Schindeldach und Spiegelglas: die brandneue Frankfurter Altstadt und die Bankentürme im Hintergrund.

Foto: Uwe Dettmar

Das kriegszerstörte Areal im Jahr 1961.

Foto: Institut für Stadtgeschichte

Kulturelles Verbrechen", "Schandmal", "Bitte veröffentlicht die Namen der Stadträte, die damals dafür gestimmt haben!" – eine Auswahl der ausnahmslos wütenden Kommentare auf der Facebook-Seite der Initiative Stadtbild Deutschland e.V. im August 2018. Was erregte die Gemüter so sehr? Ein Foto des alten Kölner Hauptbahnhofs von 1894 und seines modernen Nachfolgerbaus von 1957. Ersterer wuchtig und historistisch, der zweite von bescheidener Leichtigkeit, mit großer Glasfassade zum Dom. Über beide ließe sich Gutes wie Schlechtes sagen, doch es war ausschließlich das moderne, auch schon 61 Jahre alte Bahnhofsgebäude, dem der schnaubende Zorn galt.

"Wir kämpfen gegen den Brutalismus", verkündet Stadtbild Deutschland e.V., nur eine von vielen ähnlichen Initiativen, für die früher immer besser und die gesamte Nachkriegsarchitektur ein Sündenfall ist. Warum das so sein soll, wird selten begründet, aber immer wieder als selbstverständliche Tatsache behauptet.

Dynamik einer Debatte

Aggression und Polarisierung sind in sozialen Medien gang und gäbe, doch die Debatte über Stadtbild und Rekonstruktion entwickelte voriges Jahr eine Dynamik, die weit darüber hinausging. Der Anlass: die seit 2005 betriebene und 2018 vollendete Rekonstruktion von Teilen der Frankfurter Altstadt, auch "Dom-Römer-Projekt" genannt. Auf dem fast komplett kriegszerstörten Areal war 1974 das Technische Rathaus errichtet worden, das 2010 abgerissen wurde. Nach mehreren Architekturwettbewerben wurden bis September 2018 auf dem 7000 Quadratmeter großen Areal insgesamt 35 Häuser errichtet, die die früheren Straßenzüge nachbildeten. 20 davon sind Neubauten, 15 sind Rekonstruktionen nahe am Original (" schöpferische Neubauten").

Rechtes Naheverhältnis

Im April 2018 veröffentlichte Stephan Trüby, Professor an der Uni Stuttgart, einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem er nachwies, dass die Initiative für die Rekonstruktion auf zwei Personen mit Naheverhältnis zur Neuen Rechten zurückging. "Es gibt einen falschen Konsens darüber, dass Architektur und Altstädte unpolitisch sind. Ich behaupte, dass hinter der Rhetorik einer angeblichen Schönheit, einer angeblichen Tradition einer angeblichen europäischen Stadt durchaus auch eine rechtsradikale Kultur- und Architekturpolitik stehen kann, die wir nicht unterschätzen sollten", sagte Trüby im Deutschlandfunk. Zwar betonte er, dass es ihm keineswegs darum gehe, Rekonstruktionen als solche zu skandalisieren, doch die wüsten Reaktionen waren davon unbeeindruckt.

In einem rechtsgerichteten Blog schrieb Wolfgang Hübner, einer der von Trüby genannten Initiatoren, brutalistische Bauten wie das Technische Rathaus seien Teil eines "Schuldkults" und einer "Sühnearchitektur" der Nachkriegszeit. Zwar war der etwas überdimensionierte Bau in seiner beamtenhaften Sachlichkeit kein architektonisches Glanzstück, und den weltweit etablierten Brutalismus als deutsche Strategie zur Selbstbestrafung für den Holocaust zu bezeichnen ist lächerlich – doch Theorien wie diese finden viel Resonanz.

Kaum ein rechtes Geheimprojekt

Trübys Aussage, Architektur sei immer politisch, wurde somit ausgerechnet durch seine Kritiker bestätigt. Allerdings lässt sich die neue Altstadt kaum als Geheimprojekt von Rechtsextremen bezeichnen, sondern vielmehr als respektables Ergebnis eines über zehn Jahre andauernden breit diskutierten demokratischen Prozesses, der Forderungen nach einer komplett originalgetreuen Rekonstruktion aller 35 Bauten eine Absage erteilte. Die Resonanz auf neue Altstadt fällt überwiegend positiv aus, auch unter den Architekten wandelten sich einige Kritiker zu Befürwortern.

Trotzdem ist der Hinweis auf die Schnittmenge von rechter Politik und Stadtbilddebatten nicht unbegründet. Initiativen, die alles vor 1945 Gebaute in einen Topf mit "gut" und alles danach in einen Topf mit "böse" werfen, gibt es nicht nur in Frankfurt. Sie sind wesensverwandt mit der Idee eines Rückzugs in die Festung Europa, in die vermeintliche Homogenität einer Vergangenheit.

Markus Miessen, Architekt und Professor an der Uni Göteborg, Mitherausgeber des soeben erschienenen Sammelbandes Para-Platforms – On the Spatial Politics of Right-Wing Populism, untersucht seit längerem reale und virtuelle rechte Räume. "Die völkisch-autoritäre Strategie der Neuen Rechten inklusive ihrer Formalleuchttürme wie der AfD resultiert in sorgfältig geplanten Plattformen, die physisch und virtuell die Entwicklung von nationalistischen und populistischen Aktivitäten unterstützen. Dieser politische Kampf geht Hand in Hand mit der Aneignung von Räumen, ob symbolisch, virtuell oder in Hektaren", so Miessen.

Alte Vorurteile

Schönheit als architektonische Kategorie wird nicht nur in Deutschland instrumentalisiert. Im November 2018 etablierte die britische Regierung die Kommission "Building better, building beautiful", die sich um die ästhetische Qualität zukünftiger Wohnbauten kümmern soll. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der erzkonservative Philosoph Roger Scruton ernannt, der die moderne Architektur schon mehrmals in Bausch und Bogen verdammt hat.

Dass die Tories ausgerechnet beim Wohnbau rein ästhetisch argumentieren, ist nicht ohne Zynismus – schließlich hatten sie den sozialen Wohnbau abgeschafft, alles weitere dem freien Markt überlassen und damit die heutige Wohnungskrise erst ermöglicht. Zahlreiche Architekten kritisierten die Ernennung Scrutons scharf. "Es ist seltsam, dass die konservative Regierung den architektonischen Kulturkampf der 1980er-Jahre von vorne beginnen will", sagt der Architekturtheoretiker Owen Hatherley, "erst recht, zumal die Architektur der letzten Jahre von Ziegelfassaden und Neoklassizismus dominiert wird." Sprich: Die alten Vorurteile gegen moderne Architektur – eckig, glatt, irgendwie "kalt" – sind immer noch abrufbar, auch wenn die gebaute Umwelt heute ganz anders aussieht.

Mit dem Argument "Die Menschen wollen das so" lässt sich heute Zuspruch gewinnen, ob in der Architektur oder der Politik. Doch die populistische Instrumentalisierung von Geschmacksfragen wird dann gefährlich, wenn es um Lebensraum geht. Der Mensch braucht Schönes, aber er braucht auch leistbare Wohnungen, eine faire Bodenpolitik, gute Innenräume, benutzbare Städte für alle, die mehr sind als ein Schaustück. Mehr als nur historische Fassaden, hinter denen der Wohlfahrtsstaat in Trümmern liegt. (Maik Novotny, 12.1.2019)