches Beschäftigungsprojekt der Luxusklasse von Krise zu Krise. Die Neos strudeln in Programmatik und Personellem im Sog der ÖVP. Die tief im ÖVP-Milieu verankerten Grünen sind mit sich selbst beschäftigt und politisch scheintot. Außerparlamentarische Bewegungen, die sich diametral zur Regierung positionieren, agieren unkoordiniert.

Im Ergebnis fehlt der Linken eine gemeinsame Klammer, ein Narrativ, das als Frame oder Interpretationsschema und Forderungskatalog dazu dient, dass die lohnarbeitende Klasse über Milieugrenzen hinweg von der Klasse an sich zur Klasse für sich wird. Erst dieses Narrativ kann ermöglichen, dass diese Klasse ihren objektiven Interessen an Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit, sozialer Sicherheit und Planbarkeit des Lebenslaufes entsprechend handelt und wählt. Die Frames der Linken und Oppositionsparteien erzählen den Leuten derzeit rein gar nichts. Wie sonst ließe sich die lächerliche Zahl von 17.000 Teilnehmern bei der sogenannten Großdemonstration gegen ein Jahr Türkis-Blau am 15. Dezember 2018 erklären?

Fakt ist, dass sich ein erheblicher Teil der Subalternen mit dem rechtskonservativen Aggressor und seiner Attacke auf den Wohlfahrtsstaat identifiziert. Sechs von zehn Arbeitern wählen die FPÖ. Schlicht fassungslos macht, dass die Bundes-SPÖ das offenbar überhaupt nicht beunruhigt. Man scheint das Elektorat eher im sechsten bis neunten Wiener Gemeindebezirk suchen zu wollen, und die SPÖ hat offensichtlich kein Problem mit dem ökonomischen Abstieg und der sozialen Ausgrenzung von Teilen ihrer Stammklientel.

Lufthoheit erobern

Vor diesem Hintergrund muss sich die Linke auf zentrale Positionen einigen, um Narrative zu entwickeln, mit denen sich die Lufthoheit auch über den Stammtischen wirklich erobern lässt. Man kann die Voraussetzungen dieses Vorhabens mit fünf Markierungspunkten deutlich machen:

  • Heute ist mit "links" zwingend eine bürgerliche, konstitutionalistische Position gemeint, die auf Grundrechten, Gewaltenteilung, einem von Hannah Arendt geprägten Demokratiebegriff und einem normativen Säkularismus beruht. Die Linke verteidigt also den aufgeklärten bürgerlichen Rechtsstaat gegen die postbürgerlichen Parteien der türkis-blauen Clique.
  • Es gibt kein kohärentes linkes Milieu, sondern wenn überhaupt eine heterogene Mosaik-Linke, die sich noch dazu gegenseitig kannibalisiert.
  • Ein linker Populismus nach Chantal Mouffe muss Forderungen nach einer politischen, sozialen und ökonomischen Demokratisierung zu einem kollektiven Willen bündeln.
  • Der hegemonialen Mischung aus Ignoranz, Häme, Verachtung und Hass gegen "rote Gfrieser", Arme und Konstitutionalisten kann man nur mit adäquater Sprache begegnen.
  • Ein Einstieg in eine sozial inklusive, ökologisch nachhaltige Transformation kann nur als punktuelles Bündnis unterschiedlicher Initiativen, Gruppen und Bewegungen gedacht werden. Dieses muss auf Themen wie gute Arbeit, Umverteilung, ökologische Nachhaltigkeit, Wohnen, Verkehr und Soziales fokussieren. Es erfordert schicht- und milieuübergreifende Authentizität, und es muss die Sprache der Subalternen und Bildungsbürger sprechen, um die Stammtische auch wirklich zu erobern.

Zurück zu den Wurzeln

Wenn zudem die Sozialdemokratie aus dem Koma erwacht, sich ihrer Wurzeln besinnt, die Grünen mit Pragmatik und als authentisch akzeptierte Eliten wie in Deutschland von den Toten auferstehen, dann wird ein linkes Narrativ die Menschen erreichen und das vorherrschende ablösen können. (Nikolaus Dimmel, Roland Fürst, 8.1.2019)